16. Mai 2009

Beim Überflieger fehlt der Unterbau

Es war wohl an der Zeit, dass mal jemand die vordergründig immer so triftig wirkenden Gedanken von Malcom Gladwell etwas genauer abklopft. Und zwar auf die Faktenlage. In anderen Bereichen des journalistischen Themenspektrums wurde dem Erfolgsautor, der sein Zuhause beim New Yorker hat, auch schon das eine oder andere vorgehalten. Aber aus dem Sportbereich kam bisher noch kein Gegenwind. Umso kräftiger ist die Attacke bei Deadspin ausgefallen.

Wer sich mit dem Mann und seiner Arbeit beschäftigen will, sollte sich ein wenig Zeit nehmen und vielleicht auch mindestens eines seiner Bücher lesen. Das lohnt sich auf jeden Fall. Er schreibt hervorragend. Aber bei seinen Basisinformationen sollte man aufpassen. So hatte er in seinem neuesten Buch Überflieger folgende Sache über das kanadische Eishockey und seine Jugendarbeit anzubieten: Je früher im Jahr ein Spieler geboren wurde, desto größer sind seine Chancen auf einen Arbeitsplatz in der NHL. Warum? Jugendmannschaften werden jahrgangsweise formiert. Die älteren des jeweiligen Jahrgangs (geboren im Januar, Februar, März) haben einen natürlichen Entwicklungsvorsprung gegenüber den später geborenen und setzen sich demzufolge stärker durch. In einem Interview mit espn.com stützte er diese Beoabachtung mit den Worten ab: "You see the same pattern, to an even more extreme degree, in soccer in Europe and baseball here in the U.S."

Ich habe daraufhin mal eine Stichprobe beim deutschen Fußball gemacht (ist ja bekanntlich nicht die schlechteste Adresse in dieser Sportart) und mir die Geburtsdaten der Topscorer in der ewigen Bundesliga-Torjägerstatistik angeschaut (sicher die Kategorie 1A, wenn es um Durchsetzungsvermögen und Erfolg in der Sportart geht). Und was kommt dabei heraus?

1. Gerd Müller (Geburtsdatum: 3. November)
2. Klaus Fischer (Geburtsdatum: 27. Dezember)
3. Jupp Heynckes (Geburtsdatum: 9. Mai)
4. Manfred Burgsmüller (Geburtsdatum: 22. Dezember)
5. Ulf Kirsten (Geburtsdatum: 4. Dezember)
6. Stefan Kuntz (Geburtsdatum: 30. Oktober)
7. Dieter Müller (Geburtsdatum: 1. April)
7. Klaus Allofs (Geburtsdatum: 5. Dezember)
9. Hannes Löhr (Geburtsdatum: 5. Juli)
10. Karl-Heinz Rummenigge (Geburtsdatum: 25. September)

Wenn überhaupt ein Trend zu erkennen ist, dann der, dass viele der besten Schützen unter dem Sternzeichen des Schützen geboren wurden. Was wir aber nicht gleich zu einem ganzen Buch verarbeiten werden, weil wir nicht die Chuzpe von Gladwell haben.

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…
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Anonym hat gesagt…

Der DFB hat meines Wissen erst vor einigen Jahren auf das Kalenderjahr als Berechnungsgrundlage für Jugendteams umgestellt. Vorher galt der Stichtag "1. August" (Saisonbeginn).

Insofern stützen die Geburtsdaten von Gerd Müller & Co. eher Gladwells These - alle außer Löhr und D. Müller liegen in der ersten Hälfte des Berechnungszeitraums, die Spieler zählten in der Jugend tatsächlich zu den "älteren" ...

horstgünther hat gesagt…

dirswi hat recht. vor ungefähr 10 jahren wurde in deutschland die altersregelung verändert. Zuerst galt die Regelung, ähnlich wie in der Schule, dass der Stichtag der 1. August sei. Danach wurde auf Geburtsjahre umgestellt. Ich habe die Umstellung als Jugendfußballer selbst erlebt.

Jürgen Kalwa hat gesagt…

Mal abgesehen davon, dass ich bezweifle, dass Gladwell gewusst hat, dass die Altersregelung umgestellt wurde, erlaubt einem diese Umstellung im DFB, langfristig die Berechtigung seiner Auslese-These im Sport zu überprüfen. Denn wenn sie stimmt, müssten die Top-Spieler von heute in der ersten Jahreshälfte geboren worden sein.

Ich sehe aber noch eine andere Sache: Eishockey in Kanada ist eine Sportart, in der körperlicher Einsatz gefordert wird. Im Fußball geht es erst einmal um den Umgang mit dem Ball. Dabei können sich auch kleinere durchsetzen. Nehmen wir mal Olaf Thon, Geburtstag 1. Mai, der unter den alten Bedingungen groß wurde und ganz spät im damaligen Fußballjahr geboren wurde.

Anonym hat gesagt…

Mit der Meinung dürfte Gladwell nicht alleine dastehen. Spiegel online hatte vor längerer Zeit mal einen Artikel zu genau diesem Thema, ich hab ihn leider nicht mehr. Der Tenor war der gleiche wie bei Gladwell, jüngere Spieler sind klar benachteiligt.

Thon hier als Beispiel herzunehmen um die These zu widerlegen, halt ich für weit hergeholt, Ausnahmen gibt es immer. Dem Gladbacher Marko Marin wurde zu seiner Jugendzeit in Frankfurt übrigens gesagt er sei zu klein und schmächtig für den Profifussball. Körperliche Robustheit spielt also auch im Fußball eine erhebliche Rolle.

Solche Ergebnisse findet man auch in Individualsportarten, vor allem im Juniorenbereich, im Seniorenbereich wächst sich das dort dann tlw. aus. Deswegen sind die Olymp. Jugendspiele ja auch so eine Lachnummer.

Jürgen Kalwa hat gesagt…

Sorry, der letzte Kommentar war in einem Filter hängengeblieben. Das habe ich erst heute gemerkt. Mir geht es darum, den Absolutheitsanspruch dieser Altersthese zu relativieren. Und darum, die Qualität der Rechercheleistung von Gladwell in Frage zu stellen. Das hat nichts damit zu tun, ob die Grundannahme – Ältere sind stärker als Jüngere und setzen sich leichter durch – richtig ist. Das zweifle ich gar nicht an.