19. August 2007

Ab nach Canossa

Spätestens in jenem ausgiebigen Volontärsseminar vor vielen, vielen Jahren habe ich kapiert, dass es um die Gerichtsberichterstattung in Deutschland nicht gut bestellt ist. Es wird mit einer Hingabe sondergleichen vergröbert, klischiert, verdreht und ganz nebenbei auch immer gerne der (oder die Angeklagte) vorverurteilt. Das liest sich griffig und wirkt so, als ob der schreibende Journalist ein tugendhaftes Wächteramt inne habe. Sich gegen diese Mentalität und Vermessenheit zu stellen und den betreffenden Ressortleitern konkret Vorhaltungen zu machen, war schon damals schwierig. Selbst dann, wenn man die Fakten auf seiner Seite hatte. Die schönste Entschuldigung war immer: So schlimm wie die viel und oft gescholtene BILD-Zeitung sei man nicht.

Es hat seither sicher haufenweise grandiose Beispiele für diese alltägliche Medienkrankheit gegeben. Aber der nächste Volontärskurs möchte vielleicht mal etwas sportlich Frisches durchnehmen. Etwas aus dem globalen, digitalen Dorf. Nicht verfasst von gerne als unzuverlässig abgestempelten Bloggern, sondern von den "Seriösen", den sogenannten Qualitätsmedien. Den Leuten, den man gemeinhin traut. Bevor die folgende Übung als Korinthenkackerei abgetan wird oder als Versuch, irgendjemanden in Schutz zu nehmen, möge der geneigte Leser sich doch mal die Mühe machen, sich mit dem Stoff zu beschäftigen. Der Fall des ehemaligen NBA-Schiedsrichters Tim Donaghy.

Fangen wir nun mit dem ersten Kinken an:
Donaghy und die Praxis des Gestehens - auf Deutsch auch gerne vollmundig "auspacken" genannt ("soll auspacken", "will auspacken", "hat...ausgepackt") - hier eingepackt in dieser Überschrift auf N24 und auf einer dpa-Geschichte basierend:
"NBA-Schiedsrichter will weiter auspacken"
Mit Verlaub: Donaghy hat bislang nichts "ausgepackt" (i. e. enthüllt, aufgedeckt, offenbart), kann demnach logischerweise nicht "weiter" auspacken. Er hat zugegeben, was wegen der Abhöraktion des FBI ohnehin nicht zu leugnen war: seine Beziehung zum organisierten Verbrechen und seine Tipps an die zwei mitangeklagten Mafiosi aus Philadelphia . Und abgesehen davon: Hätte er wirklich ausgepackt, würden wir darüber schreiben können, wie man als Basketball-Referee zusammen mit der Mafia NBA-Spiele manipuliert. Können wir aber nicht, weil wir's nicht wissen.

Aber weiter im Takt: Denn dazu passt diese Headline auf süddeutsche.de:
"Schiedsrichter gesteht Wettbetrug"
Donaghy hat keineswegs irgendwelche Betrugsdelikte gestanden. Er hat nur zugegeben, Mafiosi mit unlauteren Wettabsichten mit Informationen versorgt und dafür Geld kassiert zu haben. Er hat auch zugegeben, selbst gewettet zu haben. Das sind beides ganz erhebliche, strafbewehrte Verstöße, und sie lassen den Verdacht von Manipulationen aufkommen. Dieser Verdacht jedoch wurde weder von der Staatsanwaltschaft erhoben noch belegt. Und von Donaghy gibt's zu dem Thema nichts, außer einer kryptischen Entschuldigung via New York Daily News. Kennt der Autor den Unterschied zwischen Betrug und dem Ausplaudern von Interna? Oder ist ihm der Unterschied einfach egal - nach dem Motto: alle Kriminellen sind irgendwie auch Betrüger?

Basierend auf der ersten Fantasieinfo kann man natürlich eine zweite draufpacken:
"Donaghy stürzt die amerikanischen Basketball-Profiliga NBA in eine tiefe Krise" (süddeutsche.de) und braucht auch das nicht mehr zu belegen. Man schreibt einfach: "Der strenge NBA-Commissioner Stern bangt nun um den Ruf seiner Liga" - fertig ist die Laube. Kein Zitat von Stern zur Abstützung oder von anderen einflussreichen Leuten, die etwa von einem Sturz oder einer Krise reden. Na, Bravo. Gerichtsberichterstattung in Andeutungen und Mutmassungen - eine feine Sache.

Wie man von der stillen Post weiß, geht es natürlich immer auch noch schlimmer. Wie etwa im Tagesspiegel, der eine dpa-Geschichte mitnimmt, die er aber nicht genauer kennzeichnet: "Durch das Geständnis von Schiedsrichter Tim Donaghy, zwei Spiele unter seiner Leitung manipuliert und darauf gewettet zu haben, hat die glamouröse Eliteliga einen immensen Imageschaden erlitten." Wieviele falsche Sachbehauptungen in einem Satz? Minimum zwei (zwei Spiele manipuliert, immensen Imageschaden erlitten). Darüber eine irreführende Überschrift ("Schiedsrichter-Beichte"). Na, prima. Werden diese Feststellungen wider Erwarten weiter hinten noch belegt? Nein. Weil das angesichts der Informationslage auch gar nicht klappen würde. Man redet lieber von einem "Büßerhemd", in dem Donaghy angeblich vor Gericht auftrat. Das soll seriöser Journalismus sein? Oder wäre da nicht mal ein Gang nach Canossa fällig (siehe Bild weiter unten, wo man das berühmteste Büßergewand der letzten tausend Jahre betrachten kann)?

Eigentlich schon. Denn aus dem Ärmel geschüttelt kommt dann noch die Behauptung, dass "Vieles an den "Fall Hoyzer" im deutschen Fußball" erinnere. Belege? Keine. Ist ja auch nicht notwendig. Der Fall des deutschen Schiedsrichters hatte ja auch irgendwie mit Wetten zu tun und mit kriminellen Anstiftern. Das ist dann bei soviel müder Gedankenarbeit bereits "Vieles". Dass Hoyzer (man erinnere sich an das Pokalspiel zwischen dem HSV und Paderborn) ganze Begegnungen umgebogen hat und dass man von Donaghy gar nicht weiß, ob er und wenn ja, wie er gebogen hat, damit will man den Leser wohl lieber nicht behelligen. Es gilt der alte Grundsatz: Zuviele Informationen schaden dem Duktus einer Nachricht. Besonders die korrekten Informationen.

Das gilt auch für korrekte Übersetzungen aus dem Englischen? Ja, klar. Zurechtgebasteltes Deutsch wirkt einfach besser. Wie schreibt dpa hier: Stern habe Donaghy als "Ratte" bezeichnet und als "einen isolierten Kriminellen". Teil eins: Die Durchsicht der Mitschrift der Pressekonferenz von David Stern am 24. Juli, wo der Commissioner das einzige Mal ausgiebig Stellung genommen hat, fördert das Wort "Ratte" (rat) nicht zutage. Weitere Recherchen in amerikanischen Zeitungsarchiven ebenfalls nicht. Teil zwei: Stern spricht auch nicht von einem "isolierten Kriminellen " (wie sollte er auch - der Mann hatte Mafiapartner). Seine Vokabel - isolated criminal - kann man nur mit "einzelner Krimineller" oder "vereinzelter Krimineller" übersetzen. Hat jemand bei dpa das einzige vorhandene Wörterbuch isoliert und in Quarantäne getan oder in Isolierband eingepackt, damit es niemand auspacken kann?

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