13. September 2009
Serena Williams rastet aus
Es lohnt sich, diese sechs Minuten Zeit aufzubringen, um die Entwicklung und den Ausgang des bizarren Geschehens bei den US Open in Flushing Meadows am Samstagabend nachzuvollziehen. Das simple Faktum: Serena Williams verliert das Match gegen Kim Clijsters, als der Schiedsrichter der Belgierin den Matchball zuspricht, weil die Amerikanerin eine Linienrichterin beschimpft hat. An dieses Match werden sich vermutlich noch lange viele Leute erinnern. Nicht nur die Zuschauer im Arthur-Ashe-Stadion, die zunächst gar nicht nachvollziehen konnten, welches Drama sich auf dem Platz abspielt. Die Erinnerung wird mit dem Namen Serena Williams gekoppelt sein und kaum mit dem von Clijsters, die an diesem Abend auf jeden Fall die bessere Spielerin war. Das Verhalten von Williams war deshalb so teuer, weil sie bereits im Verlaufe der Begegnung eine Verwarnung erhalten hatte. Die nächste Eskalationsstufe der Disziplinarstrafen im Tennis ist der Punktverlust. Wobei Verlust in dem Fall nicht wörtlich zu nehmen ist. Denn dem zu bestrafenden Spieler wird nichts abgezogen, sondern dem Gegner wird der Punkt gut geschrieben.
Auslöser der Konfrontation war ein Fußfehler von Serena Williams beim zweiten Aufschlag zum Punkt davor. Diese Entscheidung provozierte die 27-jährige dazu, auf die Linienrichterin zuzugehen und in einer drohenden Haltung zu beschimpfen. Was sie rief, wollte sie in der Pressekonferenz nicht wiederholen. Zunächst tat sie so, als habe sie die Worte vergessen. Später weigerte sie sich, den wartenden Journalisten die Details zu zu schildern. Die Begründung: Sie habe das bereits hinter sich gelassen.
Tennis.com vermochte zumindest, den Kernsatz der Tirade von Williams aufzuschnappen und nahm in der Berichterstattung hinterher nach amerikanischer Manier die Schimpfwörter heraus (vermutlich benutzte sie zweimal das Wort "fucking"): "I swear to God, I'll [expletive] take this ball and shove it down your [expletive] throat, do you hear me?"
Der ganze Beitrag jedoch bestand aus einer umfangreichen Rechtfertigung ihres Verhaltens. Williams habe jedes Recht gehabt, wütend auf die Fußfehler-Entscheidung zu reagieren. "Das war eine schreckliche, dumme, grauenhafte, alberne Entscheidung." Eine solche Solidaritätserklärung wirkte so, als habe das Fachorgan ein Interesse daran, sich mit der Williams-Familie gut zu stellen. Das Argument, dass ein Linienrichter in einer solchen Situation nicht die Regeln konsequent anwenden soll, ist aburd und entspringt einer in den USA oft gepflegten Betrachtungsweise des Ablaufs von sportlichen Wettbewerben. Danach gelten die letzten Punkte oder Treffer gegen Ende eines Spielabschnitts oder gegen Ende einer Begegnung als bedeutungsvoller als all die anderen. Diese Einschätzung ignoriert die Prinzipien der Arithmetik. Denn tatsächlich zählt jeder Punkt und jedes Tor exakt genausoviel – auch in einer Sportart mit einer altertümlichen Art des Zählens (15:0, 30:0, 40:0). Ihr Ursprung dürfte der in Amerika gepflegte und vom Fernsehen gespeiste Highlight-Kult sein, der ausschließlich von ausgewählten Momenten lebt und sich keinen Deut um Abläufe, Entwicklungen, Strategie und Taktik schert.
Kein Wunder, dass anlässlich eines solchen Moments die Argumentation gegen das Regelelement "Fußfehler" im Tennis hervorgekramt wird. Die Beschwerde geht so: Der Profi habe keinen wirklichen Vorteil, wenn er von einem Punkt ein paar Zentimeter näher am Netz zum Aufschlag abspringt. Das wirkt logisch, macht aber keinen Sinn. Denn die Linie ist die Linie ist die Linie. Sie ist Teil des Spiels und wird auch in anderen Situationen immer wieder Meinungsverschiedenheiten produzieren. Die eigentliche Frage in diesem Zusammenhang wäre eher: Warum setzt man nicht hier, wie auch bei anderen Konstellationen im Tennis die Technik ein. Denn niemand weiß bis heute ganz genau, ob es überhaupt ein Fußfehler war.
Blick zurück: Lieber essen und meckern
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