25. Juli 2010
Bitte ein Bier
Ich wusste, dass ich mir ein komisches Gesicht von der Barfrau am Flughafen in Fairbanks einfange, wenn ich sie frage: "Who would be a legal guardian of a 20-year-old?" Die Frage drängte sich zwar auf. Aber das heißt nicht, dass irgendjemandsonst in Alaska noch über den Quatsch nachdenkt, der aus einem weiträumig rund um die Theke in der Abflughalle gezogenen Kordon mit zahllosen kleinen Schildern besteht, auf denen man lesen kann: "No one under 21 allowed beyond this point without a legal guardian." Die Absperrung befindet sich knapp zehn Meter vom Ausschank entfernt, wo man eine ganze Reihe von guten in Alaska gebrauten Bieren frisch vom Fass haben kann. Zum Abschied bestellte ich ein mitteldunkles Silver Gulch aus Fairbanks, das ein Lager-Bier sein soll, aber leicht malzig und wie ein Alt-Bier schmeckt.
Jeder in den USA wird mit seinem 18. Geburtstag volljährig. Was den Konsum von alkoholischen Getränken angeht, bleibt er in den meisten Bundesstaaten ein rechtloses Wesen. Die Idiotie ist gar nicht lustig. Natürlich trinken volljährige Amerikaner Alkohol und organisieren spätestens an den Universitäten verbotene Partys, bei denen man sich solange den Kopf vollkippt, bis die Leber abwinkt und das Hirn zumacht. Binge-Drinking nennt sich das. Und ist zu einem üblen Sport geworden. Zu einem Status-Wettkampf wie die Sauferei in schlagenden studentischen Verbindungen.
Die Formulierung auf dem Schild war die Idee ihres Chefs, sagte die Bedienung, nachdem sie über die erste Verunsicherung hinweg war. Sie fragte, ob ich einen Vorschlag hätte, wie man das besser formulieren könnte. So weit geht die Liebe zu Alaska nicht, dass ich deren gesellschaftliche Hirnrisse mit mundfertigen Sätzen zukleistern könnte. Ich sagte ihr, ich sei kein Anwalt. Das einzige, was ich wisse sei: Ein Mensch ab 18 habe keinen legal guardian – also keinen Vormund. Den haben nur Kinder und entmündigte Erwachsene.
Ein paar Stunden zuvor hatte ich zum ersten Mal seit langem erlebt, wie bescheuert Gesetze sein können. Da saß ich in einem Hotelrestaurant und bestellte bei einer zierlichen Blondine ein Bier. Wenig später kam sie und ein fremder Mann zurück. Der Fremde trug das Tablett mit der Molson-Flasche und einem Glas. Die Blondine klärte mich auf. Sie sei erst 19. Sie dürfe mir keine alkoholischen Getränke servieren. Als sie das Essen brachte – eine Portion Fish and Chips, deren Kabeljau laut Speisekarte in einer Bier-Panade mit dem süffigen Alaskan Amber fritiert wird – trug sie den Teller wie selbstverständlich vor sich her. Das Bier am Fisch fand niemand bedenklich. Es war grotesk.
So grotesk wie die Frage, die zwei Abende zuvor bei den Eskimo-Indian Olympics den Kandidatinnen im Schönheitsköniginnen-Wettbewerb gestellt wurde: Ob sie, wenn sie die entscheidende Stimme hätten, dafür stimmen würden, dass in ihrem Dorf der Verkauf und Besitz von Alkohol verboten wird. Die Eskimos und Alkohol – das ist eine unendliche Geschichte. Nicht nur vertragen sie den Stoff nicht. Sie werden leichter davon abhängig. Die sozialen Folgen sind unübersehbar. Vor allem die Frauen bekommen sie ab. Da liegt schon mal die simple Forderung nah, wie sie vor hundert Jahren in den USA aufkam: Alkohol komplett verbieten. Fertig ist die schöne, klare Welt.
Die jungen Frauen auf der Bühne mühten sich redlich, dem politisch heiklen Problem auszuweichen und damit einer Haltung gegenüber dem eigentlichen Thema: Mit welchem Recht bevormundet ein Staat oder eine dörfliche Gemeinschaft ihre erwachsenen Mitbewohner? Die Eskimos haben ein Klan-Verständnis und sind keine lupenreine Demokraten. Sie werden sich mithin sehr schwer tun, die Lektion nachzubereiten, die sich mit der Prohibition verbindet, die in den zwanziger Jahren über dieses Land verhängt wurde – radikal und schön demokratisch zugleich mit einer Verfassungsänderung. Wie lautete die Lektion? Solche Verbote fördern die Kriminalität (und die Mafia) und werden von den meisten Leuten nicht eingehalten. Die Prohibition wurde 1933 nach nur dreizehn Jahren wieder abgeschafft. Die seltsame Koalition aus puritanischen Moral-Schlaumeiern, der damaligen Frauenbewegung und Freunden der Einführung einer Einkommenssteuer (bis dahin sorgte in den USA die Steuer auf Alkohol für eine enormen Anteil an den staatlichen Einnahmen), konnte ihre absurde Bevormundungspolitik zumindest im großen Stil nicht länger durchdrücken. Bis dahin war die Bierindustrie fast komplett und der Weinanbau völlig ausgemerzt worden.
Wie löste sich das Ganze wieder auf? Man überließ es den Bundesstaaten, sich ihre eigenen Gesetze auszudenken, wozu die Altersregelung gehörte, die bis in die frühen siebziger Jahre mit dem Mindestalter von 21 zumindest eine gewisse Logik besaß. Denn erst damals wurde die Volljährigkeit ähnlich wie in Deutschland zum gleichen Zeitpunkt auf 18 heruntergesetzt.
Der 19-jährigen Bedienung in der Bear Lodge, eine kluge Studentin, die sich für Politikwissenschaften interessiert, habe ich empfohlen, sich eine Strategie zu überlegen, wie sie die Einschränkung ihrer verfassungsmäßig garantierten Rechte ("right to privacy") einklagen kann. Es braucht nur jemanden, der die Energie besitzt und das Thema bis vor den Supreme Court in Washington bringt. Der dürfte analog zu einer Entscheidung über gesetzlich verbotene sexuellen Praktiken in den eigenen vier Wänden auch diesen Irrsinn beenden. Aber wo kein Kläger ist kein Richter.
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5 Kommentare:
Ich wusste, dass ich mir ein komisches Gesicht von der Barfrau am Flughafen in Fairbanks einfange, wenn ich sie frage: "Who would be a legal guardian of a 20-year-old?"
Und ich wusste, dass mich nach dieser Einleitung ein besonderer Blogeintrag erwarten würde. Ich habe mich nicht geirrt.
Ein Buch mit solchen kurzen Geschichten, erhellend und amüsant zugleich, das wäre ein Buch, das ich gerne lesen würde.
Gruß vom Kid
brillant
That’s hilarious, can’t imagine what I would have reacted had I been in such situations.
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