17. Mai 2007

Video-Postkarte aus Florida: Deutsche Baseball-Hoffnung bei der Arbeit

Ein paar Leute, die für namhafte Publikationen arbeiten (Die Welt, Süddeutsche Zeitung, Stuttgarter Zeitung, Tagesspiegel) hatten es registriert und daraufhin den 20jährigen Baseball-Pitcher Rodney Gessmann aus Regensburg ausführlich nach Florida verabschiedet. Man kennt den Tenor: In solchen Geschichten schwingt immer auch die latente (und übertriebene) Hoffnung mit, dass die Tatsache an sich - der Wechsel in das System eines Major-League-Clubs - schon etwas Besonderes sei. Sicher: Minnesota Twins klingt gut. Klingt nach großer, weiter, anspruchsvoller Baseball-Profi-Welt. Und entsprechend wird in den Geschichten immer so getan, als fehle nicht viel und der Junge kommt in Amerika ganz groß raus (mit Überschriften wie "Vor dem großen Wurf"). Die wichtigeren Informationen stehen weiter hinten: "Einer von 60 Neuen bei den Twins, eines von 1500 Talenten, die in diesem Jahr im US-Baseball neu getestet werden." (Tagesspiegel). "Der Weg ins Stammteam der Twins in der Major League Baseball (MLB) ist weit. Vier kleinere Ligen muss er durchqueren. Rein statistisch schafft es einer von knapp 20.000 Spielern in die Profiliga. Und erst dort gelangt man zu Ruhm und Geld." (Die Welt)

Die letzte Aussage - einer von 20.000 - scheint übertrieben, aber sie verdeutlicht die Crux. Das haben schon mehrere junge Deutsche herausfinden können, wie die Süddeutsche nachgehalten hat. Und alle sind spätestens nach dem zweiten Jahr wieder in die Heimat zurückgekehrt. Nach oben ist keiner geklettert. DAS ist die Realität: Im Baseball wachsen in Deutschland keine Nowitzkis, keine Krupps, nicht mal Ritzmanns heran oder solche Figuren wie Benjamin Becker, die am College in den USA mit Erfolg an ihrer Tennis-Karriere arbeiten.

Selten genug machen die Reporter vor Ort mal eine Stichprobe. Ich hatte vor ein paar Jahren die Gelegenheit und habe Mitch Franke in Phoenix besucht und ausführlich interviewt, der damals im System der Milwaukee Brewers spielte. Einen ähnlichen Text, der 2001 in der FAZ erschien und die Desillusion und die Anstrengung im Kampf um die große Chance einfing, könnte man heute vermutlich wieder schreiben. Aber es gibt ja YouTube. Und eine fleißige Videographin namens Dianna, die in Blog-Form und mit ein paar anderen Anhängern im Webseiten-Format das Schicksal der Fort Myers Miracle dokumentiert, dem Rookie League Club, in dem Gessmann derzeit spielt. Dianna hat Ende April in einem Spiel eine Arbeitseinheit von Gessmann mit den simplen Mitteln einer stationären Kamera eingefangen. Man sollte ein bisschen von Baseball verstehen, um zu erkennen, worin das Problem in diesem Spiel besteht, in dem der Nachwuchs-Pitcher aus Deutschland - Spitzname "The German Kid" - in einem desaströsen Inning fünf Walks, 2 Singles und einen Home Run produzierte. Der große Wurf?

Zu dem Video gibt es noch einen zweiten Teil. Hier.

9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

vielen herzlichen Dank für diesen (wieder einmal) hervorragend recherchierten und aufbereiteten Hintergrundbericht. Seriös und wissenswert erhält man hier einen Blick hinter die Kulissen der MLB-Glitzerwelt und in die Tretmühle der Minor Leagues - immer weiter so!

Philipp Würfel hat gesagt…

Ich finde das größte Problem mit dem Baseball in Deutschland ist einfach die Tatsache, das sie zu wenig Spiele im Jahr haben und damit die Spielpraxis fehlt, die Amerikaner schon von Kindesalter haben. In der Bundesliga gibt es 14 Doubleheader (also 28 Spiele) pro Saison plus Playoffs. Das ist einfach zu wenig. In den USA spielen sie schon an der High School mindestens doppelt soviel.
Für all die es interessiert: die Stats von Gessmann aus dem letzten Jahr: http://stats.baseball-softball.de/archive/2006/1bls/?f=gl79
Er kam zumeist als Center Fielder zum Einsatz. Seine Pitchstatistiken sind von zu geringem Umfang, als das man da Rückschlüsse auf sein Talent ziehen kann.
Mit 20 Jahren hat er aber seine Zukunft noch vor sich.

Jürgen Kalwa hat gesagt…

Danke für beide Kommentare. Auch für den Hinweis auf die Stats.
@Philipp: Der deutsche Verband scheint einiges zu tun, um das Manko ansatzweise zu bekämpfen. Aber gleichzeitig steigen die Erwartungen, sobald mal jemand in die USA geholt wird. Eines der großen Probleme ist meiner Meinung nach, dass man sich als unerfahrener Spieler in den Vereinigten Staaten unendlich reinhängen muss und isoliert lebt und keine schnellen Erfolge sieht und trotzdem an sich und seine Ziele glauben muss. Und man muss arschig sein und seine Mitspieler als Konkurrenten betrachten und sie wegbeißen. Für die meisten ist das Leben in Deutschland im Vergleich dazu sehr viel angenehmer. Anders als für die Burschen aus der DomRep. Für die bedeutet jeder Karrieresprung ein Stück mehr an Lebensqualität. Also strengen sie sich noch ein bisschen mehr an. Und dieses bisschen ist oft der entscheidende Unterschied.

SOR hat gesagt…

Auch wenn ich mit meinem Kommentar (erneut) ein bisschen zu spät komme und meine beiden Vorredner im Grunde alles gesagt haben: Toller Blog-Eintrag, der einem einen schönen Einblick in die ruhmreiche Baseball-Welt gibt. Für mich als Statistik-Spezi ein besonderes Lesevergnügen.

Anonym hat gesagt…

Ja, echt suuuuper recherche! Wenn man jeden Pitcher auf Grund eines Innings beureilt, sollte es nicht sonderlich schwierig sein ihn schlecht zu machen. Wie wärs mal mit richtiger Recherche!? Wo sind die ganzen Stats? Oder hat da jemand mit viel glück bei youtube was entdeckt? jetzt bin ich mal gespannt...

Jürgen Kalwa hat gesagt…

@#22: Was soll das? Keiner macht Gessmann schlecht. Hier wird nur vor übertriebenen Erwartungen gewarnt, die immer wieder von Journalisten geweckt werden, die wahrscheinlich noch zu keinem Baseballspiel in den USA waren. Was gibt es da noch zu recherchieren? Gessmann ist nur Zeit nicht mal im Roster (siehe Webseite: http://www.miraclebaseball.com/team/ Sollte man die Info zu seinem Videoauftritt weglassen? Warum ausgerechnet dieses Inning ausgewählt wurde ist mir schleierhaft. Genauso wie die Kameraposition, die einem keinen Überblick über das Geschehen erlaubt.

Anonym hat gesagt…

Rodney spielt gar nicht bei den Fort Myers Miracle (A), sondern bei den Gulf Coast League Twins in der Rookie League (die sind aber auch in Ft. Myers angesiedelt). Deswegen ist er auch nich im Roster der Miracles zu finden.

Jürgen Kalwa hat gesagt…

@nicman#28: Danke für denn Hinweis. Ich bin übrigens mit der Videodame im Kontakt. Wir haben ein Interview geplant.

Anonym hat gesagt…

Keine Ursache...bin mal gespannt auf das Interview.