15. Juli 2010
Armstrongs Geschichten haben kurze Beine
Wenn Leute anfangen müssen, die entscheidenden Kleinigkeiten in ihrem Leben zu vernebeln und wegzudiskutieren, tun sie das oft, weil sie sich in der Vorstufe zu einer schwierigen Lage wähnen. So produziert der Mensch beim Versuch, Dinge zu erklären, die man gar nicht erklären kann, weil sie ganz anders abgelaufen sein müssen, eine fatale Tendenz zum Umgang mit der Wahrheit oder sagen wir besser mit der Wahrhaftigkeit. So wie heute der Anwalt von Lance Armstrong, der in Vertretung seines Mandanten die Glaubwürdigkeitskrise meistern soll, in die der Radfahrer geraten ist.
Armstrong war am Mittwochmorgen vor der zehnten Etappe der Tour de France nach seinen Anteilen an der Radsport-Managementfirma Tailwind gefragt worden, die das US Postal Team aufgezogen hatte, in dem er einst mit Floyd Landis an den Start ging. Und was sagte er in vielen, vielen Worten, die aus seinem Mund immer so farbig und gleichzeitig so eindeutig klingen und so, als ob der Rest der Welt zu doof ist, die Handlungsweise des siebenfachen Tour-Siegers zu verstehen: "Die krasseste Sache ist das Missverständnis, dass ich der Besitzer des Teams war. Das ist komplett falsch. Kein Besitzer, ganz und gar nicht. Es war nicht meine Firma. Ich kann es euch gegenüber nicht klar genug sagen. Ich hatte keine Stelle inne. Ich hatte keinen Anteil. Ich bekam keine Gewinnausschüttung. Ich saß nicht im Vorstand. Ich war ein Fahrer im Team. Klarer kann ich es nicht sagen."
Vielleicht sagt er solche Sachen, weil er denkt, dass der Rest der Welt zu doof ist, seine Einlassungen zu überprüfen. Oder weil er über die Jahre viele Leute in seinem Umfeld eingeschüchtert hat, die Angst bekamen vor dem langen mächtigen Arm seines Einflusses in der Branche. Auch die amerikanischen Medien haben sich lange Zeit als Cheerleader von Armstrong verstanden, weil sie einfach glauben wollten, dass er stets sauber war. Dass die Franzosen einfach nur gehässig waren und ihn zu Fall bringen wollten, weil er Amerikaner ist. Und dass die wenigen Menschen, die den Mut hatten, auszuplaudern, was sie wussten, irgendein niederes Motiv verfolgen. Obwohl sie mit ihren gegen Armstrong gerichteten Aussagen ihre beruflichen Aussichten gefährdeten.
Tempi passati. Es dauerte gestern nicht sehr lange, da hatten die ersten fleißigen Blogger und Reporter die entsprechenden Stellen im Protokoll der Vernehmung von Lance Armstrong in einem Schiedsgerichtsverfahren von 2005 gefunden. In der hatte er unter Eid etwas ganz anderes gesagt. So war also in ein paar Stunden war er und dieser ganze pseudo-puritanische Ernst desavouiert. Und das steht so in vielen Zeitungen. Auf die Frage des gegnerischen Rechtsanwalts, ob er einen Anteil an Tailwind halte, antwortete er damals: "Einen kleinen." Auf die Bitte hin, das zu präzisieren, sagte er: "Vielleicht zehn Prozent." Genaues über den Zeitpunkt seines Geschäftseintritts konnte er nicht mitteilen. Er wirkte so, als ob ihm die Details einer solcher geschäftlichen Beziehung eher wenig interessierten. So hackte der Anwalt nicht weiter darauf herum:
"Wer würde die Antwort wissen, wann Sie einen Anteil an Tailwind erworben haben?", wollte er wissen
Armstrong verwies auf seinen Manager und nannte dessen Namen: "Bill Stapleton."
"Ist das schriftlich dokumentiert? Gibt es einen Anteilsschein oder andere Papiere, die Ihren Anteil an Tailwind bestätigen?"
Armstrong: "Ich bin sicher, dass es das gibt."
Heute nachmittag versuchte Armstrong Anwalt Tim Herman den offensichtlichen und markanten Widerspruch zwischen den beiden Aussagen wegzuerklären. Der Radfahrer habe zwar laut Vorstandsbeschluss aus dem Jahr 2004 einen Anteil erhalten sollen, der wurde aber erst im Dezember 2007 vergeben. Interessant, denn das widerspricht Minimum der Aussage des erwähnten Bob Stapleton aus dem September 2005, der damals in der gleichen Sache vernommen wurde und folgendes erklärte: Armstrong sei einer von zehn oder 15 Tailwind-Partnern. Sein Anteil: 11,5 Prozent. Darauf dass auch diese Aussage unter Eid von damals nicht zur der heutigen Einlassung passt, ging Herman nicht ein. Gleich zwei Leute haben sich damals geirrt? Und war dann auch die Aussage von Stapleton falsch, wonach Tailwind vom Winter/Frühjahr 2003/2004 an von Stapletons Firma Capital Sports & Entertainment gemanaged wurde, an der Armstrong einen beachtlichen Anteil hatte? Auch das wissen wir aus den Protokollen der Vernehmung von 2005. Für die Managementrolle erhielt CSE einen Anteil an Tailwind von 11,5 Prozent.
Ehe wir uns in den Details verlieren, hier noch mal das Ganze vereinfacht: Armstrong bestreitet heute, was er und sein Manager 2005 unter Eid ausgesagt haben. Warum? Weil er gehört hat, dass ihm die ermittelnden Behörden, die die Landis-Vorwürfe ernst nehmen, als Teilhaber einen Anklage wegen Betrug und Verschwörung an die Kappe heften wollen. Also wird bestritten, dass er Teilhaber war. Interessant ist aber auch, mit welcher Nebelkerze sein Anwalt heute gearbeitet hat. Danach soll Armstrong Ende 2007 Anteilseigner von Tailwind geworden sein, obwohl die Firma just zu diesem Zeitpunkt ihre einzige relevante Einnahmequelle einbüßte - das Sponsorengeld des Discovery Channel? Das Discovery Team war schon vorher aufgelöst worden.
Erneut dauerte es nicht lange, bis heute ein amerikanisches Medien-Outlet – NBC Sports – diesen Sachverhalt aufdeckte und damit aufzeigte, dass sich Lance Armstrong beim Bau seiner Kartenhäuser einen schlechten Architekten ausgesucht hat: sich selbst. Der Druck der staatsanwaltlichen Ermittlungen und der ziemlich präzisen Beschuldigungen von Floyd Landis werden nicht weniger, sondern mehr. Eine Firma namens Tailwind Sports Corporation, die in Kalifornien registriert worden war, führte übrigens seit 2002 als Adresse die gleiche Anschrift wie Capital Sports & Entertainment und ein von Armstrong aufgemachter Fahrradladen.
Zur Einordnung: meine Geschichte für die Freitagausgabe der FAZ. Dazu der Hinweis auf ein informatives Interview von Sebastian Moll mit einem amerikanischen Spezialanwalt für dopingbeschuldigte Sportler in der Financial Times.
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