Wer ein paar Minuten übrig hat und sich für die Entwicklung der amerikanischen Sport-Blog-Szene interessiert (Sie ist Minimum zwei Jahre der deutschen voraus und sehr viel aggressiver und witziger, weil die Macher keine Furcht davor haben, nicht ernst genommen zu werden), sollte das Radiointerview mit Will Leitch (Foto) anclicken, das Scott Van Pelt von EPSN mit ihm am letzten Freitag geführt hat. Man sollte dazu wissen, dass Leitch in Brooklyn sitzt und Deadspin betreibt, den erfolgreichsten Blog von allen (laut Quantcast: 800.000 Besucher im Monat). Dass er permanent den Sender (Eigenwerbung: The Worldwide Leader in Sports) an seinem Stammsitz in der Provinzstadt Bristol (zwei Stunden außerhalb von New York) und seine Star-Reporter und Kommentatoren-Experten attackiert, wozu auch News aus deren Privatleben gehört. Dass man deshalb lange Zeit bei ESPN ein Kontakt-Embargo in Richtung Deadspin praktiziert hat (vermutlich von oben verordnet). Und dass Van Pelt die Sendung nur deshalb macht, weil man sich soeben von dem bisherigen Mann am Mikrophon namens Dan Patrick aus nicht bekannten Gründen getrennt hat. Patrick ist vor allem durch seine respektlose und auf Lacher zielende, selbstironische Präsentation der Nachrichtensendung SportsCenter zum Begriff geworden. Das Programm ist über die Jahre - nicht nur dank Patrick - eine feste Burg in der Fernsehlandschaft geworden.
Zurück zum Interview. Dass Van Pelt Leitch interviewt (und nicht andersherum), ist das eigentliche Ereignis. Dass er weniger Inhalt abfragt, sondern Attitüde erklärt haben will, zeigt, dass da auf einer Metaebene eine Verschiebung tektonischer Platten stattfindet. Dass es zu keinem Beben kommt, liegt daran, dass Van Pelt keinen Streit sucht, sondern wie jemand arbeitet, der sich Liebkind machen will. Und dass Leitch ganz sicher besser schreibt als frei redet und ebenfalls jeder Gelegenheit ausweicht, seine hinlänglich bekannten Animositäten los zu werden. Die zahme Kritik geht in die Richtung: Hey, ihr ESPN-Leute seid Promis und in vielen Fällen viel berühmter als und ebenso gut bezahlt wie ein Baseball-Coach in der Major League. Wir sind es, die euch mit unseren Geschichten im Medienkontext zu normalen Menschen machen. Was habt ihr dagegen?
Der Tanz mit Samthandschuhen erinnert einen irgendwie an Brandt in Erfurt (ohne "Willy"-Rufe). Eine erste Kontaktaufnahme zum unmittelbaren Abbau der Spannungen mit weitreichenden Implikationen. Wann die Mauer fällt? Zwischen Erfurt 1970 und Berlin 1989 vergingen 19 Jahre. Solange wird es nicht dauern. (via SportsbyBrooks)
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