Morgen beginnen in St. Andrews an der schottischen Ostküste die British Open, das dritte Major des Jahres im Golf. Abgesehen von der Tatsache, dass es ein wenig langweilig anmutet, wenn ein solch bedeutendes Turnier alle fünf Sommer auf demselben Platz stattfindet, verführt er die Golf-Journalisten zu verschnörkelten Reminiszenzen der Geschichte des Spiels. Denn – so geht die Saga – St. Andrews ist die Geburtsstätte der Sportart. Tatsächlich hat sich das Spiel seit seiner Geburt gravierend verändert. Nachdem zunächst die Bälle durch eine enorme technische Revolution gingen, wurden auch die Schläger zu Präzisionswerkzeugen, und beides zwang die Golfplatzbesitzer, ihre Anlagen immer mehr in die Länge zu ziehen. Länger ist nicht besser, sondern einfach nur länger. Da ist es umso angenehmer zu sehen, dass die Spieler selbst sich nur unwesentlich verändert haben. Im Gegenteil. So wie die Bevölkerung in den reichen westlichen Ländern, deren Ernährungsgewohnheiten in naher Zukunft eine Gesundheitskrise heraufbeschwören werden (zusätzlich zum Bedarf an breiteren Sitzen in Flugzeugen und den Wartezimmern der Ärzte), wirken derzeit eine Menge ziemlich erfolgreicher Golfprofis. Rundlich, übergewichtig, um nicht zu sagen dick. Und auch alte Spieler, woanders in der Alterskategorie "Männer IV" eingestuft, halten mit. Mit anderen Worten: Golf wirkt selbst in der Zeit des roboterhaften Erfolgsprofis Tiger Woods noch immer irgendwie ganz menschlich.
Zu diesem Thema habe ich vor ein paar Wochen für die Züricher Sonntagszeitung einen Text geschrieben. Er passt noch immer in die Zeit:
Von allen Kennziffern, die die amerikanische PGA Tour über ihre Profis veröffentlicht, wirkt eine besonders kurios. Die Statistik nennt nicht nur das gewonnene Preisgeld, das Geburtsdatum oder die Körpergrösse. Die Unterlagen machen ein weiteres Detail publik: das Körpergewicht des Golfspielers. So konnten Zuschauer, die noch nie etwas über einen gewissen Brendan de Jonge aus Simbabwe gehört hatten, rasch ermitteln, wieviel der rundliche 29-jährige aus Simbabwe auf die Waage bringt, nachdem der überraschend nach dem ersten Tag der US Open den ersten Platz belegte: satte 103 Kilogramm.
Das Turnier auf dem schwierigen, 6300 Meter langen Platz von Pebble Beach ist kein Spaziergang. Die vier Tage verlangen den Teilnehmern in Wind und Wetter eine Menge ab. Weshalb sich im Laufe der Jahre ein Typ von Golfprofi durchgesetzt hat, der dem Vorbild des im Fitness-Studio gestählten Weltranglistenersten Tiger Woods ähnelt: Der verfügt über wohlproportionierte Muskelpäckchen in den Armen und Schultern.
Doch ein Erfolgsrezept ist das nicht. Man denke nur an all jene Herren, die mit schwerem Schritt über den Platz wandern, aber am Ende die bedeutendsten Titel gewinnen. Ob der Argentinier Angel Cabrera (Gewinner US Open 2007 und Masters 2009, Gewicht laut offiziellen Angaben: 95 Kilo und dazu Kettenraucher) oder ob Phil Mickelson (Sieger beim Masters 2004, 2006, 2010, 91 Kilo) – sie alle schleppen bei wichtigen Ereignissen stärker an dem Gewicht der eigenen Erwartungen als an der Masse aus überflüssigem Fettgewebe. So zählte der Amerikaner Mickelson bei diesem Turnier zu den Favoriten, nachdem er sich am Freitag mit einer hervorragenden zweiten Runde von 66 Schlägen auf den zweiten Rang im Zwischenklassement vorgearbeitet hatte (hinter dem späteren Sieger, dem Nordiren Graeme McDowell).
Aber nicht nur Körperumfang scheint im Spitzengolf kein Problem zu sein. So konnte sich für die US Open in diesem Jahr ein Spieler qualifizieren, der vor zwei Jahren bereits sein zweites neues Herz eingepflanzt bekommen hatte. Die Geschichte des Amerikaners Erik Compton, der am Freitag allerdings am Cut scheiterte, zeigt zumindest eines: Die wahren Qualitäten eines Golfers müssen aus etwas anderem bestehen, als jenem Schaltkreislauf, den Athleten in Sportarten wie der Leichtathletik oder beim Radrennen inzwischen zunehmend mit Dopingmitteln manipulieren.
Man denke nur an die British Open im schottischen Turnberry im letzten Jahr, als bis zum vorletzten Loch ein 59-jähriger an der Spitze lag. Der amerikanische Ausnahmegolfer Tom Watson, der vier Tage lang mit einer erstaunlichen Präzision gespielt hatte, verlor erst im Stechen gegen den um 23 Jahre jüngeren Landsmann Stewart Cink. Eine ähnlich ungewöhnliche Leistung hatte 2008 der Australier Greg Norman geschafft. Der ging in Royal Birkdale als Führender in die entscheidende Runde und wurde Dritter – im Alter von 53 Jahren.
Immerhin: Sowohl Watson als auch Norman haben im Unterschied zu vielen Kollegen auf der Champions Tour der Profis über 50 kein überflüssiges Gramm zugenommen. Ein Aspekt, von dem vor einiger Zeit der ehemalige Weltranglistenerste David Duval sprach, als er davon hörte, mit welchem Argument der übergewichtige Engländer Lee Westwood (offiziell: 94 Kilo) jede Frage nach seinen Essensgewohnheiten abschmetterte: “Hätte ich Athlet werden wollen, dann wäre ich 400-Meter-Läufer geworden. Ich bin kein Athlet, ich bin Golfer.”
“Der Golfschwung ist ein sehr athletischer Bewegungsablauf”, rechtfertigte Duval seine damalige seine rigorose Hinwendung zu intensivem Hanteltraining. Wenig später gewann er die British Open. “Fitness", so meinte er, "sorgt für eine längere Karriere und hilft Verletzungen zu vermeiden.”
Tatsächlich leidet Duval seit dem größten Erfolg seiner Karriere an einer unerklärlichen Formschwäche und liefert nur noch selten und inzwischen auch mit einigem ziemlichen Extra-Gewicht in der Bauchgegend bemerkenswerte Resultate ab. Westwood hingegen spielt seit ein paar Jahren bei den wichtigen Turnieren ständig um den Titel mit und steht auf Platz drei der Weltrangliste. Nach zwei Runden in Pebble Beach lag er in Lauerstellung auf dem 16. Platz. “Ich habe gute Chancen”, sagte er.
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