Man entdeckt Blogs meistens nicht zufällig, sondern auf der Suche nach Informationen, die man nicht in den klassischen Quellen findet. Mein Aha-Erlebnis liegt schon eine Weile zurück. Es war im Sommer 2005, als es die amerikanische Journalistin Judith Miller vorzog, monatelang ins Gefängnis zu gehen, anstatt sich zu einer Zeugenaussage in einem Ermittlungsverfahren zu bequemen, durch das ein ganz besonders infames Beispiel des Machtmissbrauchs der amerikanischen Regierungsspitze aufgeklärt werden sollte – die Preisgabe der Identität der hochrangigen CIA-Mitarbeiterin Valerie Plame. Die allgemeine Informationslage im Mainstream war damals von Zurückhaltung geprägt, insbesondere bei der New York Times, bei der Miller in Lohn und Brot stand. Das Vakuum war groß, aber es wurde von einer Reihe von Blogs gefüllt, darunter von dem des Journalismus-Professors Jay Rosen von der Columbia University in New York.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass in der letzten Woche in Deutschland in einem etwas anderen Themensegment und auf etwas niedrigerem Niveau etwas ähnliches passiert ist: Dass viele Menschen, die sich für Fußball und für Sportmedien interessieren, entdeckt haben, was Blogs leisten können. Ich bin mir zwar sicher, dass die Autoren vom Spiegel, die neulich in einem ausführlichen Artikel über das "Blog-Entwicklungsland" Deutschland gelästert haben ("Hier regieren allenfalls Beta-Blogger statt massenmediale Alphatiere") diesen Vorgang genauso abtun werden wie das auch in anderen, sogenannten Qualitätsmedien gerne geschieht. Aber ich nehme das schon länger nicht mehr ernst. Solche Darstellungen entspringen dem mangelhaften Neugierverhalten in deutschen Redaktionen, wo das Vergnügen der (fest angestellten) Journalisten daran, sich mit dem eigenen Bauchnabel und dem Status Quo zu beschäftigen, größer ist als das Interesse daran, die Verschiebung der tektonischen Platten unter ihren eigenen Füßen zu vermessen.
Andere Leute werden trotzdem gespürt haben, was da am Wochenende – einem leichten Erdbeben gleich – in der deutschen Medienlandschaft passiert ist. Sie haben gesehen, wie da ein paar Vasen im Regal gewackelt haben, als sie beim Spaziergang durch das alternative Informationsangebot die Geschichte rund um das Vorgehen des Deutschen Fußballbundes gegen einen kritischen Journalisten zusammengetragen haben. Das Wackeln könnte noch stärker werden, wenn der Hauptbetroffene, der Kollege Jens Weinreich, die Attacke der DFB-Spitze mit rechtlichen Schritten beantwortet. Denn wenn der Fall eine Gewissheit produziert hat, dann diese: Die Machtmenschen aus Frankfurt, gewohnt nach alten Medienregeln mit der undifferenzierten Kraft eines King Kong herumzuwüten, haben in diesem (von ihnen ohne Not aufgeworfenen) öffentlichen Streit ganz schlechte Karten. Sie müssen aufgrund ihres eigenen Mangels an Realitätssinn einen ziemlich starken Imageverlust befürchten.
Und alles nur wegen dieser neuen Kommunikationsplattform namens Blogs, die vom Establishment so gerne belächelt oder ignoriert werden. Blogs sollten hiermit dem letzten Skeptiker eine ernsthafte Lektion in Sachen Medienrealität erteilt haben: Ohne sie hätte die ganze Sache nie begonnen, wäre sie nicht öffentlich abgehandelt worden und wäre die verlogene Kampf- und Kampagnenmentalität der DFB-Spitze wohl kaum aufgedeckt worden. Ich weiß nicht, wieviele tausende von Lesern sich auf Blogs wie diesem oder diesem oder diesem oder diesem oder meinetwegen auch bei American Arena einen Eindruck von der Geschichte gemacht haben und anschließend den Links gefolgt sind, um die Dokumente, die Screenshots, die Argumente und die Kommentare zu verfolgen. Aber ich habe durchaus eine gewisse Vorstellung von der Zahl der Neugierigen und von ihrem Interesse am Thema. Auch hier kamen schließlich viel mehr Leser als sonst vorbei.
Das würde sich qualitativ kaum messen lassen, würde man nur den Mainstream auswerten. Es gab bislang nur Geschichten in der Financial Times, der Frankfurter Rundschau und ein Kommentar im Deutschlandfunk. Und sie alle haben einen entscheidenden medienimmanenten Mangel: So ausführlich und detailliert sie auch sein mögen, sie stellen nicht jene Transparenz her, die durch die Arbeit von Jens Weinreich selbst produziert wurde. Die Argumentation des Landgerichts Berlin gegen Zwanzigers Antrag auf Einstweilige Verfügung (kann man hier finden). Der Vorfall in Gießen (Zwanziger wirft einem Journalisten "demagogische Fragen" vor) wird hier abgehandelt und verlinkt. Die Frage, ob Weinreich tatsächlich eine irgendgeartete Erklärung abgegeben hat, die Zwanziger dazu brachte, von der geplanten Klage abzusehen – kann man anhand dieser Kopie eines Schreibens seines Anwalts sehr viel besser beantworten. Das alles setzt einen neuen Standard für Belegarbeit im kritischen Journalismus. Genauso wie die Informationen, die man aus dem ausführlichen Interview von Oliver Fritsch mit Theo Zwanziger destillieren konnte. Genauso wie Stefan Niggemeiers Analyse der am Freitag von Generalsekretär Wolfgang Niersbach losgetretenen Kampagne gegen Jens Weinreich.
Ohne diese Arbeit hätte die Presseerklärung des DFB am Freitag vermutlich eine Flut von Agenturberichten und eine beachtliche Resonanz in den Zeitungen ausgelöst. Welche nicht weiter involvierten Sportjournalisten hätten schon das Wort des mächtigen Fußballverbands angezweifelt und die infame DFB-Aktion durch eigene Recherchen und Telefonate auseinandergepflückt? In den USA gibt es ein altes Zitat aus dem Kampf gegen Korruption und Machtmissbrauch, das sehr gut illustriert, was die neue Medienrealität leisten kann (und in den USA bereits nach Kräften leistet, siehe Wahlsieg von Barack Obama): "Sonnenlicht ist das beste Desinfizierungsmittel". Geprägt wurde der Spruch von Verfassungsrichter Louis Brandeis, der damit unter anderem meinte: die glaubwürdigsten und am meisten respektierten Organisationen arbeiten in einer Atmosphäre bewusster Offenheit. Da wo das nicht geschieht, muss die Transparenz von anderen hergestellt werden.
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