24. Juni 2008

Tag der deutschen Einheit

Eigentlich sollte man den 25. Juni noch rasch zum Tag der deutschen Einheit ausrufen. Oder was wäre sonst zum Fußball-Länderspiel Deutschland-Türkei ernsthaft zu sagen? Vermutlich aber bleibt das ein Traum. So wie in anderen Ländern, wo es ähnlich schlecht um die Integration von Migranten bestellt ist. Fußball bringt zusammen. Und Fußball trennt. Es wird statt dessen wahrscheinlich wieder eine Nacht des Autokorsos werden, eine neue Form der Stimmungsmache, die im Land der Fackelzüge und Lichterketten endlich wenigstens eine Minderheit integriert, die sonst immer zu kurz kommt: die Übergewichtigen. Die können hier bequem mitmachen.

Extempore Anfang: Und die Dicken nehmen zu. Ich habe letzte Woche in Carson, der Teilstadt von Los Angeles, in der David Beckham seinem Beruf nachgeht, zum ersten Mal kapiert wie viele es mittlerweile in einigen Teilen der USA sind. An einem etwas größeren Tisch in einem ganz normalen Restaurant saß mittags eine Gruppe von neun, von denen sieben extrem übergewichtig waren (ich schätze: 50 bis 80 Prozent über Normalgewicht). Beim Rest der Gäste lag der Anteil der Fettleibigen, denen man ansieht, wie schwer ihnen das Gehen fällt, bei 50 Prozent. Das kann nicht gesund sein. Aber ich schweife ab. Extempore Ende.

Wie kommt man von dort zurück auf EM-Fußball – Deutschland gegen Türkei? Das will ich sagen: Ich musste bei meinen letzten Reisen ins Sauerland den McDonald's von Meinerzhagen ansteuern, weil man anderswo nicht mit seinem Laptop ins Netz kommt. Widerwillig ansteuern. Denn McDonald's gehört nicht zu meinem Speiseplan. Bei der Gelegenheit ist mir aufgefallen, dass, was in Carson die Schwarzen sind, in Meinerzhagen die Türken sind – jene Bevölkerungsgruppe, die in der Fast-Food-Welt den größten Teil der Bedienung und einen großen Teil der Besucher stellt. Auffallend viele attraktive sind darunter (und nicht annähernd so viele, die aus dem Leim gehen, wie sie das in Kalifornien tun), also Menschen, von denen man denken würde, dass es ihnen leicht fallen sollte, sich in einem so überschaubaren Provinznest mitten in Deutschland in einen neuen Orientierungsrahmen hineinzufinden und sich als Deutsche zu fühlen. Sollte man meinen. Ist aber nicht so.

Was wurde aus dem besten Fußballspieler, den Meinerzhagen je hervorgebracht hat? Ein Mitglied der türkischen Nationalmannschaft, der in Basel nicht im Kader ist, weil der Trainer auf alte Leute setzt. Der Bursche heißt Nuri Sahin, ist bei Borussia Dortmund unter Vertrag und spielt bei Feyenoord Rotterdam, an die er ausgeliehen wurde, weil Trainer Bert van Marwijk ihn haben wollte.

Wenn man ein bisschen herumgoogelt, findet man einen wirklich bescheuerten Werbefilm von Nike mit Sahin, in dem der Hang gezeigt wird, auf dem der 19-jährige als kleiner Junge herumgekickt hat. Ich weiß, wo der Hang ist: schräg gegenüber von McDonald's, in dem Dreh, wo sich auch der Fußballplatz des örtlichen Vereins befindet. Aber der Hang von Nuri Sahin führt ihn in eine andere Richtung. So schreibt er auf seiner deutschsprachigen Webseite: "Bei meinem ersten A-Länderspiel hieß der Gegner ausgerechnet Deutschland, und dann habe ich auch noch ein Tor erzielt: Das war einfach Wahnsinn! Ich konnte es gar nicht fassen, dass ich ausgerechnet gegen den großen Oliver Kahn ein Tor gemacht habe. Ich konnte nicht mehr denken vor lauter Glück."

Und ich kann nicht mehr denken vor lauter Verwirrung. Wer hat dieses Talent aus den Klauen des DFB gelassen? Wer hat ihm gesagt, dass seine Zukunft und seine Identität in einem Land liegt, das er nur von Ferienreisen her kennt? Bestimmt nicht der Bürgermeister von Meinerzhagen. Der war sogar neulich bei der Hochzeit in Düsseldorf dabei.

Es ist schwierig – das mit der deutschen Einheit. Wie sagte die Filmschauspielerin Sibell Kekilli in einem Interview in der ZEIT auf die Frage: "Nuri Sahin, der Jungstar von Dortmund, ist in der Türkei ein Star, weil er sich gerade gegen die deutsche und für die türkische Nationalmannschaft entschieden hat. Was könnte dafür den Ausschlag gegeben haben?"
"Wenn der Vater noch den türkischen Pass hat, türkisch eingestellt ist wird er natürlich sagen: Mein Kind spielt für unser Land, obwohl es in Lüdenscheid lebt. [Hinweis: Sahin wurde in Lüdenscheid geboren wie fast alle Kinder aus Meinerzhagen und wird dort großspurig als Sohn der Stadt geführt, aber dort ist er nicht aufgewachsen]. Da sind aber zum Teil auch die Deutschen schuld. Ich merke das auch immer wieder. Anfangs habe ich nur türkische Rollen angeboten bekommen. Mir wurde sogar schon ein Drehbuch zugeschickt und dazu geschrieben: Wir haben für dich die Rolle in eine Türkin umgewandelt. Fragt man mich, ob ich das möchte? Wo leben wir denn? Ich kann perfekt Deutsch. Seitdem ich in der Öffentlichkeit stehe, merke ich es noch mehr. Es heißt immer, ich sei Türkin oder Deutschtürkin. Aber als wir den Goldenen Bären gewonnen haben, war es dann eher doch deutsch. Die Erfolge werden immer gerne mitgenommen. Ich fühle mich da immer mehr ausgeschlossen."

Nuri Sahin wird vermutlich in der kommenden Saison wieder in Dortmund sein. Sein Mentor übernimmt die niederländische Nationalmannschaft. Mit anderen Worten: Die Zeit bleibt nicht stehen. Nicht mal in Meinerzhagen, wo sie beinahe einen deutschen Nationalspieler hervorgebracht hätten. Aber die Integration tritt auf der Stelle.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Mal kurz zum Extempore "Dicke": Wie wäre ich froh, wenn ich in Deutschland mal auf Dicke treffen würde, die noch bereit sind, sich sportlich "zu quälen" - das schreibe ich jetzt aus Sicht eines Footballteam-Spielers. In den USA mag vielleicht der spätere finanzielle Anreiz Leute mit Übergewicht dazu treiben, sich in der Offense oder Defense Line zu schinden...

Hier noch ein Musik-Clip, der vielleicht vielen aus der jüngeren Generation noch nicht so bekannt ist, aber super zum Thema passt:

www.youtube.com/watch?v=JkDX7GXHP4o

Anonym hat gesagt…

Ja, wirklich schade, dass es nicht gelingt, die Türken, die hier geboren werden so zu integrieren,dass sie sich als Deutsche fühlen. In Riesenproblem, nicht nur im Sport. Das schafft das klassische Einwanderungsland USA weit besser. Zwar werden dort auch die Traditionen der Herkunftsländer teils noch nach Generationen gepflegt, die Einwanderer fühlen sich aber schnell als Amerikaner, woher sie auch kommen.

Es gibt allerdings auch Beispiele für gelungene Sportlerintegration in Deutschland: Nehmen Sie z.B. Gerald Asamoah. Ein Deutscher, wie man ihn sich besser nicht wünschen könnte.