12. Mai 2008

Kaputte Knie oder was war wohl Darwins Lieblingssport?

Wo wir gerade über Frauenfußball sprechen: Die Sportart hat in den USA eine enorme Reichweite. Millionen von Mädchen kicken in Schulmannschaften aller Altersgruppen quer durchs ganze Land. Da bleibt es nicht aus, dass sich einige von ihnen verletzen. Neu ist das nur für ehrgeizige Eltern von ehrgeizigen Kindern, die dachten, Fußball sei eine Art von Yoga-Klasse mit Ball. Das passiert vermutlich Leuten, die nicht mit dem Spiel aufgewachsen sind und die nicht sonntags um den Platz herumgeschlichen sind, wenn die Großen um Punkte kicken, immer auf der Flucht vor dem Kassierer mit der Zigarrenkiste und den numerierten Abreißfitzeln. Wenn mich nicht alles täuscht, kam schon damals immer wenigstens ein Sanitäter selbst zu Kreisligaspielen. Und durch die Arbeit an kaputten Knien erwirtschaftete sich die "Sportlerheilstätte" Hellersen ein paar Kilometer weiter ihren legendären Namen.

Wie gesagt: Neu ist das nur für Amerikaner. Die gehen dann gleich noch einen ganzen Schritt weiter und behaupten auch ohne abgesichertes Zahlenmaterial, dass Mädchen weit häufiger im Fußball Bänderrisse erleiden als Jungen. Das wäre nur halb so wild, wenn nicht die New York Times am Wochenende eine ganze Titelgeschichte in ihrem Magazin dazu verschwendet hätte, den unbewiesenen Sachverhalt durch meterlange Dönekes zu ersetzen und so zu tun, als sei das individuelle Verletzungsrisiko eine massive Gefahr für das soziale Wohlergehen einer Unzahl von Betroffenen (weil sie monatelang nicht mitmachen können und sich dadurch aus der Gruppe ausgeschlossen fühlen, die ihnen doch alles bedeutet). Und als sei es ein Risiko für ihre Aussichten auf ein über den Sport vorangetriebenes Stipendium an der Universität. Oder um es kürzer zu formulieren, was der Autor da murmelt: Mädchen, die Sport treiben, ruinieren womöglich ihr Leben, wenn ihnen nur jemand von hinten auf die Socken tritt.

Vor 30 Jahren hätte man mit solchem Kokolores vielleicht noch die emanzipatorischen Bemühungen um Mädchensport an die Wand fahren können. Inzwischen jedoch gibt es Frauen, die gleich montags den sorgsam zusammengekehrten Gedankenmix einfach auseinanderfieseln und auf das reduzieren, um was es geht: um einen Propagandaversuch.

Eine ganz andere Frage ist, ob Jungen UND Mädchen in den USA nicht womöglich viel zuviel trainieren und zuviel organisierten Sport betreiben. Es gehört nämlich zu den merkwürdigen Entwicklungen in diesem Land, dass man Kinder nicht einfach nachmittags sich selbst und ihrer eigenen Kreativität überlässt, sondern sie gezielt in Programme hineinschiebt, in denen es nur in zweiter Linie um Sport und Körperertüchtigung geht. In erster Linie geht es um die Züchtung von Selbstbewusstsein, Ehrgeiz und Zielstrebigkeit, also um den angewandten Darwin, der in den Vereinigten Staaten im menschlichen Zusammenleben ungefiltert zur Herausformung von Charakter und Persönlichkeit genutzt wird. Die Ellenbogen-Gesellschaft, die auf diese Weise perpetuiert wird, wurde vielerorts schon beschrieben und beklagt. Das müssen wir an dieser Stelle nicht noch einmal tun.

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