30. Juli 2009

Olympisch fern sehen

In fast jedem größeren Land der Welt gehört es zum Alltag der Eliten, sich aufmerksam und pomadig im Spiegel zu betrachten und genussvoll um den eigenen Bauchnabel zu kreisen, um auf diese Weise zu erforschen, wie der Rest der Menschheit wohl so ticken könnte. Die Innensicht der Außensicht der Innensicht.

In Deutschland stand dieser Reflex zwar jahrzehntelang offiziell auf der schwarzen Liste, weil dadurch die unfrohe Erinnerung an das na(r)zis(s)tische Debakel wach gerufen wurde. Aber ausgerottet wurde er nicht. Er tobte sich nur – gut kaschiert – in anderen Segmenten des gesellschaftlichen Alltags aus.


Im Sport zum Beispiel, wo man sich mit einer Fußballnationalmannschaft identifizieren kann, die tradionell zu den besten der Welt gehört und die Mythologie mit dem “Wunder von Bern” bereichert hat. Wo man bei Olympischen Spielen seit den denkwürdigen Tagen von Berlin 1936 im Medaillenspiegel zwar nicht mehr mit den Übermächten wie den USA, Russland (vorher UdSSR) und neuerdings China Schritt halten kann, aber sich notgedrungen auch an Disziplinen begeistert wie Synchron-Turmspringen oder Dressurreiten.


Der Faszinationsmechanismus funktioniert vermutlich so ähnlich wie bei den Modeweinen, die immer etwa fünf Jahre lang brauchen, bis sogar die Frau an der Kasse im Supermarkt weiß, welche Sorte man trinken muss, um als Kenner zu gelten. Nach weiteren fünf Jahren haben sich alle den immer gleichen Geschmack leidgetrunken. Im Sport haben wir uns auf diese Weise eine Zeitlang an Tennis besoffen. Und dann an Skispringen. Radrennfahrer waren auch mal penetrant populär. Dieser Tage erreicht die Abwärtsbewegung in der Geschmackskurve gerade solche Kuriositäten wie Boxen und Biathlon. Nicht schlimm: Die Triathleten stehen bereit. Snowboarder könnten Lücken schließen.


Die Beispiele zeigen, dass Spitzensport jenseits der etablierten großen Ligen in wenigen Mannschaftssportarten weltweit trendabhängig ist und von der Hand in den Mund lebt. Das Fernsehen leistet einen erheblichen Teil in der besinnungslosen Verwertungs- und Verwurstungskette: Es schüttet Geld in die Maschine und erzeugt Aufmerksamkeit. Dieser Mechanismus ist mitverantwortlich für die Bereitschaft von Athleten zum Doping und zum Betrug und für den Zynismus der Hintermänner, die ein idealtypisches Bild von einem sauberen Sport auf die Fahnen geheftet haben, das sich naiven Sponsoren aus der Industrie verkaufen lässt, die die Medienpräsenz von Sport als Vehikel für ihre eigenen Geschäfte nutzen.


Da ist es nachgerade absurd, dass ausgerechnet die Gebührenzahler des öffentlich-rechtlichen Fernsehens solche Netzwerke mit ihrem Geld füttern. Genauso wie die Tatsache, dass das nach eigener Einschätzung so anspruchsvolle öffentlich-rechtliche Fernsehen keine Distanz zum Thema Sport herstellen kann, sondern sich lieber als Transmissionsriemen von Interessen einspannen lässt, die in einem effektiv unkontrollierbaren, immer häufiger auf Pump in Milliardengrößenordnungen basierenden, grenzenüberschreitenden Kartell das Unterhaltungsbedürfnis der Massen bedienen.


Aber weil es an der notwendigen Distanz fehlt, darf man sich über das Lamento nicht wundern, das Bernd Gäbler in seiner neuesten Kolumne bei stern.de aufgreift (siehe Das Schachem um die Olympiarechte). Da beklagen sich Vertreter des Gebührenfernsehens doch tatsächlich darüber, dass das IOC ihnen nicht mehr einfach für vergleichsweise kleines Geld die Übertragungsrechte für die Olympischen Spiele 2014 und 2016 überlässt. Die Olympiabosse hatten nämlich das Lizenzpaket, das sonst immer geschlossen an die European Broadcasting Union (EBU) ging, einem Makler in die Hand gedrückt, der mit jedem einzelnen Land Verträge abschließen darf und nun hofft, dass die ARD, das ZDF und die BBC im Wettbewerb mit Privatsendern wie SAT1, RTL oder Sky mehr bieten als sie bisher gezahlt haben.


Was bei den Beschwerden stets untergeht, ist die Frage: Wer leidet eigentlich wirklich darunter, sollten die öffentlich-rechtlichen Sender dabei den Kürzeren ziehen? Die Sportler, die in den Glanzsportarten hinreichend Geld verdienen und in Deutschland obendrein in einem beachtlichen Umfang vom Steuerzahler als Soldaten oder Polizisten alimentiert werden? Oder vielleicht die Zuschauer, die womöglich nicht mehr wochenlang von morgens bis abends zäh dahinzappelnde Veranstaltungen mit Athleten aus 200 Ländern geboten bekommen, die keiner kennt (die Athleten nicht und auch nicht die Länder)? Die Modernen Fünfkämpfer und andere Exoten, die sowieso niemand wahr nimmt? Oder leidet am Ende doch nur das Selbstverständnis der Programmverantwortlichen, die nicht von alten Gewohnheiten lassen können? Wozu in Deutschland die absurde Sondersituation gehört, dass man nicht ein Team, sondern gleich zwei komplette Reporter-, Redakteur- und Technik-Teams an die Veranstaltungsorte schickt – von ARD und ZDF.


Was hat das mit dem eingangs erwähnten Bauchnabel zu tun, um den in Deutschland bei solchen Themen gekreist wird? Das Betrachten desselben füttert ein falsches Selbstwertgefühl und fördert Verzerrungen in der Einschätzung der wahren Verhältnisse. Nur so lässt sich die Warnung von ARD-Programmdirektor Volker Herres erklären (zitiert nach Gäbler): “Sollte es zu einem Verlust der Fernsehrechte an den Olympischen Spielen kommen, würde dies zahlreiche, vor allem kleinere Sportarten, entwerten. Wir würden unser Engagement zwischen den Spielen für jede Einzelsportart überprüfen.” Da fragt man sich: Warum so lange warten? Warum wird nicht bereits jetzt überprüft? Oder anders: Warum wurde es nicht schon vor Jahren getan?


Dass es dem IOC um viel Geld geht, ist spätestens seit 1984 klar, als die Spiele von Los Angeles erstmals in der Geschichte der Spiele enorme Überschüsse erwirtschafteten. Dass Superstars die Plattform bevölkern dürfen, um Publikum neugierig zu machen, wurde 1992 etabliert, als das Dream-Team der USA den Rest der Welt mit attraktiven Basketball an die Wand spielte. Die Veränderungsprozesse gehen weiter. Wozu gehört, dass inzwischen das ganze antiquierte olympische Sammelsurium aus Kanu und Judo, Segeln und Tontaubenschießen nur noch dann als medienrelevant wahrgenommen wird, wenn es Event-Charakter bekommt. Auch das ist nicht neu. An dem Rad haben die Öffentlich-Rechtlichen doch gerade in Deutschland bis zum Erbrechen selber gedreht –mit den Klitschkos und anderen Import-Boxern aus Ländern, in denen die ARD und das ZDF von niemandem empfangen werden. Wenn das Gebührenfernsehen eine Chance auf Neubesinnung im Umgang mit Sport hätte, dann jetzt. Jetzt, da ihm vom IOC die kalte Schulter gezeigt wird. Dazu müsste man aber den Kopf nach oben bringen und nach vorne schauen. Am besten in die Zeit nach 2016. Wenn die Olympischen Spiele unter der Last des eigenen Größenwahns zusammenfallen.

(Dieser Text ist gleichzeitig bei carta.info erschienen, dem Autoren-Blog für Politik, Medien und Ökonomie, der in Berlin produziert wird und vor ein paar Wochen mit dem Grimme Online Award in der Kategorie Redaktion & Autorschaft ausgezeichnet wurde.)

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