22. Juli 2009

Die (vermeintliche) Macht der Baseball-Liga

Hier ist – als Einstieg zu einem längeren Exkurs – erst mal eine aktuelle Information für Medien- und Urheberrechtsspezialisten, die sich für die Entwicklungen in den Vereinigten Staaten interessieren (zugegeben: vermutlich eine Kleinstgruppe): Major League Baseball hat Viacom gezwungen, aus einem in den Internetarchiven geparkten Clip der Daily Show mit Jon Stewart den jammervollen Pitch von Präsident Obama beim All-Star-Spiel herauszuschneiden. Viacom ist die Fernsehfirma, der der Comedy Channel und die Sendung gehört, die inzwischen als das vertrauenswürdigste Nachrichten-Programm Amerikas eingestuft wird. Was ist das Problem? Die Rechte an den Aufnahmen gehören der Liga, die nichts dagegen hatte, dass im Rahmen der sogenannten Fair-Use-Klausel des amerikanischen Urheberrechts gleich nach dem Ereignis im Fernsehen ungefragt Ausschnitte gezeigt und kommentiert wurden. Aber dass diese Ausschnitte nun online als Kopie der Sendung ad infinitum zu sehen sein würden, das ging der Liga gegen den Strich. Viacom reagierte vorsichtshalber und schnitt die fragliche Stelle aus dem Archivstück heraus. Wie die Geschichte weiter geht, weiß noch keiner. Sollte sie vor einem Gericht landen, darf man gespannt sein, wie ein Urteil aussieht. Es wäre allerdings kurios, wenn die Argumentation der Baseball-Leute durchdringen würde. Das würde auf andere Medien, sagen wir mal Bücher, übertragen heißen: die Erstauflage darf Zitate aus anderen Werken enthalten, aber alle weiteren Auflagen nicht, denn damit verdient der Verlag und der Autor Geld, das er dem Rechteinhaber des Orginalmaterials vorenthält.

Ohne an dieser Stelle allzuweit auszuholen: Das wäre absurd und würde die Rolle der durch eine Reihe von höchstrichterlichen Urteilen untermauerten Rechtsdoktrin völlig aushöhlen. Eine Sichtweise, die es unter anderem ermöglicht, dass in den USA zu Zwecken der Parodie keine Genehmigung vom Urheberrechtsinhaber des parodierten Materials eingeholt werden muss. Aber nichts am und im Rechtswesen lässt sich vorher genau vorhersagen.

Mir fällt in solchen Momenten meistens der Rechtsstreit um die Videos vom deutschen Amateuerfußball ein. Da haben zwei Instanzen in Deutschland auf der Basis des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb mit einem Federstrich das Urheberrecht ausgehebelt. Das Verfahren geht nun in die dritte Instanz – vor den Bundesgerichtshof. Oliver Fritsch vom Indirekten Freistoß und Triebfeder hinter den Hartplatzhelden hat heute getwittert, dass die Anwälte diesmal wohl eine etwas andere Stoßrichtung haben. Sie wollen offensichtlich weniger die Frage zuspitzen, wer denn eigentlich in einer freien Gesellschaft das Recht an den entstehenden und entstandenen Bildern hat. Diesem Argument, das auf der Basis des Urheberrechts eindeutig für die Ersteller der Videos spricht und das durch seine Formulierungen klar macht, dass Sport keine urheberrechtlich geschütze Leistung ist, hatten die beiden ersten Instanzen eine eiskalte Schulter gezeigt. Vielleicht wäre es deshalb wirklich wirksamer, die Gegenseite – den Württembergischen Fußballverband – dazu zu zwingen, endlich mal zu beweisen, dass sie überhaupt sind, was sie immer behaupten: ein Veranstalter von Fußballspielen. Genauso wie sie mal beweisen sollten, dass sie so etwas wie ein Gewerbebetrieb sind und nicht ein steuerfreier, vom Staat alimentierter Verein, der sich eine Geschäftstätigkeit anmaßt, zu der er gar nicht befugt ist.

Zur Interpretation des Veranstalter-Begriffs im Sport ist die folgende Passage aus dem Buch von Matthias Laier mit dem Titel Die Berichterstattung über Sportereignisse ganz nützlich. "Nach dem BGH erbringen die Vereine die wesentliche wirtschaftliche Leistung" und "die wesentliche organisatorische Leistung", liege "beim Heimverein". Falls der Verband für sich einen eigenen Leistungs- und Abgeltungsanspruch in die Waagschale werfen will, reicht es nicht, "bloße Koordinierungsaufgaben" wie die "Erstellung des Spielplans" erbracht zu haben. Wobei sich diese Abwägung ausschließlich auf den Profisport bezog. Das fiel beim OLG in Stuttgart nicht ins Gewicht. Der Senat schien von seiner persönlichen, "aus eigener aus Stadionbesuchen, Massenmedien und Presse gewonnener Kenntnis" (siehe Absatz 117) so sehr beeindruckt, dass er den Unterschied zwischen Amateurfußball und Profifußball und die gewerblichen Kriterien desselben sowie der Funktion eines Verbandes einfach unter den Tisch fegte. Der Unterschied sei "nicht prinzipieller sondern nur gradueller Natur", meinten die Richter. Offensichtlich hatten sie sich nicht die Mühe gemacht, die Satzung des Verbandes zu lesen und sie mit dem entspechenden Grundlagenpapier der Deutschen Fußball-Liga zu vergleichen. Die DFL ist eine GmbH. Der WFV ist ein der Gemeinnützigkeit verpflichteter steuerbefreiter Verein, der nicht mal in seiner Satzung den Anspruch formuliert, dass ihm irgendetwas an den Spielen gehört.

Mir sind bei den letzten Recherchen zum Thema ein paar andere kluge Gedanken aufgefallen, die sich in einem Rechtsgutachten mit dem Titel Leistungsschutzrecht für Sportveranstalter?“ von Professor Dr. Reto M. Hilty und Dr. Frauke Henning-Bodewig finden und die sich unter anderem mit den Auswirkungen der vor ein paar Jahren vorgenommene Reformierung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb auf die Rechtssprechung in diesem Bereich befassen. Ich empfehle Menschen mit Sinn für juristische Fragen dieses Papier. Es ist durch die Bank erhellend. Zwei Zitate sollten aufhorchen lassen:

Seite 41: "Die wirtschaftliche Auswertung der im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen erbrachten Leistungen fällt in den Schutzbereich des Rechts am Gewerbebetrieb. Vorausgesetzt wird jedoch weiter ein unmittelbarer und betriebsbezogener Eingriff. Die ungenehmigte Ausnutzung der wirtschaftlichen Leistungen der Sportveranstalter müsste sich also gegen dessen „Betrieb“ richten."
Den "Betrieb" des Amateurfußballs in Baden-Württemberg haben die Hartplatzhelden zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Im Gegenteil: Der Verband konnte sogar ohne Störung einen eigenen Vertrag mit einer Firma über die Verwertung von Videos im Internet auf die Beine stellen.

Seite 47: "Aus dem geänderten Verständnis des UWG 2004 folgt daher, dass ein Schutz der Leistungen des Sportveranstalters auf der Grundlage der Generalklausel nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht kommen wird. Investitionen als solche in eine Sportveranstaltung sind daher de lege lata nicht schutzfähig. Dies gilt auch, wenn sie zu konkreten Ergebnissen wie die Erstellung von Spielplänen etc. geführt haben."

Und so sei aus diesem Anlass noch mal dran erinnert (auch wenn die Materie kompliziert ist und die Beschäftigung damit ziemlich mühsam): Solidarität mit den Hartplatzhelden ist mehr als eine Attitüde. Es geht bei der Entscheidung in Karlsruhe um mehr als nur um Fußball. Es geht um den Bestand des Urheberrechts, der Gewerbefreiheit und der Meinungsfreiheit.