30. Juli 2007

Zum Tod von Bill Walsh: Erinnerungen an ein Football-Genie

Es gibt Männer, die nicht nur einfallsreich sind, sondern auch so eitel, sich in ihren Ideen zu aalen. Aber wenn man Bill Walsh heißt, eine Mannschaft aus dem Nichts aufgebaut und sie zu mehreren Super-Bowl-Erfolgen geführt hat, dann wirkt das nicht mal unbescheiden. Auch nicht wenn man auf die Frage "Sind Sie ein Genie?" antwortet: "Ich bin genauso Experte wie jeder andere, der heutzutage als Football-Trainer arbeitet. Dazu kommt bei mir allerdings, dass ich eine künstlerische Fähigkeit habe, die der ganzen Sache einen besonderen Anstrich gibt."

Das Künstlerische: Walsh, Jahrgang 1931, der 1979 von den San Francisco 49ers verpflichtet wurde, rekrutierte auf dem Weg zu seinen Siegen zwei der besten Footballspieler aller Zeiten, Joe Montana und Jerry Rice, und entwickelte eines der vielfältigsten und kreativsten Angriffskonzepte, das je im Football angewendet wurde. Mit der Betonung auf Tempo und Technik, Explosivität und Extravaganz sowie auf sein Kurz-Pass-Spiel gab er dem Profi-Football eine völlig neue Dimension. Selbst heute noch, viele Jahre nach seinem Abschied von der NFL, den er 1988 nahm, ist sein Einfluss fast überall zu spüren.

Walsh war nicht der erste Trainer, der die Tiefe des Raumes nutzte, als dank einer Regeländerung im Jahr 1978 die Wide Receivers nicht länger im Kampf um den Ball behindert werden durften. Aber er war der beste. "Ich habe eine kreative Einstellung für das Spiel entwickelt", schrieb er in seinem Buch Building a Champion, in dem er darauf hinwies, dass viele seiner Ideen eigentlich Anleihen aus der Vergangenheit des Footballs sind. Er sei jedoch bereit, "Elemente weiterzuentwickeln, die nicht besonders akzeptiert sind." Andere erfolgreiche Mannschaften in den achtziger Jahren - etwa die Washington Redskins unter Joe Gibbs (drei Super-Bowl-Erfolge) - praktizierten lieber eine gewisse geistige Sparsamkeit, um die Spieler, intellektuell zu entlasten.

Walsh hingegen gelang es, seinen Spielern eine Vielzahl von Spielzügen beizubringen, um so gegnerische Verteidigungen so oft wie möglich im Ungewissen zu halten. Er war manisch, wenn es darum ging, Angriffszüge aufzuskribbeln. Seine 49ers liefen mit exakten Ablaufplänen für die ersten 25 Attacken aufs Spielfeld. Joe Montana hatte hunderte von Codes und Kombination in seinem Kopf. Kein Wunder, dass der nach dem Rücktritt von Walsh erleichtert war: "Das ist, als ob du über den Highway fährst, die Scheibe herunterdrehst und ganz viel frische Luft einatmest."

Trainer suchen normalerweise in einem Quarterback mehr als einen Mann mit einem starken Arm. "Das Spiel ist zu 70 Prozent mental", weiss Montana. "Du kannst dir nicht um jeden Pass Sorgen machen." Walsh sah das nicht anders: "Nenne es Instinkt, sechsten Sinn, Können: Die Fähigkeit, den Pass Rush, der auf dich zukommt, mit peripherem Sehen aufzunehmen und das Feld vor dir zu überblicken, das ist die Basis von professioneller Quarterback-Arbeit." Vor Montana arbeiteten Offensive Linemen, die Walsh davon abgebracht hatte, ihre Blocks aufrecht stehend anzusetzen. Sie orientierten sich vielmehr fortan nach unten, auf die Beine der gegnerischen Pass Rusher, und wendeten den alten Schulterblock an, den Walsh aus den dreißiger Jahren zurückholte.

Der Trainingsstil von Walsh war weniger autoritär als vielmehr kollegial. "In einer Atmosphäre, in der persönliche Aufopferung die Norm ist, gibt es nicht viel Platz für Förmlichkeit." Die traditionelle Anrede "Coach" war ihm ein Greuel. Dafür beschäftigte er sich um so lieber mit den Details des Coachens, auch noch auf dem Trainingsplatz. Immer nach dem Motto: "Es ist lebenswichtig, dass die Spieler jedes Mal, wenn sie auf den Platz kommen, etwas lernen, anstelle bloß ihren Mut zu beweisen."

Walsh arbeitete in der Rolle des Cheftrainers nur bei einem einzigen NFL-Klub - den San Francisco 49ers. Aber die baute er im Grunde dreimal komplett wieder auf. Nach dem dritten Mal und dem dritten Titelgewinn Anfang 1989 zog er sich auf seine Lorbeeren zurück. Er hatte das Gefühl, der Zauberlehrling in einem Beruf geworden zu sein, der einem die Sinne bis in die letze Nervenspitze auslutscht und nichts produziert, ausser Ruhm und Geld.

Bill Walsh ist heute im Alter von 75 Jahren an Leukämie gestorben.

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