Das größte Spektakel abseits vom Spielfeld, das die NBA je erlebt hat, hinterließ am Ende nur einen faden Eindruck. Es ging zwar um viel. Schließlich war (ist?) LeBron James der rundum beste Spieler in der Liga. Aber das ändert sich nicht durch seinen Wechsel zu einem anderen Club. Er wird, was seine Solo-Performances angeht, in Miami nicht mehr bieten als in den sieben Jahren bisher in Cleveland. Wenn man so will: das Beste von LeBron James haben wir bereits gesehen. Im neuen Trikot mit der Nummer sechs wirken die Kabinettstückchen nicht besser.
Wovon wir allerdings nur einen Vorgeschmack erhalten haben, ist die extreme ESPN-fizierung der Sportberichterstattung. Denn die Sondersendung am Donnerstagabend aus Greenwich/Connecticut sorgte für eine bemerkenswerte Einschaltquote. Der Rating-Wert belief sich auf 7,3, was ungefähr acht Millionen Haushalten entspricht. Das ist das Grundrauschen, um einen Begriff aus der WM-Berichterstattung von dogfood auf allesaussersport zu entlehnen. Eine Kennziffer für den Buzz, der dem Basisinteresse in den USA an einer Figur wie LeBron James, entspricht wenn ein paar Kriterien erfüllt werden:
• Die Ausstrahlung muss in der Prime Time stattfinden.
• Das Sportangebot auf anderen Kanälen muss dünn sein.
• Es muss vorher hinreichend Spannung aufgebaut worden sein, damit die Mitteilung der bereits gefassten Entscheidung als besonderes Ereignis verkauft werden kann.
• Es müssen sich hinreichend andere Medien-Outlets nicht zu schade sein, um den Vorgang selbst tagelang aus allen spekulativen Richtungen zu beackern.
• Die Hauptfigur muss ein Sympathieträger sein, vom dem sich viele wünschen, er käme womöglich auch zu ihrem Club.
Die Ironie der Geschichte ist: LeBron James selbst hat in der Abteilung "Sympathieträger" an diesem Abend sehr viel Kredit verspielt. Da half es auch nichts, dass er ESPN den Weg verbaute, aus dem Event mehr als 2 Millionen Dollar an Werbeeinnahmen zu vereinnahmen (die Werbespots wurden von einem eigens von James und seiner Marketingfirma gegründeten Unternehmen an langjährige Werbepartner verkauft und die Einnahmen angeblich für wohltätige Zwecke bereitgestellt). Die Einlassungen über die Gründe seines Wechsels wirkten schlichtweg nicht begründet, sondern fischig. Denn dass jemand wie er mit den Cleveland Cavaliers keine Titel gewinnen kann, ist schlichtweg nicht wahr. Die Mannschaft zeigte Jahr und Jahr in leicht unterschiedlichen Besetzungen, dass sie Chancen auf die Meisterschaft hat. Die einzige Frage, die sich über die Zeit stellte, war: Ist LeBron James als Star einer Mannschaft überhaupt in der Lage, solch eine Leistung zu produzieren? Es ist die gleiche Frage, die man sich bei Dirk Nowitzki vorlegt. Manche Basketballer sind einfach keine Meisterschafts-Typen, weil sie die innere Struktur eines Teams nicht auf eine Weise dominieren wie das etwa Michael Jordan bei den Chicago Bulls getan hat. In Chicago vergingen übrigens auch viele Jahre, ehe die Bulls eine Formation zusammen hatten, die mehr war als eine Jordan-Highlight-Show. Nicht zu unterschätzen: Der Trainerwechsel, der Phil Jackson, Tex Winter und die Triangle Offense zu den Bulls brachte.
Das heißt: Der Wechsel ist ein Eingeständnis von Schwäche. Das ist a priori kein Problem. Basketball ist eine Mannschaftsportart. Da braucht man eine Reihe von guten Leuten, um eine derartige Mammutsaison an der Spitze zu beenden. Und ebenso ein hervorragendes Trainerteam, das im entscheidenden Moment mit taktischen Geniestreichen aufwarten kann. Aber die Vermarktungsarena rund um den Sport von heute tickt nicht derart differenziert. Alles in der Außendarstellung – vor allem in der NBA – baut sich auf eine Reduktion der Auseinandersetzungen auf dem Platz auf eine Willensleistung der Stars im direkten Spiel gegeneinander auf. Die Medien sind auf diesen Alpha-Tiere-Zirkus hereingefallen und stricken an den entsprechenden Mythen. Sei es in der Vorberichterstattung, wenn die Begegungen von Teams mit namhaften Profis als Duell der stars charakterisiert wird, oder in der Nachbearbeitung, wenn am liebsten spektakuläre Einzelleistungen gefeiert werden. In diesem Schema sah das bisher so aus: In Cleveland war James der King. In Miami ist das Dwayne Wade. LeBron – ein König ohne Land.
Diese Denkfixierungen auf Individuen und deren Persönlichkeitsmerkmale macht nirgendwo halt. So hatten sowohl Dwayne Wade in einem Fernsehinterview bei ESPN als auch LeBron James bei seinem seltsamen Auftritt erklärt, dass sie mit dem seit zwei Jahren amtierenden Trainer Erik Spoelstra zusammen werden. Woher kam die Neugier nach Spoelstra? Nun Team-Präsident Pat Riley hatte schon einmal einen jüngeren Trainer, den er selbst installiert hatte, ohne erkennbaren Grund auf die Seite geschoben und sich selbst wieder zum Inszenator Rex ernannt. Das war die Saison, in der Miami am Ende zum ersten und bisher einzigen Mal die Meisterschaft gewann. Der geschasste Stan van Gundy (offiziell hatte er seinen Rücktritt eingereicht, um "mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen"), zeigte wenig später in Orlando, was er kann. Rileys Post-Titel-Phase hingegen entblößte ihn schließlich als Kaiser ohne neue Kleider. Der höchst unzufriedene Shaquille O'Neal wurde nach Phoenix weggetauscht (für Shawn Marion and Marcus Banks). So zog er sich 2008 wieder in die Chefetage zurück und übergab seinem langjährigen Assistenten Erik Spoelstra den Posten.
Spoelstra hat in der NBA nur in einem Club gearbeitet – bei den Miami Heat, wo er 1995 als Videospezialist anfing und sich allmählich nach oben arbeitete. Als die Mannschaft nach zwei Niederlagen in der Finalserie 2006 gegen die Dallas Mavericks im letzten Viertel des dritten Spiels einen Rückstand von 13 Punkten aufholte und das Match gewann und anschließend auch die Serie, war Spoelstra Chefscout und Taktikfuchs auf der Bank. Eine Rolle, die er heute gerne herunterspielt. Ich nehme mal an, weil man das in der Zunft so macht. Und weil er nicht den Eindruck erwecken möchte, als bräuchte eine Figur wie Pat Riley wirklich Hilfe.
Niemand sollte sich wundern, wenn die Spekulationen eintreffen, die seit gestern von der New York Daily News und von yahoo gestreut werden. Bis zum Beginn der Saison ist es noch weit. Ich tippe allerdings, dass Spoelstra, der mit einer nicht besonders guten Mannschaft in der ersten Runde der Playoffs gegen die Boston Celtics ausschied, eine ganze Weile lang fest im Sattel sitzen wird. Der Rest hängt, wie immer, von den Ergebnissen ab, die die Mannschaft einfährt.
Mehr zu dem LeBron-Tamtam gleich im Deutschlandfunk in der Sendung Sport am Samstag (Beginn: 19.10 Uhr).
Sehr zu empfehlen: Diese Betrachtung von Matt Taibbi im Rolling Stone zum Donnerstags-Ereignis und den Weiterungen dieses Inszenierungsstils aus der Reality-TV-Ecke auf das amerikanische Fernsehen und die von der Medienkultur beherrschte amerikanische Politik.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen