Hier auf den Seiten von American Arena war es in den letzten Tagen etwas stiller als sonst. Das hat sehr wenig mit Weihnachten an sich zu tun. Sondern mit einer Reihe von Verpflchtungen an anderen Baustellen. So etwas wie die arbeitnehmerfreundliche Kollektion von Feiertagen und Wochenenden gibt es in den USA nicht. Man legt die Hände allenfalls am Christmas Day in den Schoß. Also heute. Ein Tag, an dem die totale Ruhe ausbricht. Selbst das Hintergrundgeräusch, das sonst in New York auf einer beachtlichen Phonstärke vor sich hinbrummt, ist abgeebbt.
Zu feiern gab es in diesem Jahr tatsächlich etwas: Einen Tag vor Heiligabend saß ich abends in einem improvisierten Gericht in einem kleinen Ort außerhalb von New York und habe einen stillen Triumph errungen: eine Buße wegen zu schnellem Fahren abzuschmettern. Wir reden von 300 Dollar und ein paar Gekleckerten. Das Geklecker ergibt sich daraus, dass solche Sachen an die Kfz-Versicherung gemeldet werden, die dann für drei Jahre nach einem bestimmten Punktesystem die Prämien anhebt. Außerdem steht man mit der Ordnungswidrigkeit im Computer und wird, falls innerhalb der drei Jahre eine neue Geschwindigkeitsübertretung dazu kommt, noch etwas ruppiger zur Kasse gebeten. Merke: Am besten ist, sich an die Vorschriften zu halten. Am zweitbesten, nicht bestraft zu werden.
Am sichersten fährt man, wenn man sich einen erfahrenen Anwalt nimmt. Den Amelung des amerikanischen Verkehrsrechts, sagen wir mal. Der verhandelt meistens schon vor dem Gerichtstermin mit der Staatsanwaltschaft oder der Polizei und bekommt in Fällen, in denen man aufgrund der Beweislage schlechte Karten hat, meistens zumindest eine Reduktion hin. Das entscheidende Rechtsmittel in den USA heißt plea bargaining. Man könnte es auch Kuhhandel nennen. Da würde man in einem Fall wie meinem etwa sagen: Ich gebe zu, ich war wohl etwas zu schnell. Aber wie wär's: Sie wandeln das in eine Parkverbots-Sache um, und ich zahle bar und sofort. Parkverbots-Knöllchen (non-moving violation) sind das harmloseste von allem. Die kommen nicht auf die große Liste. Aber hier ist der Nachteil: Der Rechtsgelehrte kostet 500 Dollar und mehr. Geld sparen geht anders.
Ich bin also ganz alleine zum Gerichtstermin. Mit Sakko und Schlips und frisch rasiert. Und mit der Hoffnung, die Sache irgendwie selbst regeln zu können. Es war kalt, und es lag Schnee. Und vor der Town Hall standen schon ein paar Autos. Der Gerichtssaal war ein umgebastelter Sitzungssaal, den der Rat der Mehrdörfer-Kommune benutzt. Es saßen schon ein paar Sünder in den Zuschauerreihen, in dem hellen Deckenlicht von Neonlampen, und warteten auf ihre Verfahren. Es stand ein Uniformierter an der Tür, der einen freundlich nach dem Namen fragte, eine Frau in einem dicken Flies-Pulli, die den Schreibkram erledigte, werkelte im Hintergrund, und dann kam der Richter in seiner Robe in den Raum. Er erinnerte einen an Papa Gnädig, der einst im deutschen Fernsehgericht den Vorsitz hatte. Nur die Haare waren nicht so weiß.
Dorfjustiz ist wie das Amtsgerichtsgeschäft in Deutschland. Man wickelt vor allem Verkehrssachen ab, Drogenprobleme und Streit mit den Nachbarn. Da regiert Verständnis und Respekt und Freundlichkeit, vor allem wenn der mutmaßliche Täter sich in Respekt übt. Ich hatte mir vorgenommen, den Honorable Judge auch so anzureden wie die das im Fernsehen machen: mit Your Honor. Aber dazu wäre es fast nicht gekommen. Denn auch zwanzig Minuten nach dem Termin war der Deputy Sheriff noch immer nicht aufgetaucht, der mich angehalten und mir das Ticket geschrieben hatte. Papa Gnädig hatte eigentlich noch ein bisschen warten wollen, nachdem er die anderen Fälle durchgenommen hatte. Aber an so einem kalten Abend will man als Richter wohl irgendwann nach Hause und die Beine hochlegen. Und so begann er dann mit dem offiziellen Teil des Verfahrens, las etwas aus der Akte vor und fragte mich, ob ich einen Antrag zu stellen habe. Ich sagte: "Yes, Your Honor. I request dismissal." Mein gutes Recht. Erst recht dann, wenn der Zeuge der Anklage gar nicht anwesend ist. Der sehr ehrenwerte Richter entschied denn auch zügig und schlug das Verfahren nieder. Ohne irgendwelche Fragen und ohne Ermahnungen, in Zukunft langsamer zu fahren.
Wir haben uns nach dem Ende des offiziellen Teils noch sehr nett unterhalten. Über Medien, über die Wirtschaft und über diesen Landstrich, in dem er geboren ist und seit mehr als 30 Jahren Recht spricht. Manchmal tagsüber. Manchmal abends. Ich habe ihm zum Abschied gesagt: Ich freue mich, Sie mal irgendwann wieder zu treffen. Und habe mich dann aber verbessert und gelacht. Nein, eigentlich würde ich ihn doch lieber nicht noch mal sehen. Wer weiß, was dann auf der Tagesordnung steht? Und ob ich das dann genau einfach geregelt bekomme?
P.S.: Ich habe vor dem Gerichtstermin mal nachgerechnet. Ich bin in den USA kreuz und quer schon mehr als 500.000 Kilometer gefahren. Speeding Tickets? Ganze zwei. Und die waren wegen geringeren Übertretungen. Die beste Szene habe ich aus der Beobachterperspektive erlebt. Sie betraf einen Sattelschlepper in der ödesten und leersten Gegend in New Mexico, die man sich vorstellen kann. Der überholte mich. Weit und breit kein anderes Auto. Die Straße schnurgerade. Ein paar Kilometer weiter stand der Laster am Rand auf einem kleinen Parkplatz und war von drei Polizeiautos umringt. Ich habe keine Ahnung, woher die kamen. Aber ich weiß seitdem, man muss immer und überall mit allem rechnen.
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