In der Sache Theo Zwanziger gegen Jens Weinreich, Präsident des Deutschen Fußballbundes gegen freier Journalist, hat es inzwischen die eine oder andere Klärung gegeben. Zum Beispiel ist nun klar, wie die veröffentlichte Meinung in Deutschland den als "Demogogen-Streit" etikettierten Vorfall einstuft: Pro Weinreich, contra Zwanziger. Klar ist auch, wieso der Fall ein derartiges Echo ausgelöst hat: Ganz normale Menschen machen sich Sorgen, wenn die Führungskräfte eines Machtzentrums von der Statur des DFB Personen mit Anwaltspost eindecken, sobald diese Menschen in Blogs im Rahmen der ihnen zustehenden Freiheitsrechte ihre Meinung äußern.
Klar ist auch: Es hätte durchaus andere Möglichkeiten gegeben, Widerspruch gegen die Weinreichsche Wertung kund zu tun. Zum Beispiel hätte sich Theo Zwanziger mit einem eigenen Kommentar bei direkter-freistoss.de auf eine adäquate Weise wehren können. Aber das entsprach dereinst im Juli nicht der Gutsherrenart im Umgang mit dem Internet. Und tut es wohl auch noch immer nicht. Jetzt droht er sogar mit Rücktritt vom Amt, wenn er den Prozess verliert, den er noch gar nicht angestrengt hat.
Klar ist auch: Richter haben das Gebäude aus lauter Anmaßungen sowohl de facto als auch de jure auf ein rechtschaffenes Maß gestutzt. Jetzt sieht es nur noch aus wie eine Bastelarbeit aus dem Stabilbaukasten. Viele Löcher. Wenig Schrauben. Und von denen musste der DFB neulich noch ein paar herausdrehen, als er seine ominöse Pressemitteilung umtextete. Merke: Eine Einstweilige Verfügung schafft durchaus Rechtsrealitäten, auch wenn Theo Zwanziger diese Realitäten im Interview gerne als Muster ohne besonderen Wert einstuft ("eine vorläufige Beurteilung"). Oder wie er heute sagte: „Die einstweiligen Verfügungen waren schlecht vorbereitet. Da wurde nur der bloße Begriff geklärt.“ Der bloße Begriff, also der, der im Duden steht, ja, der ist geklärt. Alles klar?
Ja und nein. Klärungsprozesse dauern oft ziemlich lange. Besonders dann, wenn klar wird, dass zum Beispiel in der Otto-Fleck-Schneise zu Frankfurt die eine Hand nicht immer weiß, was die andere tut. Einerseits soll da Kommunikationsdirektor Harald Stenger, Autor der besagten Pressemitteilung, vom Umfummeln von Wikipedia-Einträgen "dringend" abraten. Andererseits sind die Fingerabdrücke für einen neuerlichen Eingriff nicht zu übersehen. Sonst hätte es nicht diese Platzsperre gegeben. Was jenseits aller Klarheiten die Frage aufwirft: Wer und was steckt eigentlich wirklich hinter dem absurden, nicht endenwollenden Angriff auf die Reputation des Journalisten und hinter der erstaunlichen Eigendemontage eines Funktionärs, der intern immer als unumstritten galt? Theo Zwanziger himself? Man mag das gar nicht glauben.
Bei Jens Weinreich im Blog hat neulich erwin den springenden Punkt in einem Kommentar folgendermaßen eingekreist: "Anlässlich der Wikipediamanipulationen finde ich es ja mittlerweile geradezu trollig, wie der DFB als einziger darauf beharrt, es wäre in irgendeiner Form plausibel oder naheliegend, Herrn Zwanziger oder sein Auftreten in die Nähe der Volksverhetzung zu rücken .... da nicht einmal im Entferntesten ein inhaltlicher Zusammenhang zur Volksverhetzung besteht frage ich mich dann doch, worin der Treffer eigentlich bestanden hat. Sind das nur verletzte Eitelkeiten von jemandem, der Kritik nicht mehr gewohnt ist ? Ist es einfach Angst, vor dem Internet und Formen der Öffentlichkeit, die Kontrolle und Herrschaft nicht mehr ermöglichen ? Oder geht es gar womöglich um noch mehr, und man sieht handfeste wirtschaftliche Interessen bedroht ? Ich weiß es nicht, aber die Frage stellt sich."
Ja, die Frage stellt sich wirklich. Denn die zwei ausführlichen Interviews, die Theo Zwanziger in der Sache gegeben hat (hier und hier), um sich mit offenem Visier als Betroffener zu inszenieren, sowie die Pressekonferenz von heute mit einem wilden Spruch ("Demnächst heißt es, ich sei ein Massenmörder, nur hat es keine Leichen gegeben.") haben bei so manchem den Eindruck hinterlassen, als sei der erfahrene Jurist und Verwaltungsexperte und ehemalige Landespolitiker ein Mensch, der sich nicht gerne tief in eine Materie einarbeitet. So sagte er gegenüber Oliver Fritsch neulich: "Ich habe unsere juristischen Schriftsätze nicht verfasst. Ehrlich gesagt, hab ich sie gar nicht exakt verfolgt." Und Christopher Keil von der Süddeutschen Zeitung wurde auf folgende Weise ins Bild gesetzt: "Deshalb habe ich auch sofort gesagt, die Sache hat sich erledigt, als mich unser Vizepräsident Rainer Koch auf eine Internetdarstellung von Herrn Weinreich aufmerksam machte, aus der hervorging, dass er mit dem Begriff "Demagoge" nicht das gleiche Verständnis wie ich hatte. Und dies hat dann sein Anwalt uns gegenüber nochmals klargestellt. Damit war für mich der Vorgang beendet, deshalb haben wir auch keine Unterlassungsklage erhoben." Wie man weiß, soll die nun doch noch erhoben werden, die Klage, "nunmehr sorgfältig vorbereitet".
So kommt es, dass er in seinen Aussagen zu dem Themenkomplex meistens wie ein gesprächiger, um nicht zu sagen leutseliger Herr wirkt. Wie jemand, der zwar um seinen Ruf besorgt ist, aber am liebsten eher hemdsärmelig argumentiert. Man nehme die Gießen-Episode, die in der SZ ausführlich angesprochen wird und dadurch ein Fallbeispiel für den Umgang von Theo Zwanziger mit dem Konzept der Faktenlage wurde. So behauptet er, dass sich der Chefredakteur des Gießener Anzeiger bei ihm entschuldigt habe und insinuierte damit, dass sich der gestandene Journalist von der Berichterstattung in seiner eigenen Zeitung distanziert hatte. Davon kann gar nicht die Rede sein. Man könnte annehmen: Zwanziger hat entweder noch nie einen Prozess führen müssen, auf den sich unsereins mit gestochen scharfen Argumenten vorbereiten würde. Oder er mag sich nicht streiten und wirft lieber mit Nebelkerzen.
Wenn hinter dem Präsidenten nur ein einzelner Pressesprecher stände, würde man sich fragen: Ist der vielleicht die treibende Kraft? Stachelt der den Theo Zwanziger auf, um seinen Präsidenten mit publizistischem Offensivgeist in Stellung zu schieben? Aber beim DFB gibt es tatächlich noch einen weitaus wichtigeren Menschen: den Generalsekretär. Das ist der oberste Posten in der Hierarchie der bezahlten Kräfte. Inhaber dieses Amtes ist Wolfgang Niersbach, einst Mitarbeiter des Sport-Informations-Dienstes, dann DFB-Pressesprecher, später an der Seite von Franz Beckenbauer der Hauptverantwortliche für die Ausrichtung der Fußball-WM 2006. Über ihn weiß man sehr wenig. Außer, dass ihm nachgesagt wird, dass es sich bei ihm "um einen beharrlichen Menschen handelt, der mit Gewieftheit seine Ziele verfolgt. Und seine Karriere."
SEINE Karriere. Klingt interessant. Man sollte mithin davon ausgehen, dass dieser Wolfgang Niersbach in der Spanne von Jahren sehr viel gelernt hat auf dem Paternoster des Funktionärsbetriebs, der Leute wie ihn mit einer erstaunlichen Unvermeidlichkeit nach oben trägt. Er wird eine Meinung haben zu der öffentlich und in deutschen Gerichtssälen ausgetragenen Auseinandersetzung um die Interpretation des Wortes Demagoge. Und diese Meinung ist die Crux. Wenn Wolfgang Niersbach mal eine Meinung hat, dann handelt es sich nämlich schnell um eine "Grundposition" (siehe sein Anschreiben vom 14. November). Und mit einer "Grundposition" kann man nur auf eine Weise umgehen: Man muss sie "offensiv darstellen".
Das Darstellen überlässt man als erfolgreicher Spitzenfunktionär gemeinhin übrigens anderen Leuten. Das wirkt einfach besser. Niersbach hat das bisher ganz gut hinbekommen. Hätte er nicht neulich jene Aussendung unterzeichnet, die an hundert und mehr Multiplikatoren in Politik und Gesellschaft ging, hätte man seine Rolle als Kraftrad nicht mal erspäht. Womöglich bedauert er diesen Umstand noch heute – angesichts der massiven Gegenreaktion wäre das zu verstehen. Auf jeden Fall hält er sich seitdem wieder bedeckt und lässt andere die Arbeit machen. Eine Arbeit, die auf eine erstaunlich konsequente Weise den Ruf von Theo Zwanziger unterminiert.
Ist das interessant? Wäre Wolfgang Niersbach bereits am Ziel seiner beruflichen Wünsche angekommen, sicher nicht. Dass er neulich nicht ins UEFA-Exekutivkomitee befördert werden wollte, sollte einen nicht verwirren. Das Spiel, das Zwanziger und er spielen, als ständen sie vor einer Drehtür ("Nach dir, nein, nach, dir, nein, nach dir.") gehört zu den Usancen. Es wirkt honett und ebnet dem Präsidenten den Weg nicht nur nach oben, sondern auch nach draußen. Und wie heißt wohl der Nachfolger von Zwanziger? Ich würde wetten, es werden sich genügend finden, die sagen werden: "Wolfgang, mach du's."
Dazu muss der fragliche Posten natürlich erst mal frei werden. Das passiert allerdings nicht so schnell, wenn man dem nominell Ranghöheren dabei offen den Ast absägt. Das geht anders. Man umarmt die Menschen, die man beerben will, mit Solidaritätserklärungen und Lobpreisungen und wiegt sie in dem Gefühl, dass man ihnen nicht mal im Traum einen raschen Abgang wünscht.
Jeder mag seine eigenen Visionen davon entwickeln, auf welche Weise demnächst der Job wieder frei wird, den Theo Zwanziger zur Zeit inne hat und der im Jahr 2010 per Wahlakt für drei Jahre neu vergeben wird. Und welcher Name den Landesfürsten als erstes bei der Konklave einfallen wird. Bei der Wahl zum Generalsekretär hatte Niersbach übrigens keinen Gegenkandidaten. Warum sollte sich diesmal jemand gegen ihn stellen? Die Sache ist doch klar: Es gibt keinen besseren für den Job.
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