Man möge jemandem verzeihen, der 1980 vor dem Attentat auf dem Münchner Oktoberfest an der Stelle das Gelände verlassen hat, wo eine Stunde später die Bombe explodierte, die 13 Menschen tötete, dass er eine besondere Beziehung zu der Veranstaltung hat. Eine Auswirkung: Es fehlt einem an der Naivität im Umgang mit dem Mythos dieser Riesen-Kirmes. Die halbe Welt kommt nach New York, um Ground Zero zu besuchen. Frage: Wer fährt eigentlich nach München, um der Opfer des 26. September zu gedenken?
Ich weiß, es mag überzogen klingen, an dieses Ereignis zu erinnern, wenn man sich jedes Jahr erneut eigentlich nur über die Fußballberichterstattung während dieser September-Wochen ärgert. Nicht weil man anscheinend heute nonchalant darüber hinweggeht, dass dieser Akt rechtsextremer Gewalt mehr war als nur die Tat eines einzelnen. Sondern weil das Oktoberfest automatisch in den Köpfen von Journalisten aus dem Sportressort eine Assoziationskette auslöst, auf die man nur kommen kann, wenn man völlig desensibilisiert ist und Biertrinken für die Essenz des Profi-Fußballs hält.
Fällt das eigentlich niemandem mehr auf, dieser Unsinn?
"Kaum hieß es auf der Wiesn „Ozapft is“, da hatte Jürgen Klinsmann auch schon einen Kater. So kräftig eingeschenkt wie beim 2:5 (0:2) gegen Werder Bremen wurde dem FC Bayern München zum Start des Oktoberfestes noch nie zuvor in der über 100-jährigen Vereinsgeschichte." (Lausitzer Rundschau)
"Pünktlich zur Mittagszeit wurde in München das erste Fass Oktoberfestbier angezapft, die Bierzelte geöffnet. Und auch beim FC Bayern in der nur wenige Kilometer von der Theresienwiese entfernten Allianz-Arena öffneten sich ab 15.30 Uhr alle Schleusen."
(Sportal.de)
"Werder-Watschn zur Wiesn" (br-online)
"Ausgerechnet zum Auftakt des Oktoberfests fügte der Double-Sieger von 2004 Rekordmeister Bayern München eine empfindliche 2:5-Niederlage zu." (Goal.com)
Die Auswahl der Zitate ist völlig willkürlich, aber repräsentativ. Und sie drängt einem die Frage auf: Wie bitte, was hat das eine mit dem anderen zu tun? Fast alle haben mal wieder den Verweis zum Oktoberfest gebracht. Auch dem Dummschwätzer war nach Wiesn-Schmarrn: Er gab dem Trainer der Hochleistungssportler von Bayern München den Rat, sich ein paar Liter Bier in den Kopf zu knallen.
So ist das eben, wenn Platitüden-Produzenten auf Folkore machen. Man kann sich schon ausmalen, wohin sich das journalistische Repertoire noch entwickelt. Zu Fußball-Artikeln ohne Sinn und Verstand und mit Anklängen wie "Ausgerechnet am (oder auch "pünktlich zum...") Tag der Deutschen Einheit/an Weihnachten/am Todestag des Pflegers des Eisbären Knut/vor der Sendung von Johannes B. Kerner...."
Da ziehe ich dann doch lieber die Logik eines Gerhard Polt vor, der mit dieser Oktoberfestgeschichte das Krawallige und die Brunstdummheit einer Münchner Tradition aufgreift und gallig karikiert. In zwei Teilen. Nur Ton.
1 Kommentar:
Jürgen, natürlich hat die Wiesn nix mit der Leistung einer Sportmannschaft zu tun. Aber mit der Psychologie der Münchner Fans umso mehr. Zurzeit ist für die Anhänger München das gefühlte Zentrum der Welt. Und da hat der FC Bayern nicht zu verlieren. Unterhalte dich mit einem Bayern-Fan und du weißt Bescheid. Mir-san-mir-Bewusstsein potenziert.
Ist doch klar, dass die Medien da gerne drauf aufspringen. Nennen wir es emotionale Berichterstattung. Ich hab da kein Problem mit, solange neben diesen Schlagzeilen auch fundiert über die sportliche Seite berichtet wird.
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