10. September 2006

Besinnung auf Neun Elf (2)

Ich habe vor fünf Jahren versucht, Worte für das Gefühl zu finden, dass der Anschlag am 11. September 2001 hinterlassen hatte. Ich war damals nicht mal sicher, ob ich mich wirklich hinsetzen soll und etwas schreiben. Schreiben ist mein Job. Ich lebe in Manhattan, nur ein paar Kilometer von der Stelle entfernt, an der einst das World Trade Center stand. Und ich war an diesem Morgen vor fünf Jahren in der Stadt und bin so etwas wie ein Zeitzeuge. Aber Nähe allein ist kein Motiv. Nicht bei einem Ereignis, das auf vielerlei Weise - mit Videoaufnahmen, beeindruckenden Fotos, Augenzeugenberichten und den kleinen Textvignetten der New York Times über die Opfer - wohl so gut dokumentiert wurde wie kein anderes in der internationalen Mediengeschichte.

Die Züricher SonntagsZeitung hat heute ein anderes Thema in ihrer Rubrik "Abpfiff" von mir gedruckt: eine Reflektion über die negative B-Probe der Leichtathletin Marion Jones. Und das war wahrscheinlich besser so.

Mein Text von damals wurde 2001 in der Online-Publikation Die Gazette gedruckt. Dies ist das Link. Am Ende des Texts ist von einer Spendenaktion die Rede, die wir als unmittelbare Reaktion auf die Betroffenheit unserer Freunde und Bekannten in Deutschland ins Leben gerufen hatten. Wir haben damals mehr als 15 000 Dollar in kleinen und großen Beträgen erhalten und an die angegebenen karitativen Einrichtungen überwiesen. Hin und und wieder ist Aktion hilfreicher als Reflektion.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

mich würde der marion jones artikel interessieren. kann man den irgendwo nachlesen? Sonst sehr interessant was ein Europäer zu 9/11 denkt, der auch "dabei" war...

Jürgen Kalwa hat gesagt…

Die SonntagsZeitung in der Schweiz stellt fast nichts auf die Webseite. Deshlab hier der Artikel wie er am letzten Sonntag auf Seite 47 in der Rubrik Abpfiff unter der Überschrift
"Die verfolgte Unschuld" erschien:

Nach Schätzungen von Fachleuten passiert so etwas in jedem tausendsten Fall: Nachdem die A-Probe eines Athleten einen positiven Dopingbefund ergeben hat, fällt die B-Probe negativ aus. Bis vor wenigen Jahren, als meist nach der B-Probe informiert wurde, wäre ein solcher Test in aller Stille abgelaufen. Die Öffentlichkeit hätte nichts erfahren.

Im Kielwasser des (Nicht-) Falls Marion Jones darf indes nicht einfach zum Alltag übergegangen werden. Das gilt für die Wissenschaftler, deren Epo-Testmethode einmal mehr in der Kritik steht, vor allem aber für die amerikanische Sportgerichtsbarkeit, die die Sprinterin seit Jahren mit Samthandschuhen anfasst. So konnte sich die dreifache Olympiasiegerin von Sydney am Freitag im US-Fernsehen als verfolgte Unschuld inszenieren und die ziemlich vermessene Hoffnung äussern, dass die Verantwortlichen sich ab jetzt dank ihr für mehr Forschung einsetzen und ein stärkeres Mass an Vertraulichkeit praktizieren werden.

Noch mehr Vertraulichkeit als im Balco-Verfahren, dessen Vernehmungsprotokolle sich noch heute offiziell unter Verschluss befinden? Noch mehr Vertraulichkeit, die dafür sorgt, dass die Frau, deren Lebensgefährten überführt und bestraft wurden, trotz eindeutiger Indizien und Zeugenaussagen unbehelligt weiterlaufen darf, während jene Journalisten, die Auszüge aus den Protokollen veröffentlicht haben, demnächst ins Gefängnis müssen?

Es kann schon sein, dass Marion Jones längst ein gesundes Verhältnis zur Realität abhanden gekommen ist. Aber davon sollten sich jene nicht beeindrucken lassen, die für einen Sport ohne Betrug und Korruption zuständig sind. Doch zu einer kategorischen Haltung ist man in den Vereinigten Staaten, wo derzeit ein Dopingskandal den anderen jagt, offensichtlich nicht fähig. Man hat das Gefühl, dass eine konsequente Strafenpolitik schon bald wieder aufgeweicht wird. Schliesslich herrscht eine ungestillte Sehnsucht nach Siegertypen. Die haben einen Sympathiebonus. So wie Marion Jones.

Vor den Olympischen Spielen 2000 hatte sie gesagt, sie würde gerne eines Tages «in ein und demselben Satz mit Michael Jordan, Muhammad Ali und Pelé genannt» werden. Den Weg zu einer derartigen Reputation hat sich die Dame längst verbaut. Doch damit sollten sich die Moralwächter des Sports nicht zufrieden geben. Den Fall «Marion Jones» kann man nicht einfach zu den Akten legen, ehe endlich Klarheit herrscht.