2. Februar 2008

"Amerikaner lieben Zahlen"

Der Fernsehmoderator Chris Matthews, der im Kabel (MSNBC) und sonntags bei NBC arbeitet und zu den bekanntesten Politik-Junkies des Landes gehört, hat irgendwann mal für eine der Sendungen eine auf den ersten Blick recht vielversprechende Rubrik erfunden. Sie heißt Tell Me Something I Don't Know und richtet sich an die Studiogäste, alles fachkundige Politik-Journalisten und Kommentatoren mit ernsten, bedeutungsschwangeren Gesichtern. Leider kommt dabei nie irgendetwas Besonderes heraus. Was nicht nur daran liegt, dass Matthews selbst eine Menge weiß und die Latte dadurch automatisch ziemlich hoch hängt. Die Befragten sind im Prinzip überfordert. Sie sind gar nicht schlauer als er. Und sollten sie wirklich mehr wissen, werden sie ihre Scoops lieber bei ihren Arbeitgebern platzieren.

Ich weiß auch nicht, weshalb mir vor einem Sonntag wie dem morgigen dieser Wunsch dauernd durch den Kopf geht: Tell Me Something I Don't Know. Sicher auch, weil da eine ganze Brigade deutschsprachiger Sportjournalisten ausgeschwärmt ist, um über den Super Bowl zu schreiben, Nach der ausgiebigen Lektüre der vielen Beiträge drängt er sich wohl einfach auf. Denn man bekommt da in so vielen leicht variierten Versionen den immer gleichen Super-Bowl-Artikel serviert. Immer wieder geht es um irgendwelche Stereotype und fehlgeleitete Schlussfolgerungen. Dass 90 Millionen Amerikaner bestenfalls ein Drittel der Bevölkerung sind, wird gar nicht beachtet. 90 Millionen - das reicht noch allemal für Schlagzeilen wie "Und ein Land sitzt vor dem Fernseher". Denn nach den myopischen Massstäben des Schreibers wären 90 Millionen in seiner Welt schließlich bereits ungefähr zwölf Länder. Einleitungen beginnen mit Sätzen wie: "Amerikaner lieben Zahlen". Oder: "Amerika gilt nicht umsonst als Land der Superlative"

Offensichtlich sind sie alle mit der Vorstellung angetreten, dass noch niemand vom Super Bowl gehört oder gelesen hat, noch nie ein Footballspiel gesehen hat und deshalb vor allem über das Drumherum informiert werden muss. Niemanden nervt, dass diese Geschichten seit den neunziger Jahren immer wieder aufgewärmt werden. Das freut die NFL, die ihre ziemlich schlappe Football-Kernveranstaltung, zu der sie in den Anfängen nicht mal das Stadion vollbekam, vor Jahr und Tag von einem Sport- zu einem Medienereignis umgetopft hat.

Der Liga ist es egal, worüber die Leute schreiben - der Super Bowl, die Super Bowl, der Superbowl oder sogar einen angeblichen Streit um den Super Bowl. Solange diese von der Presseabteilung schön ordentlich vorbereiteten Informationen dabei durchsickern, ist man zufrieden. Die alten Klischees stören nicht. Und sicher auch nicht, dass sich die Texte plump um beknackte Sprachbilder bemühen ("...reibt sich die Liga gewaltig die Hände..." "....klopfen sich Wirtschafts-Bosse, TV-Chefs, Hotelbesitzer oder Merchandising-Händler auf die Schulter..."). Wichtig ist dies: Die Behauptung, die Veranstaltung sei "...nicht mehr bloß ein entscheidendes Fußballspiel [sic!], sie ist ein nationales Heiligtum, ein Wirtschaftsfaktor, eine Geldmaschinerie, und jedenfalls ist sie nicht mit anderen Sportevents vergleichbar."

Sicher nicht mit der Fußball-Weltmeisterschaft, der Fußball-Europameisterschaft oder den Olympischen Spielen. Denn die sind bekanntlich viel größer und bedeutender. Aber wen interessiert das schon? Super Bowl ist öfter. Und so gehen wir davon aus, dass die Bartwickelmaschine im nächsten Jahr gleich wieder eingesetzt wird.

Man kann auch ein paar Beiträge finden, die sich etwas genauer mit den handelnden Personen beschäftigen. Aber die geben am Ende auch nicht immer ein klares Bild ab. Besonders reizvoll die Beschäftigung mit jener Szene vor knapp zwei Wochen, als Paparazzi Tom Brady und Gisele Bündchen vor der Wohnung in Greenwich Village in Manhattan abfingen und am Knöchel von Brady eine Manschette entdeckten. Die Situation provozierte die Financial Times gleich zu zwei unterschiedlichen Versionen. Was mysteriös anmutet. Denn weder die eine noch die andere gibt genau das wieder, was man doch eigentlich ganz gut im Video auf der Seite TMZ.com erkennen kann.

Variante Nummer eins: "Den Kapuzenpullover tief ins Gesicht gezogen und einen Blumenstrauß in der Hand, wurde er dort von Paparazzi erspäht, als er in der Nacht bei seiner Freundin, dem brasilianischen Supermodel Gisele Bündchen, klingelte."

Variante Nummer zwei: "Denn Brady wurde humpelnd an der Seite seiner Freundin, Starmodell Gisele Bündchen, fotografiert - mitten in Manhattan."

Aber es sind nicht nur die lästigen Details, die nicht harmonieren wollen. Manchmal klemmt es schon beim großen Pinselstrich. So hat man auch bei Der Westen gedacht, doppelt genäht hält besser, und gleich zwei Artikel zum Thema bereit gestellt. Man muss sich als Leser jedoch entscheiden, welche Kernaussage einem besser gefällt:

"New York würde in diesen Tagen viel dafür geben, um Eli Manning gegen Tom Brady eintauschen zu können..."
"Tom Brady, wer ist Tom Brady?, das sagten sie plötzlich in New York,..."

Tell Me Something I Don't Know: Welche Version stimmt? Ich wohne in New York. Ich würde es wirklich gerne wissen.

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