18. Februar 2008

Über das Zersägen von Nationalhymnen

Wenn man nur alle paar Jahre an Veranstaltungen teilnimmt und zusammen mit Journalisten aus der Themenecke Sport auf einem Podium sitzt, reist man jedes Mal ohne eine handfeste Erwartung an. Man ist von berufswegen offen und neugierig und darauf gespannt, was die anderen zu sagen haben. Heißen sie Kicker oder Sport-Bild oder ZDF. Den eigenen Stoff und das eigene Anliegen kennt man schließlich zur Genüge.

Deshalb bin ich am Freitag auch mit hochgestellten Antennen zu der zweitägigen Konferenz des Sportnetzwerks und dem Institut für Journalistik der Technischen Universität Dortmund ins Ruhrgebiet gefahren. Gekommen waren etwa 160 Studenten, Wissenschaftler und Journalisten von rund 70 Medien, die sich in zahlreichen Workshops mit dem Thema Qualitätssicherung befassen wollten. Es wurde eine ganz besondere, hochkarätige Veranstaltung, von der ich sicher mehr mitgenommen habe, als ich da lassen konnte.

Weil es die Planung so wollte, war mein Beitrag der letzte. Mit so etwas schiebt einen der Regisseur der Veranstaltung in eine eigenartige Rolle. Gewiss: Es handelt sich um ein harmloses Dilemma. Aber eines, dem man nicht entkommt. Es lautet: Wie kann man nach so vielen Stunden mit so vielen guten Vorträgen, Fragerunden und Diskussionen Leuten im Saal, die insgeheim über das Nachhausefahren nachdenken, noch etwas Gescheites mit auf den Weg geben?

Jimi Hendrix hat damals in Woodstock zum Schluss die amerikanische Nationalhymne zersägt. Aber dafür hatte am Samstag in Dortmund bereits - im übertragenen Sinne - Kai Pahl von allesaussersport gesorgt, als er im Rahmen des letzten Panels der Blogger und Online-Spezialisten eine fulminante Präsentation ablieferte. Darin hatte er - stellvertretend - den Internet-Auftritt eines der sogenannten Leitmedien im deutschen Journalismus mit den Innovatoren in England und den USA abgeglichen. Zersägt ist gar kein Ausdruck. Er warf der Süddeutschen Zeitung im Rahmen der anschließenden Diskussion vor, sie hätten nicht nur inhaltlich nichts auf der Uhr. Ihnen fehlten auch noch juristisch "die Eier", sich gegen unsinnige Einschränkungen der neuen Kommunikationskultur zu wehren.

Nach einer solch klaren und im Grunde unwidersprechbaren Bestandsaufnahme steht man hinter dem Pult und weiß: Das dicke Manuskript mit den vielen ausformulierten Gedanken lässt du jetzt einfach mal beiseite. Du willst ja nicht wegführen von der Klarheit, die im Raum steht. Du willst aber auch nicht wiederholen, was bereits gesagt wurde. Obwohl spürbar ist, dass die meisten anwesenden Journalisten die Online-Dimension noch immer nicht als neue kreative Spielwiese betrachten, sondern im besten Fall als drittrangiges Nebenresultat ihrer Arbeit für die gedruckte Ausgabe.

Nicht dass ich gewusst habe, was später durch den ausführlichen Diskussionsbeitrag eines Redakteurs einer Regionalzeitung deutlich wurde, wie verbreitet sie sein muss, die totale Verständnislosigkeit gegenüber den neuen Entwicklungen und Chancen. Aber geahnt habe ich es schon. Man braucht sich dazu nur die Seiten der Zeitungen und Portale in Deutschland anzuschauen. Da keimt kein Weiterdenken. Da keimt nur strukturelles Verhalten, das versucht, das Alte zu bewahren und umzutopfen. Wenn man böswillig ist, würde man sagen: Am Ende interessiert sich keiner aus dieser Denkrichtung für die Leser von morgen, allenfalls für die von heute. Und dass die bereits mächtig auf die Rente zusteuern, nimmt man hin.

Was soll man also ansprechen? Ich habe aus dem Stegreif ein Plädoyer für eine stärkere Umorientierung auf das eigene individuelle Interesse an der Kommunikation probiert. Ich habe dabei im Prinzip nicht mehr versucht, als die Aufbruchstimmung zu thematisieren, die ich persönlich empfinde und bei so vielen Blogs bestätigt sehe, und an einem Beispiel aus der jüngeren deutschen Mediengeschichte - dem Erfolg der Stadtmagazine - die Sache mit dem Aufbruch und der Innovation und der Chance veranschaulicht. Man hofft dann immer, dass man nicht gleich unter Nostalgieverdacht gerät. Nur weil man in die Grabbelkiste solcher Erfahrungen greift. Mich hat es schließlich auch immer genervt, wenn Leute einem ihre alten Kamellen auftischen wollten.

Ich weiß deshalb auch zwei Tage später noch nicht, ob das ein sinnvoller Beitrag war, um wenigstens den unruhigen Teil der Kollegenschar zu bestärken, sich langsam, aber sicher auf die neue Realität im Mediengeschäft zuzubewegen. Aber ich weiß auch nicht, was ich sonst hätte sagen sollen. Das Manuskript jedenfalls geht in die Tonne.
Blick zurück: Die Ankündigung der Dortmund-Konferenz

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Bitte nicht in die Tonne kloppen. Das veröffentlichen wir noch. Und bis zum nächsten Online-Workshop machen wir erst mal schön so weiter wie bisher. Vielleicht haben im Herbst mehr Sportjournalisten kapiert, worum es bei diesem Online-Dingens geht.

Jürgen Kalwa hat gesagt…

Einverstanden.

Anonym hat gesagt…

Ich fand die historische Einordnung und den Vergleich mit der Gründerzeit der Stadtmagazine sehr gelungen. Noch wichtiger war aber, dass das Plädoyer von einem echten Old-School-Journalisten kam, der außerdem, um in der Argumentation des zitierten Kollegen von der Regionalzeitung zu bleiben, sehr „gesettlet“ rüberkam und sich eigentlich nicht mehr mit diesem Internet beschäftigen dürfte.