Sentimentalität. Das ist die wichtigste Zutat für einen Baseball-Fan, der sich irgendwann im Leben für einen Club entscheidet und ihm verbunden bleibt. Die sentimentalsten Fans auf dem Baseball-Planeten wurden in den letzten Jahren ziemlich gut abgefunden. Erst gewannen die Red Sox aus Boston die World Series. Dann die White Sox aus Chicago. Und das, obwohl sie achtzig Jahre lang einen Weg gefunden hatten, sich noch jedes Mal rechtzeitig selbst aus dem Spiel zu nehmen. Die halbe Welt dachte, diese Mannschaften sind verflucht. Dabei waren sie meistens nur verflucht schlecht. Aber - siehe oben - wenn man sentimental an einer Institution hängt, kommt man auf die dollsten Gedanken, um irgendwie das rein Faktische, das Unangenehme, das Sinnlose, in eine irrationale Huldigung umzuwandeln. Sagte jemand Heiligenverehrung, Katholische Kirche?
Ich bin nicht sentimental genug, um mich für einen bestimmten Baseball-Club zu interessieren, in dem ganze Generationen von Entscheidungsträgern das Geld aus dem Fenster werfen und im Gegenzug dafür nichts Bemerkenswertes auf die Beine stellen. Nicht in einer dermaßen detailliert analysierten Sportart, in der fast alle verborgene kreative Attraktivität ausgetreten wird wie ein Feuer, vor dem man Angst hat, es könnte sich zu eine Flächenbrand ausweiten. Ich bewundere die Leute von Sabernomics und Michael Lewis, der das Buch Moneyball (Untertitel: "The Art of Winning an Unfair Game") geschrieben hat, weil sie gezeigt haben, worauf es ankommt, um in der Maschine namens Major League Baseball Erfolg zu haben: auf eine kaltschnäuzige, radikal rationale Bewertung des vorhandenen Datenmaterials. Gut für alle, die das umsetzen können. Schlecht für uns. Wir dachten Baseball sei ein Spiel. Es ist wohl etwas anderes.
Ich bin nicht zynisch genug, um mich NICHT an manchen lauen Sommerabenden und nicht ganz so lauen Herbstabend in ein Stadion zu wünschen, in dem sich tausende von Menschen versammeln, die dem Ereignis einen gewisse Stimmung verleihen. Denn sie sind sentimental und hoffnungsfroh und enttäuschbar. Und sie sind es, die sich hinterher noch einmal kurz umdrehen und hinunter in die Stadionschüssel schauen und warten, bis das Licht ausgeht. Man kann sich in sie hineinversetzen und durch sie einen Zugang zu der Frage finden: Für welches Team entwickelt man Sympathien? Aber ich bin da nie sehr weit gekommen. Am stärksten haben mich in den neunziger Jahren die Atlanta Braves begeistert, was wohl auch daran lag, dass ich mich mit ihnen und ihrem damaligen Pitcher Tom Glavine auseinandergesetzt hatte (für eine umfangreiche Geschichte in der Zeitschrift Sports). In dem Jahr, in dem die Boston Red Sox endlich die Yankees weggefegt haben, haben ich denen die Daumen gedrückt. Das lag vor allem daran, dass ich ein paar Jahre vorher bei der Arbeit an einem Bericht über Michael Jordan in den Minor Leagues in Birmingham/Alabama Manager Terry Francona kennengelernt hatte. Francona hatte damals so cool gewirkt angesichts des Affentheaters rund um Jordan.
Die Red Sox haben es nicht in die Playoffs geschafft, die White Sox auch nicht. Die Chicago Cubs, die jetzt eigentlich an der Reihe wären, kamen nie in Frage. So erwärmen sich jetzt einige an den Mets, weil sie auf eine Wiederholung der Subway Series gegen die Yankees hoffen, was man eigentlich niemanden wünschen darf. Niemand außerhalb der Stadt wird sich für so etwas interessieren. Nicht mal die Sentimentallissimos.
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