1. April 2009
Tour d'horizon: Vom Boxweltmeister zum Sportswriter (über den Umweg Lolita)
Aus aktuellem Anlass ein Video über Jack Johnson, den ersten schwarzen Boxweltmeister im Schwergewicht (1908 bis 1915). Er saß ein Jahr im Gefängnis, weil er mit einer weißen Frau sexuelle Beziehungen hatte. Mit seiner eigenen Frau. Er wurde mit einem Jahr Gefängnis bestraft. Senator John McCain, der im November die Wahl um die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten gegen Barack Obama verloren hatte, kam auf die Idee, dass Johnson begnadigt werden soll, und will eine entsprechende Beschlussvorlage im Kongress einbringen. Das Projekt kommt ziemlich spät. Johnson starb 1946 im Alter von 68 Jahren.
Johnson war übrigens der erste Mensch, der wegen des Gesetzes (Mann Act, benannt nach dem Politiker, der es eingebracht hatte) verurteilt wurde. Die Erläuterungen zu diesem Gesetz auf der deutschen Wikipedia-Seite sind etwas knapp geraten (auch wenn die den interessanten Hinweis auf Chuck Berry und seine Verurteilung in den sechziger Jahren enthält). Ich empfehle zum besseren Verständnis der Thematik den englischsprachigen Eintrag. Er beschreibt die Erfahrungen von noch mehr, auch weißen Figuren wie Charlie Chaplin. Und er beschäftigt sich mit der Vermutung, dass Vladimir Nabokovs Roman Lolita möglicherweise auf einem echten Fall basiert, in dem ebenfalls der Mann Act eine Rolle spielte. Weltliteratur und das amerikanische Recht – was für eine Kombi...
An dieser Stelle möchte ich gerne abschweifen, weil mich die Recherchen zu Nabokov auf etwas gebracht haben, was mich ehrlich gesagt mehr fasziniert als ein weiterer klassischer Fall von Rassismus in den USA. Ich bin nämlich zu der Webseite des ehemaligen ZEIT-Redakteurs Dieter E. Zimmer gelangt, der sich intensiv mit dem Schriftsteller und noch akribischer mit Lolita beschäftigt hat. So bemüht er sich seit einigen Jahren darum, die fiktiven amerikanischen Orte in dem Roman (und davon gibt es sehr, sehr viele, weil die Figuren in der Geschichte enorm viel herumreisen) mit US-Echtorten abzugleichen. Das Angenehme an seiner Arbeit (und am Internet): Heute konnte ich zum ersten Mal sehen, dass auch Schauplätze darunter sind, die ich sehr gut kenne: das Interlaken Inn in Lakeville und die sehr ländlichen Litchfield Hills, in denen ich mich gewöhnlich am Wochenende aufhalte, um dem nervigen Dauergeräusch namens New York zu entkommen.
Die Gegend hat es nicht in viele Romane von Rang geschafft. Ich erinnere mich daran, wie Richard Ford den Landstrich im Sportreporter (Originaltitel: The Sportswriter) abgewatscht hat. Er verspottete unsere Gegend als "indecisive Judas country" und nur etwas für "second-rate editors and agents of textbook writers". Und so schickte er seine Hauptfigur, Richard Bascombe, bei seiner Haussuche aus Connecticut wieder weg und nach New Jersey. In einen Ort namens Haddam, der fiktiv ist, aber wohl die Universitätsstadt Princeton zum Vorbild hat.
Eine Kritikerin sah übrigens Grund, in ihrer Besprechung von Richard Fords drittem Buch seiner Bascombe-Trilogie (The Lay of the Land), Nabokov und Ford zueinander in Beziehung zu bringen. Ford und sein "dirty realism" schneiden nicht gut ab:
"Nabokov’s Humbert can drag Lolita up and down highways, into the beds of random hotel rooms, and his villainy is endlessly transfixing. Bascombe, on the other hand, is more like the windbag neighbor you dread running into at the curb while picking up your newspaper. Extending his own metaphor: Ford should’ve cracked the whip harder."
Ende der Tour d'horizon? Fast. Nur noch schnell zu Richard Ford, dessen Arbeit ich sehr schätze. Sein Großvater war Profiboxer. Und auch er hat in seiner Jugend geboxt. Als Journalist arbeitete er für das Magazin Inside Sports und widmete sich dem Schreiben von Romanen und Kurzgeschichten, als das Magazin zumachte und er nicht von Sports Illustrated angeworben wurde. Er fungierte später als Autor der Einleitung des Bildbands The Fight.
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