26. September 2006

Katrina, die Saints, der Superdome und die Medien

Wenn Amerikas Sportreporter sich politisch relevanten Themen zuwenden, wirken sie fast immer wie verkappte Verdummungsideologen. Die Lieblingsschimäre: Sport ist eine Metapher fürs Leben. Und im besten aller Fälle sogar ein Idenfikationssymbol für alle - also auch für die, sich überhaupt nicht für Sport interessieren. Manche gehen so weit zu behaupten, es sei Transzendenz im Spiel. Was in solchen Momenten gerne verwechselt wird, ist das, was dem Sport von heute einen transzendierenden Anstrich gibt: die platte Suggestionskraft von Live- Fernsehbildern.

Ich will es nicht kompliziert machen, obwohl der Wirkungszusammenhang wirklich kompliziert ist. Denn die Fernsehübertragungen alleine leisten noch gar nichts. Die Begleitmusik von schreibenden Reportern vor Ort gehört ebenfalls dazu wie die Bereitschaft zur Autosuggestion von Millionen von Menschen, die GLAUBEN, sie wohnen, ob vor Ort oder am Bildschirm, einem Ereignis von besonderer Bedeutung bei.

Unsinn. Andere Medienereignisse wie Kriege oder Katastrophen betreffen tatsächlich das Leben von vielen Menschen. Im Sport sind nur Platzanweiser, Toilettenfrauen und Bierverkäufer, die in Stadien und Hallen arbeiten betroffen, und sicher auch noch die Sportler und Trainer. Alle anderen FÜHLEN sich betroffen. Dass daraus ein medienreguliertes Verhalten resultiert, dass sich zum Beispiel im Kauf von Trikots, Basketballschuhen und anderem Tand niederschlägt, ist nur eine indirekte Folge. Eine direkte Anteilnahme existiert nicht. Transzendenz? Nur für den, der daran glaubt. Ein logisch denkender, rationaler Mensch sollte in der Lage sein, dass zu durchzuschauen.

Warum ich das alles schreibe? In New Orleans lief am Montagabend ein Spektakel, das Reporter zuhauf als psychosozialen Meilenstein gefeiert haben. Die Saints trugen ihr erstes Heimspiel im Superdome seit Hurricane Katrina aus. Finanziert vom amerikanischen Steuerzahler, der den größten Teil der 185 Millionen Dollar Reparatur bezahlt hat (Zur Erinnerung: Im Superdome warteten tagelang zehntausende von Menschen auf Hilfe - ohne Essen und unter schlimmsten hygienischen Bedingungen). Die Saints gewannen gegen die Atlanta Falcons - mit 23:3 - und sind so nach drei Spielen ungeschlagen. Eine kleine Sensation, denn im letzten Jahr kam die Mannschaft in insgesamt 16 Saisonspielen nur auf drei Siege und auf diese Weise in der Draft an den exzellenten Running Back Reggie Bush.

Daran war nichts transzendental. Die Saints waren noch nie richtig gut - ob mit Superdome oder ohne. Aber jetzt, da sie mal gewinnen und die Fans aus New Orleans endlich wieder etwas zu feiern haben, wird die Mannschaft als Identifikationsfigur für das Ende einer von den Regierenden zu verantwortenden Katastrophe ausgeguckt. Für das Bedürfnis von tausenden von Menschen, sich endlich mal wieder über etwas zu freuen und den Alltag zu vergessen. Dafür ist die NFL immer zu haben. Die Liga ist ja nicht von ungefähr die wirtschaftliche stärkste Macht im US-Sport. Sie weiß, was ankommt. Also ließ sie U2 ("It's a Beautiful Day") und Green Day im Vorprogramm auftreten, um dem Abend ein eskapistisches Sahnehäubchen aufzusetzen, verteilte Akkreditierungen an tausend Journalisten, die alle dasselbe Lied anstimmen und präsentierte das Ganze auf ESPN in Monday Night Football. Ein paar Bilder von den Höhepunkten der Katastrophe wurden auch gezeigt. Aber über den anhaltenden Kampf der Menschen dort, die noch immer zu tausenden in Trailern wohnen, oder die noch immer nicht zurückgekommen sind, weil sie weder wirtschaftlich noch psychisch die Kraft haben, ihre verrottenden und verschimmelnden Häuser abzureißen und neu zu bauen, zeigte man lieber nicht.

Tatsächlich war Katrina in New Orleans (anders als im Umland) weniger eine NATUR-Katastrophe als eine von ignoranten Politikern und inkompetenten Deichingenieuren und Hilfsorganisation verursachte MENSCHEN-Katastrophe. Der Beleg dafür, dass die Bürger einer Stadt nur ein Spielball für alle möglichen Interessen sind. Seit Montag sind es die Interessen von jenen, die den amerikanischen Durchhaltewillen feiern wollen. Vielleicht ist der der stärker als die Dummheit und der Zynismus der Verantwortlichen. Vielleicht...

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