Übrigens: Falls sich jemand fragt, weshalb Mark McGwire nach so vielen Jahren den Mund aufmacht und zugibt, was er im Grunde nie bestritten, sondern immer nur pflaumenweich umschifft hatte. Dies wäre eine Spur: Sein Bruder Jay, mit dem er schon jahrelang keinen Kontakt mehr hat, wird nach Angaben von Amazon in ein paar Tagen mit einem Buch auf den Markt kommen, dass das Doping-Thema Schwarz auf Weiß belegt. Jay hatte eigenen Angaben zufolge einst als Bodybuilder und Fitnesstrainer den Baseball-Bruder mit Anabolika bekannt gemacht und ihm wohl auch die ersten Spritzen verpasst. McGwire wollte vermutlich den neuerlichen Anschuldigungen (die alten kamen konkret von seinem ehemaligen Mannschaftskameraden Jose Canseco) den Wind aus den Segeln nehmen. Trotzdem hat er mit dem späten Eingeständnis aus heiterem Himmel gestern keine Sympathiepunkte gesammelt. Der Tenor vor allem unter anderen ehemaligen Spielern, ist eindeutig: Die Leistungen von Leuten wie McGwire haben in dem statistikversessenen Spiel natürlich ihre eigenen Werte schlechter aussehen lassen. Wer weiß, wer alles in jener Zeit als Trainer oder redlicher Spieler seinen Job verloren hat, weil plötzlich die aufgepumpten Michelin-Männchen antraten und die Maßstäbe für Erfolg verschoben.
Mir ist in diesem Zusammenhang übrigens eine Episode aus dem Jahr 1998 wieder eingefallen, als ich für den Züricher Tages-Anzeiger zunächst über McGwire schrieb: "Zu seinem Aufbauprogramm gehören nicht nur Steaks und Hamburger, sondern ebenso die unter Amerikas Profis populäre Muskelsubstanz Kreatin und das testosteronfördernde Mittel Androstenedion, das ausser im Baseball und Basketball in fast allen Sportarten auf der Dopingliste steht." Wenige Tage später monierte ich die Art und Weise, wie man in den USA das Auslöschen des alten Rekords von Roger Maris gefeiert hatte: Mit einer Unterbrechung mitten im Spiel, in der McGwire ein Mikrofon in die Hand gedrückt bekam und eine Ansprache halten durfte. Parallel liefen damals auf der Anlage in Flushing Meadow die US Open im Tennis. Und die Schweizer Spielerin Martina Hingis wurde tatsächlich von den anwesenden Journalisten in der Pressekonferenz genötigt, zu diesem Baseball-Theater eine wohlwollende Stellungnahme abzugeben.
Ich charakterisierte diesen Vorgang als "krankes Wir-Gefühl". Das gefiel den Baseball-Fans in der Schweiz ganz und gar nicht. Und so findet man noch heute in den Archiven der Zeitung einen ärgerlichen Leserbrief mit pauschalen und völlig überzogenen Vorwürfen an meine Adresse.
Schwamm drüber. Es war natürlich krank. Und ein Symbol für all das, was an dem Massenwahnsinn des amerikanischen Sports bisweilen durchknallt. Ja, und Mark McGwire war gedopt. Seinen Ruf als Sportbetrüger zementierte er allerdings erst vor vier Jahren, als er bei einer Anhörung im Kongress in einem denkwürdigen Auftritt unter Eid wiederholt einer Antwort auf die zentrale Frage auswich. Ein Betrüger. Geständig, ja. Aber ein Mann ohne Mumm, der sich immer nur Sorgen um sich selbst machte, weil der Anabolika-Konsum gegen Gesetze verstoßen hatte und die Verjährungsfrist für seine Vergehen noch nicht abgelaufen war. So jemand wirkt im Jahr 2010 denn einfach nur wie eine Karikatur.
Die nächste Frage lautet: Wann wird Major League Baseball darüber nachdenken, die Rekorde aus der Anabolika-Zeit zu streichen? Mit jedem Geständnis der Top-Spieler wie zuletzt Alex Rodriguez fällt die Blase in sich zusammen. Aber wahrscheinlich darf man von Commissioner Bud Selig in der Richtung nichts erwarten. Amerikas nostalgisch angehauchte Sportart leistet sich im höchsten Amt einen Menschen, der aussieht wie einen Schluck Wasser in der Kurve.
1 Kommentar:
Was wohl Barry Bonds (seit seiner Zeit bei den Pirates mein Lieblingsspieler) dazu sagt?
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