In ein paar Stunden wird in Washington der Mann eingeschworen, den ich gerne als meinen Präsidenten bezeichnen würde. Und das, obwohl ich kein Bürger dieses Landes bin und nicht wählen kann. Aber vor etwas mehr als einem Jahr nach einer seiner ersten Reden vor einem großem Publikum war einfach klar, dass jemand mit seinen Qualitäten gebraucht wird, um diesen anti-intellektuellen Alpdruck zu beenden, der seit langem über diesem Land liegt und der die Energie von 300 Millionen Menschen erlahmt. Vor einem Jahr sah die unmittelbare wirtschaftliche Zukunft noch nicht so hässlich aus. Aber es hatte sich genug aufgestaut. Angefangen mit der Okkupation des Irak.
Die Chancen, dass Barack Obama Präsident werden würde, sahen damals nicht besonders gut aus. Und man hätte jeden für verrückt erklärt, der den Lauf der Dinge voraussagt. Ich habe damals nur eines gesagt: Wenn Hillary Clinton nominiert wird, gewinnt John McCain. Wenn Obama der Kandidat der Demokraten wird, schlägt er den alten Mann der Republikaner. Warum? Weil man sehen konnte, auf welche Weise der Senator aus Illinois Neugierige nicht nur mobilisiert, sondern tatsächlich bewegt.
Was solch ein Resultat bedeuten würde, konnte ich mir nicht ausmalen. Wahrscheinlich ging es mir so, wie den Bewohnern von Harlem, wohin ich in der Wahlnacht ein en Abstecher mit der U-Bahn gemacht habe. Sie waren optimistisch, aber nicht euphorisch, solange man den Ausgang nur interpolieren konnte (ab 21.30 Uhr, als feststand, dass er Ohio gewonnen hatte). Erst als CNN nach der Schließung der Wahllokale im Westen gegen 23 Uhr Ostküstenzeit verbreitete, dass es keinen Zweifel gäbe und Obama als Sieger ausrief, war Amerikas schwarze Bevölkerung bereit zu feiern.
Die wahre Dimension dieser Begeisterung kann man heute in Washington erleben. 2 Millionen Menschen in der Hauptstadt, um ein Zeremoniell zu erleben, dass zur simplen Mechanik der Machtübergabe gehört. Die Wahl war der entscheidende Akt. Aber jeder projiziert in einen solchen Augenblick seine eigenen Vorstellungen von der Bedeutung dieses Vorgangs. Typisch Amerika: In einer Welt der Bilder wird diesem im Kern rein symbolische Akt sehr viel mehr Bedeutung beigemessen als dem entscheidenden Geschehen im letzten November.
Was man diesmal sogar verstehen kann: Denn ein Aspekt an der Einschwörung von Barack Obama ist überhaupt nicht Routine: Der 44. Präsident der USA mit Wurzeln in Afrika, ein Afro-Amerikaner im wahrsten Sinne des Wortes, übernimmt das Land. Wer verstehen will, welche historische Dimension hier anklingt, sollte im Internet ein paar Bilder aus der Vergangenheit der Vereinigten Staaten googlen. Zum Beispiel unter Stichworten wie Sklavenmärkte, Bürgerkrieg, Lynchszenen oder Rassentrennung. Das ist teilweise noch gar nicht so lange her. Man kann auch solche Begriffe googlen wie Blues, Soul und Jazz. Und dazu vielleicht auch die Namen der schwarzen Sportler, die wie Magic Johnson. Michael Jordan oder Tiger Woods seit ein paar Jahrzehnten demonstrieren haben, welche außergewöhnlichen Qualitäten jene Minderheit kultiviert hat, die einst mit Gewalt von den Zentren der wirtschaftlichen und politischen Macht fern gehalten wurde.
Wir werden sehen, was Obama zu leisten imstande ist. An Eides statt. Vier Jahre sind eine lange Zeit.
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