24. Februar 2008

Vor der Oscar-Verleihung: Zwei Mc's im Vergleich

Morgen werden die Oscars verteilt. Die Veranstaltung ist im Grunde ein kaugummiartiger Tanz der Eitelkeiten, bei dem die Auszeichnungen nur deshalb zählen, weil sie die weitere wirtschaftliche Auswertung der hochgelobten Filme ermöglichen. In diesem Jahr steht jedoch ein bisschen mehr an Gewicht hinter den Nominierungen. Kaum wahrzunehmen hinter der Fassade der dröhnigen Kinobilder und dabei doch wert, erwähnt zu werden: Die Schreibleistung und das Temperament der Schriftsteller Ian McEwan (Atonement) und Cormac McCarthy (No Country for Old Men).

Ich habe mir vor ein paar Stunden No Country for Old Men angeschaut und mich gefragt, wie es überhaupt sein kann, dass ein derartiger Film so viel positives Echo auslöst. Ich werde den Verdacht nicht los, dass man in den USA in Ermangelung cineastisch wirklich bemerkenswerter Filmemacher an einer sinnentleerten Gewaltorgie der Brüder Joel und Ethan Coen einfach deshalb Gefallen findet, weil sie in ihrer unerhörten Absurdität - in manchen Momenten wenigstens - Nachdenklichkeit provoziert. Anders als in subtileren amerikanischen Gewaltdramen, wie etwa dem mit einem Oscar ausgezeichneten Film Crash, gelingt es jedoch der Dramaturgie nicht, aus den vielen Blutspuren irgendetwas erzählerisch Verbindliches und Zusammenhängendes herausfiltern. Blutspuren, die die beiden Brüder, die das Drehbuch geschrieben und den Schnitt besorgt haben, wie besoffen immer wieder als visuelles Element benutzen - sahen wir die nicht auch schon in Fargo?

Nach dem deutschen Trailer zu dem Film zu urteilen, ist die Synchronfassung vermutlich nicht mal oberflächlich interessant, sondern tendenziell banal und hohl. Denn sie raubt dem Ganzen auch noch die Zwischentöne, die sich aus den texanischen Akzenten und dem Klang der Sprachmelodie der Haupt- und Nebenfiguren ergeben. Eine Dimension, die zwar der Roman notgedrungen nicht hat, aber in der Kinoversion wenigstens eine gewisse Menschlichkeit der Charaktere herstellt. Erst die unterschiedlichen Stimmen vermitteln die Trostlosigkeit und den Wahnsinn der Geschichte. Nicht die vordergründig komplex konstruierte Jagd nach einem Koffer mit Millionen.

Das einzig Besondere in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass der Schriftsteller Cormac McCarthy vor kurzem sein allererstes Fernsehinterview gegeben hat. Das findet man auf YouTube nur zerlegt in Teilen. Es zeigt einen eher schüchternen Mann, der mit 74 Jahren doch wohl erstmals öffentlich über sein literarisches Erbe räsonnieren möchte. Zumal es bei dem Buch, um das das Interview kreist - der mit einem Pulitzerpreis ausgezeichnete Roman The Road, um einen privateren Stoff geht. Er nimmt Bezug nimmt auf ein Erlebnisse mit seinem eigenen, erst achtjährigen Sohn. Man darf davon ausgehen, dass der Filius seinen Vater überleben und sich später fragen wird, wie sein Erzeuger denn war und wie er dachte und schrieb. Oprah Winfrey, die den Versuch unternimmt, aus dem Autor ein paar kluge Gedanken über das Schreiben und das jahrelange Überleben als total verarmter Schriftsteller herauszuholen, ist allerdings keine besonders produktive Gesprächspartnerin. McCarthy versinkt zeitweilig fast in seinem Sessel, fühlt sich unwohl in seiner Haut und muss sich irgendwann gefragt haben, weshalb er sich nach all den Jahren der Medienabstinenz ausgerechnet auf diese Frau eingelassen hat.

Wer mehr anschauen möchte, sollte sich auf dieser Seite die einzelnen Folgen zusammenklauben.

Man kann auch Ian McEwan im Interview betrachten. Der Brite ist ein routinierter und medienbewusster Mensch, der mit Atonement vermutlich den Höhepunkt seiner Kunst erreicht hat (ab 26:10 Minuten).


Die Geschichte, die der Roman erzählt, hat Regisseur Joe Wright in einen dichten Bilderstrom mit vielen imaginativen Kameraeinstellungen umgewandelt. Der Film ist dadurch zusätzlich zur Überraschung am Ende zu einem wirklichen Kinowerk geworden. Anders als No Country mit seinen hakelnden Schnitten und seinen platitüdenhaften leeren Landschaften, die nur am Anfang als Stimmungsfänger eine Rolle spielen, geht bei Wright immer die Optik vor. Er zeigt dadurch, dass der Stoff selbst - die fatale Phantasie eines jungen Mädchens und ihr lebenslanger Versuch, Abbitte zu leisten - über mediokre visuelle Erklärungsmuster erhaben ist. Die kunstvollen Rücksprünge und Perspektivwechsel wirken stimmig und kommen ohne erklärende Hinweise aus. Die gekonnte Inszenierung der Gesten, Blicke und Berührungen gestattet es Wright, den Dialog in den Hintergrund gleiten zu lassen. Das Reden und der Klang der Stimmen sind hier nur halb so entscheidend. Jeden anderen Film hätte Keira Knightley, die offensichtlich ein begrenztes mimisches Repertoire besitzt und stur nur ein einziges Gesicht aufsetzt, an den Rand zur Müllkippe gebracht. Von solchen Gefahren bleibt diese Inszenierung verschont.

Keine Ahnung, wie die Leute ticken, die über die Vergabe der Oscars entscheiden. Vermutlich wird die Killerfigur, gespielt von dem Spanier Javier Bardem, in der Kategorie "Bester Nebendarsteller" gewinnen. Denn einen besseren Psychopathen haben wir schon länger nicht mehr gesehen. Aber das sollte es auch schon gewesen sein.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ohne den neuen Film gesehen zu haben: Tust du den Coen-Brüdern nicht ein wenig unrecht? Für mich haben sie alleine schon wegen ihres Gesamtwerks den Oscar verdient. Ich kann mich an keinen Film von den Jungs erinnern, den ich nicht genial fand. Recht hast du aber, was die Synchro angeht. Die war schon in Fargo kaum zu leisten, der Film machte erst im Original Sinn. Auch hier wegen des Dialekts, aber hier North Dakotsa, nicht Texas.

Jürgen Kalwa hat gesagt…

Ich sehe die Coen-Brüder doch sehr stark gefiltert. Was ich an Fargo gut fand, ist die Lakonie und Banalität und wie sie den Plot und die Figuren voranbringt. Die Gewalt ist eher Nebensache und das Problem von Stümpern.

Im neuen Film ist sie die Hauptsache. Das kennen wir von Sam Peckinpah oder auch von John Carpenter (Assault on Precinct 13> und seinen Halloween-Geschichten) oder von Quentin Tarantino und ist nicht per se zu bemängeln. Aber im Unterschied zu den Leuten, die den neuen Film gut finden, sehe ich das Werk als bizarre Klebearbeit, die einen allwissenden, allgegenwärtigen Killer braucht, um überhaupt notdürftig zusammengehalten werden zu können. Dieser Mr. Allwissend (dessen inneren Vorgänge wir nie dargestellt erhalten) wird uns in den wenigen Dialogen als nachdenklicher, moral-philosophisch irgendwo bei Nietzsche verankerter Typ und in einer kurzen Szenenfolge als jemand präsentiert, der weiß wie man seine blutigen Verwundungen behandelt und sich Spritzen setzt. Mit anderen Worten: Diese Figur wird als extrem motiviert und klug skizziert, ohne dass wir auch nur einen Ansatz dafür finden, um zu erkennen, woher das kommt und wohin das führt.

Im Kontrast dazu haben wir einen räsonnierenden alten Sheriff, der uns weiß machen soll, dass das mit der Gewalt in den USA früher alles nur halb so schlimm gewesen ist. Das ist natürlich Unsinn. Keine Zeit in der Geschichte der USA war gewalttätiger als das 19. Jahrhundert. Ob in den Städten oder da draußen auf dem platten Land.

Zusammenfassend: Was die Coens da machen, ist eine irreführende Ideologisierung und Pseudointellektualisierung anonymer Gewalt, schön spannend inszeniert, mit logischen Schwächen in der Abwicklung des Plots und ein paar optischen Highlights, die man durchaus loben sollte. Dass Leute das zum Film des Jahres erklären, spricht nicht für den Film, sondern gegen die besagten Leute.