11. Februar 2011

Der Vorhang fällt

Es ist an der Zeit – nach langer Stille – wieder einmal geräuschvoll zu klappern und ein paar Worte zum guten Schluss zu schreiben. Obwohl: viel ist dem, was ich in diesem etwas älteren Eintrag ausgebreitet habe, nicht hinzuzufügen. Außer dass sich inzwischen dieser Punkt ("Ich bin noch immer nicht sicher, was als nächstes anliegt. Und Ungewissheit lähmt.") erledigt hat (Zu dem, was anliegt, steht weiter unten im Text etwas mehr).

Ich danke allen, die sich vier Jahre lang die Mühe gemacht haben, sich hierherzubewegen, zu lesen, zu kommentieren, zu zitieren, zu empfehlen, zu verlinken. Es war eine sehr, sehr gute Erfahrung, nicht nur einfach ständig in den Online-Wald hineinzurufen, sondern auch Echomeldungen zu empfangen. Der Zählerstand: 2010 Einträge (ja wirklich: zweitausendzehn). Kaum zu glauben, aber wahr. Vielleicht waren sogar ein paar Highlights dabei. Oder auch die eine oder andere witzige Überschrift.

Ich habe von dieser Art der täglichen Beschäftigung mit den Ereignissen aus dem Sport profitiert. Ein Beispiel: Nachdem mir Martin Kaymer aus der Ferne bereits in seinem ersten Profijahr aufgefallen war, habe ich ihn beständig verfolgt und ihm schon früh genau das prophezeit, was er wenig später tatächlich erreicht hat. Ohne dieses intensives Interesse hätte ich ihn nie getroffen und in zwei Printgeschichten (für Capital und im letzten Herbst für die Zeit) sowie in einem Radiobeitrag für den Deutschlandfunk porträtiert. Das hätte sich einfach nicht ergeben. So aber haben wir im Laufe der Zeit zweimal zu längeren Gesprächen zusammengesessen. Zuletzt im Oktober auf der Insel Bermuda nach seinem sensationellen Erfolg bei der PGA Championship und dem Sieg der europäischen Mannschaft im Ryder Cup.

Es gab da noch ein anderes Thema, das mich stark beschäftigt hat: der Versuch eines steuerbefreiten Fußballverbandes, eine ganz hervorragende Idee zur Förderung des Amateurfußballs zu killen. Die Hartplatzhelden waren mutig und stark genug, den Weg bis nach Karlsruhe vor den Bundesgerichtshof zu gehen, wo sie exakt das bestätigt bekamen, was ich und andere schon früh deutlich genug skizziert hatten: Der Verband hatte sich etwas herausgenommen, wozu er kein Recht hatte.

Die Hartplatzhelden haben uns dadurch allen geholfen. Nicht nur den Bloggern. Während ich Oliver Fritsch vor allem mit vollbackigem publizistischen Rückenwind zu unterstützen versuchte (verspottet vom Justiziar des fraglichen Verbandes, aber schließlich sogar von der Deutschen Presse-Agentur nach dem denkwürdigen Grundsatzurteil zitiert) war in anderen Fällen (ich rede von den juristischen Tritten des DFB gegen Jens Weinreich und der Abmahnung einer Klamottenfirma an die Adresse von Trainer Baade) auch mal eine kleine Geldspende angesagt. Die Solidarität auf dem kleinen Dienstweg von vielen, die war gut. Und sie half, in beiden Fällen die Übergriffe zu stoppen.

Ich konnte von so weit weg noch eine weitere Initiative unterstützen, die ich für vielversprechend hielt, die aber dann leider wieder eingeschlafen ist: Der Podcast der Fußball-Blogger, der 2009 in einer Münchner Küche aus der Taufe gehoben wurde.

Weil man in diesem Milieu nicht nur Einzeltäter, sondern auch Gruppentier ist, habe ich gerne immer wieder einen Teil der Talente der Sportblogger-Zunft persönlich kennengelernt. Eine Erfahrung, die mich enorm bereichert hat. Es ist gut, in ganz persönlichen Gesprächen herauszufinden, dass diese kleine Pflanze des ganz anderen, persönlichen Schreibens über Sport von vielen guten Händen gepflegt und behutsam groß gezogen wird. Einige stellen irgendwann ihre Bemühungen wieder ein. Andere kehren nach einer Pause wieder zurück. Das ist der Lauf der Dinge.

Ich denke, ich werde – als Solist und ohne Aussicht auf wirtschaftliche Erträge – keinen Sport-Blog mehr betreiben. Das war ein Experiment. Es wäre dumm gewesen, es nicht zu probieren. Aber das Experiment ist vorbei.

Weil ich die Marke American Arena allerdings nicht einfach aufgeben möchte, läuft das nächste Experiment ebenfalls unter diesem Namen. Um was handelt es sich?

Es ist eine komplett andere Baustelle. Wer mehr darüber wissen möchte, der findet eine ausführliche Visitenkarte unter americanarena.net. Einen Blog gibt es auch – als Teil der Strategie, mit der ich mich als hauptberuflicher freier Journalist mit einem ziemlich breiten Themenspektrum in der kommenden Zeit gründlich beschäftigen werde. Es gibt noch keine griffigen Wörter für diese Art der Arbeit. Ich halte mich an ein paar hier in den USA, die es New Media Journalism nennen, und meine damit eine neue Arbeitsleistung im Medienmix, in der man als klassischer Reporter für Print und Radio bei seinen Reisen und Recherchen eine Videokamera mitnimmt und die Resultate zusätzlich zum konventionellen Arbeitsergebnis online bereitstellt. Wir reden nicht von hastig zusammengefummelten, verwackelten Interviews mit der kleinen flip-Kiste, sondern von ansprechenden Filmen, die mit den Ansprüchen mithalten, die man an Fernsehproduktionen stellt.

Manchmal heißt das, dass man bei einem Job wirklich alles alleine bestreitet – wieder so ein Sololauf wie das Bloggen. Man ist Kameramann und Tonmann in einem, führt die Interviews, dreht B-Roll-Szenen und führt das Ganze am Schluss in FinalCut Pro zusammen. Das wird hoffentlich die Ausnahme bleiben. Denn wenn man zu zweit loszieht, sorgt das einfach für viel bessere Resultate. Da ist der Fotograf für die Textstrecke gleichzeitig Kameraperson und nimmt die Bewegtbilder auf), und der Autor nimmt den Ton auf, stellt die Produktion fertig und schreibt das Lesestück für die Printversion.

American Arena
soll in Zukunft als Markenname für diese reichhaltigere und eindrucksintensivere Form des Journalismus stehen. Das zumindest ist der Plan.

Also fällt hier der Vorhang. Macht's gut. Wir sehen uns. Ganz bestimmt. Die Welt ist klein. Ciao und herzlichen Dank fürs Lesen.

P.S.: Die hier archivierten Texte und der gesamte Auftritt (mit der mutmaßlich längsten Tag-Liste der Blog-Welt) werden nicht gelöscht. Schon aus Eigennutz: Ich würde selbst gerne hier vorbeikommen können, um das eine oder andere nachzulesen.

16. August 2010

Spekulationen über Kaymers Freundin

Das Zitat des Tages kommt aus dem Mund von Allison Micheletti: "Er ist einfach die mental stärkste Person, die ich kenne. In jedem Bereich seines Lebens. Er beklagt sich nie und macht das, was er tun muss." Micheletti ist die blonde Frau, die jetzt plötzlich auf Fotos aus Kohler/Wisconsin auftaucht, weil das Bild mit ihr in der Umarmung mit Martin Kaymer so viel mehr menschelt als seine etwas steife Pose mit der Wannamaker Trophy.

Da die BILD-Zeitung noch nicht alle Daten über die Amerikanerin korrekt zusammengegoogelt hat: Micheletti ist 22, kommt aus Missouri und war ein sportliches Multi-Talent, spielte Fußball und Basketball, ehe eine Knieoperation sie in Richtung Golf schob. Durch die Sportart landete sie an der Furman University in South Carolina. BILD hat amerikanische Quellen abgeschrieben und eine Frau zur Freundin erklärt, die in New York an einem College in New York als "Marketing-Expertin" arbeitet. Wenn man die im Telefonverzeichnis von Wagner aufgelistete Alison Micheletti (Vorname mit einem "l") anruft, bestätigt sie einem gerne, dass sie nicht die Freundin von Kaymer ist. Dass sie nicht gestern in Wisconsin war. Und dass sie nicht mal weiß, wer die PGA Championship gewonnen hat. Ich war ganz offensichtlich der erste, der sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, sie zu fragen.

Mehr Bilder von der richtigen Micheletti finden sich auf amerikanischen Webseiten, die sich auf WAGs spezialisiert haben. Wer mag, kann ja hier vorbeischauen. Die Burschen haben die Lebensgefährtin übrigens schon zur Ehefrau hochgejazzt.

Der Algorithmen-Denker

KOHLER, WI - AUGUST 15: Martin Kaymer of Germany sits next to the Wanamaker Trophy while he is interviewed during a press conference after winning the 92nd PGA Championship on the Straits Course at Whistling Straits on August 15, 2010 in Kohler, Wisconsin. Martin Kaymer defeated Bubba Watson in a three-hole aggregate playoff. (Photo by Stuart Franklin/Getty Images)
Irgendwann kommt der Tag, an dem man still sich selber sagt: "Das habe ich kommen sehen." Natürlich wäre es schön, man hätte dann auch ein paar Zeugen *) aufzuweisen, die bestätigen können, dass man durchaus das Zeug zum Orakel besitzt. Aber tatsächlich liegt man mit seinen Prophezeihungen häufiger falsch als richtig. Sport ist unberechenbar. Unvorhersehbar. Und deshalb ist er faszinierend.

Golf ist an und für sich eher weniger faszinierend. Ein langsames, stilles Spiel. Etwas für Einzelgänger. Und etwas für Bewegungsästheten, die nachvollziehen können, was alles in einem Körper aufs Feinste koordiniert ablaufen muss, damit der Ball exakt dort landet, wo man ihn hinhebeln will.

Das kann man als Spieler auf zweierlei Weise probieren: Mit dem hero shot, bei dem man sein Können bis an die Grenze des Mutmaßlichen testet. Oder mit dem percentage play – die Nummer sicher sozusagen, bei dem man das Risiko möglichst ausschaltet und defensiv denkt.

In den meisten Augenblicken, wenn Martin Kaymer defensiv spielt, sieht man ihm das nicht an. Der Mann wirkt auf dem Platz zugeknöpft wie eine enge Hose. Aber die Algorhyithmen in seinem Gehirn arbeiten trotzdem weiter. Kaymer wäre wohl im Fußball nicht der Typ Torwart und nicht Ausputzer gewesen, sondern eher im vorderen Mittelfeld gelandet, wenn auch sorgfältig und vorsichtig auf den sicheren Pass bedacht. Aber Fußball hat er, obwohl als Jugendspieler richtig gut am Ball und auf dem Weg in den oberen Talentezirkel, dann lieber wieder aufgegeben. Zuviele Imponderabilien? Zuviele Verletzungsrisiken? Vielleicht. So richtig gründlich hat er das wohl nie überlegt. Es gab schließlich diese vielversprechende Alternative: Golf. Das Spiel für Self-Made-Men. Da bist du auf niemanden angewiesen.

Ich bin diesem Algorhyithmen-Denker vor zwei Jahren bei unserem ersten Gespräch ein wenig auf die Schliche gekommen, als ich ihn fragte, weshalb er sich in seinem ersten Jahr auf der European Tour keinen festen Caddie genommen hatte. Seine Antwort war das Gegenstück zu einem percentage play auf dem Platz: Er wollte tatsächlich lieber auf jeder Übungsrunde alleine den Wagen mit dem Bag über die Anlage ziehen und sich an jeder kritischen Stelle über die Besonderheiten von Grüns und Fairways Notizen machen, als sich darauf zu verlassen, dass sein Caddie alles aufschreibt und ihm im entscheidenden Moment als Information anbietet, damit er – Kaymer – abwägen kann, wie er den jeweiligen Schlag imaginiert und umsetzt. Er wollte nicht abhängig sein und nahm lieber den Mehraufwand in Kauf. Vergeblich würde dieser Aufwand nicht sein, dachte er. Er hatte den Plan, auch in den Jahren danach auf diesen, denselben Plätzen zu spielen. Jedes speicherbare Detail würde ihm irgendwann wieder zugute kommen. Er nahm sich für das Turnier dann immer einen lokalen Caddie. Einer, der den Platz kennt. Nicht einer, der Kaymer und seine Algorhyithmen kennt. Und einer, der nicht irgendwelche finanziellen Ansprüche stellen würde. Das war in manchen kippligen Situationen im Turnier von Nachteil. Aber Kaymer behauptete, ein ständiger Caddie hätte ihm nichts genützt. Nun gut. Inzwischen setzt er auf Craig Conolly (Kaymer: "Ein sehr sympathischer Kerl. Er ist Schotte. Es ist sehr lustig mit ihm auf dem Platz, und er hat sehr viel Erfahrung.")

Kaymer war – mit Conolly – am Sonntag schon früh sehr nahe am bislang größten Erfolg seiner Karriere, als er kurz vor Schluss der regulären vierten Runde der PGA Championship mit zwei Schlägen Vorsprung das Feld anführte. Aber er war danach auch wieder sehr weit weg. Selbst als er den schwierigen Fünf-Meter-Putt auf dem 18. Grün zum Par einlochte und damit den Gleichstand mit dem Amerikaner Bubba Watson erzielte, bedeutete das nicht mehr als eine hauchdünne Chance auf ein Stechen. Und dazu musste der zweite Amerikaner Dustin Johnson, der hinter ihm auf der 17 mit einem Birdie in Führung gegangen war, auf der 18 einen Fehler produzieren. Johnson produzierte tatsächlich sogar zwei (einer war sehr bizarr und führte zu zwei Strafschlägen und sorgte für den Absturz auf den fünften Platz).

Auch im Stechen gegen Watson schien Kaymer zunächst wieder weg vom Fenster. Denn Bubbas Birdie auf der 10, dem ersten Playoff-Loch, wirkte souverän. Sein Par im Vergleich dazu fast schon mühevoll. Man denkt dann: Der andere hat das Momentum. Der hat psychologisch die Oberhand. Der muss jetzt nur noch fehlerfrei weiterspielen und hat das Ding in der Tasche. Mal abgesehen davon, dass der junge Herr K. an der 17 mit einem kaltschnäuzigen Putt zum Birdie gleich zog: Die dritte Bahn im Stechen zeigte, wie er in richtig heiklen Augenblicken an die Aufgabe herangeht. Weil sein Gegner mit einem riskanten Annäherungsschlag den Ball im Bach vor dem Grün versenkte und sich so einen Strafschlag einfing, verzichtete der Rheinländer auf jede Showeinlage. Er spielte auf Supersondersicher und gewann – unspektakulär – mit einem Schlag Vorsprung.

Viel Euphorie konnte man ihm anschließend nicht anmerken. Was sicher an dem Prozess lag, der vorher in seinem Gehirn stattgefunden hatte. Der Mann lebt nicht von Endorphinen. Der lebt von... ja, von was eigentlich?

Er hat auf jeden Fall den richtigen Beruf gewählt (was man schon vor ein paar Jahren sicher sagen konnte, als auf der untersten Satelliten-Tour für junge Profis die Gleichaltrigen ziemlich alt aussehen ließ. Ich habe ihm damals bereits so etwas zugetraut wie diesen Erfolg von gestern. Genauso wie ich nach seinen ersten US Open in La Jolla gedacht habe, dass er auf einem langen, schweren Platz eher ein Major gewinnt als auf diesem aalglatten Putting-Parkett in Augusta.

Alles weitere wird sich zeigen: Platz 5 der Weltrangliste with a bullet. Ryder Cup im Oktober. Ich hatte bereits angenommen, dass er nach einem solchen Resultat auf die amerikanische PGA Tour wechselt. Wolfgang Scheffler in der FAZ zitiert ihn jetzt folgendermaßen: „Es war immer mein Ziel, Mitglied der PGA-Tour zu werden. Ich möchte mehr in Amerika spielen, weil ich weiß und fühle, dass mein Spiel besser wird, wenn ich in Amerika spiele. Ich will mehr in Florida spielen, weil ich mein Spiel auf Bermudagras verbessern will.“ Wir sehen uns also wieder. Spätestens im nächsten Jahr.

*) einstige Prophezeiungen zu Kaymer in American Arena:

"...der ... in zwei Jahren das Zeug haben wird, um sein erstes Major zu gewinnen..." (22. Juni 2008)

"Er gehört inzwischen zu den Topleuten der Branche. Und wenn man davon ausgeht, dass bei jemandem mit seinem Talent tatsächlich noch Luft nach oben ist, darf man gefahrlos Folgendes prophezeien: Dieser Typ wird sich demnächst in den Top Ten festsetzen und bei wichtigen Turnieren – den sogenannten Majors – mit einer Handvoll von Konkurrenten um die Pötte spielen..." (12. Juli 2009)

3. August 2010

Die Welt zu Gast in Akron

Tiger Woods ist in der Stadt. Die Stadt heißt Akron. LeBron James ist auch irgendwie in der Stadt. Oder besser in der Zeitung von der Stadt. Die Zeitung heißt Akron Beacon-Journal. Woods spielt im Firestone Country Club im Rahmen der World Golf Championship. Ein Termin, bei dem die Besten aus den USA und aus Europa in einem exklusiven Feld um sehr viel Geld spielen. Dass Woods in Akron ist, wäre nicht weiter bemerkenswert. Denn er spielt schrottig und hat das Plateau seiner Leistungsfähigkeit überschritten (was auch eine Altersfrage ist, denn jenseits der 35 wird es schon rein körperlich immer schwieriger, vier Tage lang mit dem Können der Nachwachsenden mitzuhalten). Aber Woods ist noch immer das meal ticket der Sportschreiber in Amerika. Wenn sie einen Dreh finden können, sich über ihn auszulassen, dann tun sie es. Warum? Nicht wegen der Sex-Affäre und ihren Folgen. Sondern, weil er an Platz eins der Weltrangliste steht. Weil man ihm zutraut, zum ersten Mal seit seiner Rückkehr wieder ein Turnier zu gewinnen. Und, ja, wenn ihm das gelänge, das wäre doch bemerkenswert, oder nicht? Akron wurde so zum Testfall ausgerufen. Schließlich hat er hier in der Vergangenheit immer dominiert. Wenn er diesmal nicht gewinnt, muss man ihn wohl endgültig zum Has-Been herunterstufen, oder nicht? So geht das seit Tagen in den Sportteilen, die auf diese Weise kostbaren Platz verschwenden, den sie ganz anderen Golf-Themen widmen könnten.

Da macht es LeBron schon besser. Er verzichtet darauf – ganz der Narziss, der er nun mal ist – den Sportteil zu behelligen. Er kauft gleich eine ganzseitige Anzeige in der Zeitung, um den Lesern zu versichern, dass sein Wechsel aus dem nahen Cleveland in das ferne Miami, nichts an seinen heimatlichen Gefühlen zu Akron ändern wird. Oder in den gedrechselten Worten von King James:

"An meine Familie, Freunde und Fans in Akron:
Ich habe mein gesamtes Leben in Akron verbracht und bin deshalb ein wirklich glücklicher Mensch. Hier habe ich gelernt, Basketball zu spielen und die Leute getroffen, die zu für mein ganzes Leben zu meinen Freunden und Mentoren wurden. Ihre Art, ihre Aufmunterung und ihre Unterstützung werden immer mit mir sein. Akron ist meine Heimat und der zentrale Brennpunkt [sic!] meines Lebens. Hier habe ich begonnen, und hierher werde ich immer wieder zurückkehren. Ihr könnt versichert sein, dass ich für diese Stadt auch weiterhin alles tun werde, was ich kann, was für meine Familie und mich so wichtig ist. Vielen Dank für die Liebe und die Unterstützung. Ihr bedeutet mir alles."

Vielleicht sollte man an dieser Stelle erwähnen, dass Akron zwar viel Gummi, aber keine guten Wortschmiede produziert hat (der beste war wohl dieser Mann, ein reputierlicher Redakteur der New York Times). Und auch die Sache mit dem Gummi hat nachgelassen. Die – heute japanische – Firma Bridgestone wäre vor ein paar Jahren fast aufgrund der mangelhaften Qualität ihrer Reifen pleite gegangen.

Das mit den Anzeigen scheint übrigens Schule zu machen (und ist eine nette Geste in Richtung eines darbenden Zweigs der Medienindustrie). Der Litauer Zydrunas Ilgauskas spendierte gestern dem Cleveland Plain-Dealer eine Seite ("Dear Cleveland...."). Darin bitter er die Fans der Cavaliers um Verständnis für seine Entscheidung, in Miami neben James um den Meisterschaftserfolg zu spielen, der ihm in Ohio nicht vergönnt war. Ilgauskas war im März von den Cavaliers an die Wizards abgegeben worden, und dann als Free Agent für ein paar Groschen wieder eingekauft worden. Er hat im Laufe seiner langen Karriere in Cleveland mehr als 100 Millionen Dollar brutto abgesahnt. In Miami spielt er für 2,8 Millionen.

2. August 2010

Männer von der schnellen Truppe brauchen nur 15 Sekunden

An einem Tag wie heute, an dem mal wieder die Aktienkurse an Wall Street deutlich nach oben gezuckt sind, herrscht unter den Leuten, die durch solche Bewegungen ihren Kontostand aufbessern, gewöhnlich ziemlich gute Laune. Die Wirtschaft in unseren New Yorker Breiten hängt nämlich noch immer leicht beduselt in den Seilen. Aber es gibt Zeichen, dass zumindest in der Medienindustrie mit ihren gebeutelten Tagszeitungsverlagen wieder Schwung in die Geschäftemacherei kommt. Der unwiderstehliche Rupert Murdoch (über dessen Ambitionen mit dem Wall Street Journal ich vor ein paar Tagen im Deutschlandfunk berichtet habe) interessiert sich für die Sickergrube namens Texas Rangers, wo der FC-Liverpool-Co-Eigentümer Tom Hicks, der auch in England nichts als Schulden produziert hat, das Geld anderer Leute verbrannt hat. Übrigens: Die Tage von Hicks am Mersey River scheinen gezählt. Nicht alle Schwätzer und Marodeure haben das Zeug, auf den Wellen des Kapitalismus zu reiten. Hicks wirkte schon länger wie ein Absturzkandidat.

Sagten wir reiten? Der New Yorker Sport-Blog Deadspin nimmt auf dem Parcours der sogenannten neuen Medien schon länger weder die Wörter "Sport" noch "Blog" wahnsinnig wichtig. Das hat unter anderem mit den Hauptpersonen zu tun. A. J. Daulerio, der Nachfolger von Will Leitch im Amt des Redaktionsleiters, ist ein lupenreiner Gossip-Voyeur – je schmuddeliger, desto lieber. Unter ihm wurden Interna aus dem Leben der Mitarbeiter der Mediengroßmacht ESPN zum ständigen Thema. Und so darf man sich nicht wundern, dass er heute 2000 Dollar für die Zusendung eines ganz bestimmten Fotos auslobte, das er gerne publizieren würde. Wohl wissend, dass die Veröffentlichung dieses Fotos den Traffic nach oben peitscht.

2000 Dollar Honorar sind in der Niedriglohn- und Selbstausbeutungswelt der Blogger eine stattliche Summe. Sie sind aber auch so etwas wie ein neue Marke. Der Preis für das nächste Foto von Belang wird vermutlich mehr kosten. Vielleicht sollte man kurz den Hintergrund zu diesem Vorgang ausleuchten, damit Menschen, die weder Deadspin verfolgen noch das außereheliche Sexualleben von berühmten katholischen College-Basketballtrainern, sich ein Bild machen können.

Hier also im Schweinsgalopp: Zur Zeit findet in Louisville/Kentucky ein Prozess statt, in dem eine 50-jährige Frau namens Karen Sypher auf der Anklagebank sitzt, weil die Staatsanwaltschaft den Eindruck gewonnen hat, sie habe versucht, den besagten Trainer Rick Pitino zu erpressen. Die Sache begann mit einem Quickie in einem Restaurant in Louisville im Jahr 2003, führte zu einer Abtreibung (keiner vermag zu sagen, wer tatsächlich der Vater war, Pitino erklärte im Zeugenstand en detail, dass er nach ganzen 15 Sekunden den Coitus abruptus praktiziert habe). Dann ging es weiter mit Syphers Hochzeit mit einem Assistenztrainer von Pitino, mit einer Scheidung, mit weiteren Affären, dem besagten Prozess gegen die gesichts- und wohl auch brustkosmetisch stark behandelte Frau, und in diesem Prozess kam es Beschreibung weiterer sexueller Handlungen. Das von Deadspin gesuchte Foto zeigt angeblich Sypher beim Fellatieren ihres Scheidungsanwalts, dem sie anschließend die Rechnung schuldig blieb. Auch der Anwalt hat inzwischen ausgesagt und die Fotos penibel beschrieben. Ach, ja, und nicht zu vergessen: Sypher hat sechs Jahre nach dem Quickie den Vorgang als Vergewaltigung bezeichnet. Ein massiver Vorwurf. Bei den Berichten über das Geschehen im Gerichtssaal ist übrigens der Blog kentuckysportsradio.com nicht zu schlagen. Dessen Berichterstattung stellt den Versuch, klassischer Medien in den Schatten, ihren Lesern die bizarren Abläufe zu erklären. Und sie ist allemal besser als die aufwiegelenden Juxereien von Deadspin, die nicht eine Spur leisten, um aufzuhellen, was die bürgerlichen Schichten von Louisville miteinander und gegeneinander treiben, wenn ihnen das Leben zu langweilig wird, sie Geld brauchen und wenn sie so tun, als sei Collegesport eine der unschuldigsten Abteilungen des Sportkommerzes.

Klingt alles ein bisschen klebrig und unübersichtlich. Zumal die Frage im Raum steht: Wieso ist Rick Pitino eigentlich immer noch der Trainer der Universität Louisville und damit in einer Position, in der er ständig mit einiger Autorität jungen Spielern den Hang riskanten Leben und zu Verstößen gegen gesellschaftliche Normen ausreden muss? Aber die Normen verschieben sich ganz langsam. Hochbezahlte Heuchler müssen nicht länger um ihre Jobs fürchten, wenn sie nur die richtige Miene zum schlechten Spiel machen.

Weshalb auch junge Basketballprofis, die allzu früh das College verlassen und sich vom ersten Geld einen schnellen Schlitten aus Untertürkheim kaufen, mit Bewährung davon kommen, wenn sie die Autobahn unsicher machen und dabei die doppelte der erlaubten Geschwindigkeit fahren. Immerhin kam für die Gosspip-Voyeure ein hübsches Video dabei heraus. Geschossen wurde es vor ein paar Wochen aus der Kanzel des Polizei-Hubschraubers, der Tyreke Evans von den Sacramento Kings verfolgt und auch noch die Festnahme aufnimmt (ein Motorrad-Polizist mit gezogener Waffe). Wer ist Tyreke Evans? Der Rookie des Jahres in der NBA und theoretisch ein guter Kandidat für das Team der Amerikaner bei der WM in der Türkei, die ohne einen einzigen Olympia-Teilnehmer antreten. Evans darf zu Hause bleiben.


Blick zurück: Hicks und das Ausmaß der Probleme in Texas und Liverpool
Blick zurück: Pitino im Zwielicht

25. Juli 2010

Bitte ein Bier


Ich wusste, dass ich mir ein komisches Gesicht von der Barfrau am Flughafen in Fairbanks einfange, wenn ich sie frage: "Who would be a legal guardian of a 20-year-old?" Die Frage drängte sich zwar auf. Aber das heißt nicht, dass irgendjemandsonst in Alaska noch über den Quatsch nachdenkt, der aus einem weiträumig rund um die Theke in der Abflughalle gezogenen Kordon mit zahllosen kleinen Schildern besteht, auf denen man lesen kann: "No one under 21 allowed beyond this point without a legal guardian." Die Absperrung befindet sich knapp zehn Meter vom Ausschank entfernt, wo man eine ganze Reihe von guten in Alaska gebrauten Bieren frisch vom Fass haben kann. Zum Abschied bestellte ich ein mitteldunkles Silver Gulch aus Fairbanks, das ein Lager-Bier sein soll, aber leicht malzig und wie ein Alt-Bier schmeckt.

Jeder in den USA wird mit seinem 18. Geburtstag volljährig. Was den Konsum von alkoholischen Getränken angeht, bleibt er in den meisten Bundesstaaten ein rechtloses Wesen. Die Idiotie ist gar nicht lustig. Natürlich trinken volljährige Amerikaner Alkohol und organisieren spätestens an den Universitäten verbotene Partys, bei denen man sich solange den Kopf vollkippt, bis die Leber abwinkt und das Hirn zumacht. Binge-Drinking nennt sich das. Und ist zu einem üblen Sport geworden. Zu einem Status-Wettkampf wie die Sauferei in schlagenden studentischen Verbindungen.

Die Formulierung auf dem Schild war die Idee ihres Chefs, sagte die Bedienung, nachdem sie über die erste Verunsicherung hinweg war. Sie fragte, ob ich einen Vorschlag hätte, wie man das besser formulieren könnte. So weit geht die Liebe zu Alaska nicht, dass ich deren gesellschaftliche Hirnrisse mit mundfertigen Sätzen zukleistern könnte. Ich sagte ihr, ich sei kein Anwalt. Das einzige, was ich wisse sei: Ein Mensch ab 18 habe keinen legal guardian – also keinen Vormund. Den haben nur Kinder und entmündigte Erwachsene.

Ein paar Stunden zuvor hatte ich zum ersten Mal seit langem erlebt, wie bescheuert Gesetze sein können. Da saß ich in einem Hotelrestaurant und bestellte bei einer zierlichen Blondine ein Bier. Wenig später kam sie und ein fremder Mann zurück. Der Fremde trug das Tablett mit der Molson-Flasche und einem Glas. Die Blondine klärte mich auf. Sie sei erst 19. Sie dürfe mir keine alkoholischen Getränke servieren. Als sie das Essen brachte – eine Portion Fish and Chips, deren Kabeljau laut Speisekarte in einer Bier-Panade mit dem süffigen Alaskan Amber fritiert wird – trug sie den Teller wie selbstverständlich vor sich her. Das Bier am Fisch fand niemand bedenklich. Es war grotesk.

So grotesk wie die Frage, die zwei Abende zuvor bei den Eskimo-Indian Olympics den Kandidatinnen im Schönheitsköniginnen-Wettbewerb gestellt wurde: Ob sie, wenn sie die entscheidende Stimme hätten, dafür stimmen würden, dass in ihrem Dorf der Verkauf und Besitz von Alkohol verboten wird. Die Eskimos und Alkohol – das ist eine unendliche Geschichte. Nicht nur vertragen sie den Stoff nicht. Sie werden leichter davon abhängig. Die sozialen Folgen sind unübersehbar. Vor allem die Frauen bekommen sie ab. Da liegt schon mal die simple Forderung nah, wie sie vor hundert Jahren in den USA aufkam: Alkohol komplett verbieten. Fertig ist die schöne, klare Welt.

Die jungen Frauen auf der Bühne mühten sich redlich, dem politisch heiklen Problem auszuweichen und damit einer Haltung gegenüber dem eigentlichen Thema: Mit welchem Recht bevormundet ein Staat oder eine dörfliche Gemeinschaft ihre erwachsenen Mitbewohner? Die Eskimos haben ein Klan-Verständnis und sind keine lupenreine Demokraten. Sie werden sich mithin sehr schwer tun, die Lektion nachzubereiten, die sich mit der Prohibition verbindet, die in den zwanziger Jahren über dieses Land verhängt wurde – radikal und schön demokratisch zugleich mit einer Verfassungsänderung. Wie lautete die Lektion? Solche Verbote fördern die Kriminalität (und die Mafia) und werden von den meisten Leuten nicht eingehalten. Die Prohibition wurde 1933 nach nur dreizehn Jahren wieder abgeschafft. Die seltsame Koalition aus puritanischen Moral-Schlaumeiern, der damaligen Frauenbewegung und Freunden der Einführung einer Einkommenssteuer (bis dahin sorgte in den USA die Steuer auf Alkohol für eine enormen Anteil an den staatlichen Einnahmen), konnte ihre absurde Bevormundungspolitik zumindest im großen Stil nicht länger durchdrücken. Bis dahin war die Bierindustrie fast komplett und der Weinanbau völlig ausgemerzt worden.

Wie löste sich das Ganze wieder auf? Man überließ es den Bundesstaaten, sich ihre eigenen Gesetze auszudenken, wozu die Altersregelung gehörte, die bis in die frühen siebziger Jahre mit dem Mindestalter von 21 zumindest eine gewisse Logik besaß. Denn erst damals wurde die Volljährigkeit ähnlich wie in Deutschland zum gleichen Zeitpunkt auf 18 heruntergesetzt.

Der 19-jährigen Bedienung in der Bear Lodge, eine kluge Studentin, die sich für Politikwissenschaften interessiert, habe ich empfohlen, sich eine Strategie zu überlegen, wie sie die Einschränkung ihrer verfassungsmäßig garantierten Rechte ("right to privacy") einklagen kann. Es braucht nur jemanden, der die Energie besitzt und das Thema bis vor den Supreme Court in Washington bringt. Der dürfte analog zu einer Entscheidung über gesetzlich verbotene sexuellen Praktiken in den eigenen vier Wänden auch diesen Irrsinn beenden. Aber wo kein Kläger ist kein Richter.

19. Juli 2010

Der neue Coach von LeBron

Als der langjährige Assistent Erik Spoelstra von Pat Riley zu seinem Nachfolger als Trainer der Miami Heat ernannt wurde, kam die Beförderung aus deutscher Sicht mit einer kleinen, interessanten Marginalie daher. Spoelstra hatte nach seiner Zeit am College in Portland vergeblich versucht, einen NBA-Club von seinen Talenten als Aufbauspieler zu überzeugen und war durch ein paar Kontakte beim TuS Herten gelandet. Ich habe nach seiner Ernennung ein bisschen im Ruhrgebiet herumgefragt, ob sich überhaupt noch jemand an diese Zeit – die neunziger Jahre – und an diesen Spieler erinnern kann. Tatsächlich. Spoelstra hatte einen guten Eindruck hinterlassen, als er nach zwei Jahren wieder in sein Heimatland zurückkehrte und einen Job in Miami annahm, um dort als Videokoordinator der Heat ganz unten in der Hierarchie anzufangen. Nach der zweiten Liga in Deutschland – der Club konnte ihm inmmerhin eine mietfreie Wohnung stellen und ein kleines gebrauchtes Auto – und erstem Geld, war er dort angekommen, wo bereits sein Vater (in der Funktion eines Marketingspezialisten gearbeitet hatte): in der NBA.

Mich hat seitdem der Typ Spoelstra stark interessiert. Vor ein paar Monaten haben wir uns im Rahmen eines ausführlichen Telefon-Interviews miteinander unterhalten. Auffällig: Er sagt nicht gerne irgendetwas, was auch nur entfernt als eitel, selbstbewusst, entschieden, parteilich etc. ausgelegt werden könnte. Es war unmöglich aus diesem Mann das Bekenntnis herauszuholen, dass er auch einen Anteil daran hatte, dass Miami 2006 gegen Dirk Nowitzki und die Dallas Mavericks nach zwei Niederlagen und einem Rückstand von 13 Punkten im vierten Viertel des dritten Spiels die fast schon komplett versemmelte Finalserie drehte und gewann. Seiner Meinung nach handelte es sich hauptsächlich um eine Willensleitung von Dwayne Wade und das Know-how von Pat Riley. Schwer zu glauben, wenn man weiß, dass Spoelstra damals fürs Scouting und für die Taktik verantwortlich war. Aber, nun gut...

Eigentlich wollte ich über den Ex-Hertener etwas schreiben, als die Playoffs begannen, aber der wenige Platz in der FAZ ließ das nicht zu, zumal die Mannschaft früh ausschied. Der Wechsel von LeBron James und Chris Bosh nach Miami rückte Spoelstra allerdings erneut in den Vordergrund. Und so entstand dieser Text, der am Samstag in der Printausgabe erschien und heute online publiziert wurde. Jetzt macht es nichts mehr, ob Riley ihn angesichts der enormen Erwartungen früh feuert oder nicht. Der kleine Gedenkstein, den ich ihm setzen wollte, ist gepflanzt.

Ein Abstecher nach Alaska

Morgen steht mal wieder eine längere Recherchenreise an. Diesmal geht es nach Alaska. Das klingt vermutlich einen Hauch aufregender als es ist. Man sieht als Journalist unterwegs meistens sehr viel weniger von Land und Leuten als ein aufmerksamer Urlauber, der mit offenen Augen unterwegs ist. Ganz abgesehen von den vielen Stunden auf irgendwelchen Flugplätzen und in gut gefüllten Fliegern, die einem die Lust verleiden, das Unterwegssein zu genießen.

Dennoch freue ich mich ein bisschen darauf, mal wieder in einen Teil der Vereinigten Staaten zu fliegen, der zum Besten gehört, was dieses Land zu bieten hat. Die Wucht, mit der diese leere Weite auf einen wirkt – mitten im Sommer, wenn die Natur im Eilverfahren mit aller Energie aufplatzt und sich von der besten Seite zeigt – ist schwer zu beschreiben. Es dringen nicht nur die vielen intensiven Farben auf einen ein – das dunkle Blau des Ozeans, das angegraute Weiß des Gletscher-Eises, das Grün der Pflanzen und die dünnen schwarzen Asphaltstreifen Richtung Horizont. Man fühlt sich plötzlich irgendwie allein in der Welt. Selbst wenn man in einer kleineren Gruppe im Sea Kayak hinaus in die Glacier Bay paddelt und hofft, einen Orca aus dem Wasser auftauchen zu sehen. Oder wenn man mit zwei Buschpiloten und ihren Flugzeugen aufbricht und mit ein paar Freunden tief in einen Nationalpark hineinfliegt. Unter einem liegt kilometerweit wildes Land, das noch nie ein Mensch betreten hat. Und vielleicht nie betreten wird. Wenn man nur ein paar Schritte in die Wildnis macht, entdeckt man die riesigen Spuren von Grizzly-Tatzen. Man hofft unweigerlich, dass dieser Bär irgendwoanders unterwegs ist. Denn eine Konfrontation mit ihm würde man wohl kaum überleben.

Alaska ist nicht die einzige Region auf der Welt, in der man mit dem unzivilisierten Teil der Erdgeschichte konfrontiert wird. Ich habe ähnliche Verhältnisse weit im Norden der kanadischen Provinz British Columbia angetroffen und ein schwaches Echo darauf auf der Südinsel von Neuseeland. Ich kenne Leute, die von Patagonien schwärmen. Nicht zu reden vom Himalaya. Aber Alaska scheint die beste Schnittmenge aus Zugänglichkeit und Vielfalt, Staunen und Verblüffung plus dem Bekenntnis zu einer eigenen, ziemlich holperigen Geschichte. Dazu gehört auch so ein Ort wie die Hauptstadt Juneau, vernebelt, depressiv, ein Ort, den man nicht auf dem Landweg erreichen kann, sondern nur per Flugzeug oder mit dem Schiff. Oder das Hafenstädtchen Skagway, einst Ausgangspunkt für die Verrückten, die vom Goldrausch nach Norden gelockt wurden, hinauf zu den Quellgebieten des Yukon, auf dem man per Boot zum Klondike gelangen konnte.

Ich werde diesmal nur Fairbanks und Anchorage ansteuern – das urbane Alaska. Nicht Lachse angeln. Nicht auf Sandbänken landen. Ich werde mich unterwegs sicher mit ein wenig Nostalgie daran zurückerinnern, dass es da oben auch noch andere Möglichkeiten gäbe, seine Zeit zu verbringen. Aber ich werde auf dieser Weise zumindest nicht das Gefühl von einer versäumten Gelegenheit haben. Nicht nur habe ich in Alaska vieles erlebt, was einen unauslöschlichen Eindruck in mir hinterlassen hat. Ich kann ja jeder Zeit wieder hin. Ich muss es nur wollen.

Das letzte Mal hatte ich im November 2008 den Impuls, die Wahlnacht in Anchorage zu erleben. In Sichtweite des Palin-Lagers. Der Trip allerdings war nur schwer zu finanzieren. Abgesehen davon, dass man Alaskas Winter mit seinen langen Nächten nicht halb so attraktiv ist wie der Sommer. Wir sind an dem Abend in Harlem gewesen und haben erlebt, mit welcher Euphorie der Obama-Sieg in diesem Teil der Welt gefeiert wurde. Das war sicher besser, als in Alaska nur lange Gesichter zu sehen und darüber zu berichten.

Blick zurück: Vor zwei Jahren kam eine Frau aus Alaska auf die Bühne der amerikanischen Politik

18. Juli 2010

British Open: Kaymer schleicht sich an

ST ANDREWS, SCOTLAND - JULY 17: Martin Kaymer of Germany putts onto 18th hole during the third round of the 139th Open Championship on the Old Course, St Andrews on July 17, 2010 in St Andrews, Scotland. (Photo by Stuart Franklin/Getty Images)
Am 18. Grün legte Martin Kaymer am Samstag den Putt zur Annäherung an die Fahne ganz nah am Loch ab. Das Resultat: Birdie. Der Score für die Runde: eine 68. Der entscheidende Aspekt: Der Weltranglistendreizehnte arbeitete sich auf den dritten Platz der Zwischenwertung der British Open vor und geht am Sonntag mit seinem Freund Henrik Stenson und dessen Caddie Fanny Sunesson (seiner langjährigen Beraterin in Fragen der Spieltaktik) auf die entscheidende Runde. Sein Rückstand zum führenden Südafrikaner Louis Oosthuizen beträgt sieben Schläge.

Das ist durchaus eine Menge Holz. Aber auch nur dann, wenn Oosthuizen keine Fehler macht und die Nerven behält. Das gibt es im Golf jedoch so gut wie nie, dass einer vier Tage lang durch die Bank besser spielt als die Konkurrenz. Meistens kommt irgendwann der Einbruch – entweder früher oder später. Entweder weil man patzt. Oder weil man sich innerlich verspannt. Der letzte klassische Aussetzer: neulich bei den US Open, als der Amerikaner Dustin Johnson nach drei Tagen das Ding schon im Sack zu haben schien. Kollege Ron Sirak, mit dem ich einst eine Runde auf dem schweren US Open-Platz von Shinnecock gespielt habe, dem besten Links-Platz in den USA, erinnert an folgende Episoden neben Johnson:

"And how about Aaron Baddeley, who looked unbeatable in the third round of the U.S. Open at Oakmont in 2007 when he opened a two-stroke lead, and then unraveled to an 80 on Sunday that commenced with a triple bogey on the first hole? And don't forget the immortal Jean Van de Velde, who took a five-stroke lead into the final round of the 1999 British Open at Carnoustie and closed with a 77 -- including that memorable 7 on the final hole and lost the title to Paul Lawrie in a playoff."

Moral: Bei vielen Spielern, die sich zum ersten Mal in einer solchen Situation erleben, stottert irgendwann die Maschine, die drei Tage gut geölt gelaufen war.

16. Juli 2010

Irokesen: Fehl-Pass

29th November 1938:  Champion snow-shoe hurdler and racer, Prince Poking Fire, jumping over his suitcase in London, where he will be taking part in the Winter Sports to be held at Earls Court. He is the son of a native American Iroquois Chief and is seen wearing his traditional clothing.  (Photo by William Vanderson/Fox Photos/Getty Images)
Es gibt im internationalen Fußball "National"-Mannschaften aus England, Schottland, Nordirland und Wales. Man hat sich daran gewöhnt – auch daran, dass sie aus Lokalpatriotismus darauf verzichten, sich zusammen zu tun und eine stärkere gesamtbritische Nationalmannschaft auf die Beine zu stellen. Aber das ist nichts im Vergleich zu Lacrosse, wo mehrere Indianerstämme diesseits und jenseits der US-kanadischen Grenze die Nationalmannschaft der Iroquois Confederacy stellen.

Indianerstämme sind – zumindest wenn man die über Jahrhunderte entwickelte amerikanische Rechtsprechung zurate zieht – tatsächlich Nationen. Aber gleichzeitig sind sie es auch wieder nicht. Die Auswirkungen eines solchen Umgangs mit Ungereimtheiten der amerikanischen Kolonialgeschichte und der Entmündigung und Entrechtung der Ureinwohner wirken nicht immer konsequent. So haben die Indianer heute auf ihrem Reservatsgelände eine Unabhängigkeit, die der eines Staates, sagen wir mal, ähnelt. Mit eigener Polizei und eigenen Gerichten, aber auch einer zentralen Aufsicht über alle Stämme, dem Bureau of Indian Affairs, das in Washington sitzt.

Die Rechtslage bildet die Basis für die im ganzen Land entstandenen Casinos, die in vielen Fällen die Nachfahren der von den Einwanderern dezimierten Stämmen zum ersten Mal einen ansehnlichen Wohlstand verschafft hat. Steuern abführen müssen diese Wirtschaftsbetriebe nicht. Jedenfalls nicht an Washington und nicht an die Regierung des Bundesstaates, in dem sie sich befinden. Ihr wirtschaftlicher Erfolg beruht darauf, dass der weiße Mann (und die weiße Frau) – besonders im Rentenalter – eben gerne den ganzen Tag lang an den Spielautomaten in heruntergekühlten, neonbestrahlten Sälen herumdaddelt, in denen eine klimpernde Plastikmusik als Hintergrundgeräusch fungiert.

Die Iroquous Confederacy stellt übrigens ihren Bürgern Reisepässe aus. Und mit diesen Dokumenten können sie ganz offensichtlich zwischen den USA und Kanada ungestört hin und herpendeln. Aber wenn es um den Besuch anderer Länder geht, sieht die Sache etwas anders aus. Das konnte man in dieser Woche sehen, als die Nationalmannschaft in New York strandete und nicht zur Weltmeisterschaft nach England fliegen durfte. Die Briten akzeptieren die Indianer-Pässe nicht. Und vermutlich würden sich die Amerikaner bei der Rückkehr ebenfalls ziemlich anstellen. In den letzten Jahren wurden angesichts von befürchteten Terroranschlägen sehr viele Bestimmungen verschärft. So können ganz normale US-Bürger nicht länger ohne Reisepass die Grenze zwischen Kanada und den USA überqueren. Vor gar nicht so langer Zeit reichte noch ein Führerschein.

Die betroffenen Indianer, die in der Geschichte des Lacrosse einen ähnlichen Stellenwert haben wie die Schotten im Golf, betrachten die Affäre als Politikum erster Ordnung. Eines, das den Rest der Welt daran erinnert, dass die USA (und auch Kanada) voller unauflöslicher Widersprüche sind. Dass die Stämme in Nordamerika irgendwann den Rang von komplett selbständigen Staaten erwerben, scheint unwahrscheinlich. Es sei denn, sie haben mehr Erfolg vor Gericht beim Einklagen von Land, das ihnen widerrechtlich weggenommen wurde. Weiße Gerichte. Keine Tribal Courts.