Vor ein paar Tagen hat sich ein Leser anonym beschwert, weil ihm eine Formulierung in einem Text über ESPN nicht gepasst hat: Geschrieben stand da, dass der Sender so wirke, als werde er mittlerweile "von einem klerikalen Übergremium mit irgendeinem moralischen Kompass in der Tunika" gelenkt. Ich hatte in diesem Zusammenhang an die politischen Verhältnisse im Iran gedacht (man kann sich auch andere Theokratien ausmalen), wo von oben nach unten regiert wird und alles seinen geordneten Gang geht, solange niemand muckt oder etwas verändern will.
Wie das im Prinzip funktioniert, wissen wir. Wie es ein Sender umsetzt, nicht so gut. Immerhin hat sich heute Mike Freeman bei CBS Sports zur Wort gemeldet und folgende Einschätzung abgeliefert:
"Nach Angaben mehrerer Leute bei ESPN sind bis zu hundert Leute – überwiegend Journalisten – vom ESPN verbannt worden oder werden zur Zeit verbannt. Die Zahl könnte höher sein."
Kein Medienunternehmen habe sich "so stalinistisch in der Behandlung abweichender Meinungen" gezeigt, schrieb Freeman, der ein Buch über die Geschichte des Senders geschrieben hat, in dem auch der interne Umgang mit dem Thema "sexuelle Nötigung" abgehandelt wird. Freeman geht in seinem Vorwurf allerdings weiter. Auch das NFL Network, das zwar der Liga gehört, aber in den höheren Etagen eine Reihe von Ex-ESPN-Leuten beschäftigt, scheibt sich an dem Boykott bestimmter Journalisten zu beteiligen.
Die absichtsvolle Abstinenz schließt ganz offensichtlich auch die beiden profiliertesten amerikanischen Sport-Blogs ein: Deadspin und The Big Lead.
Warum ist das alles von Belang? Der Sender mit seinen Tentakeln im Print-, Radio- und Online-Sektor ist eine Geldmaschine und inzwischen so groß und einflussreich, dass es kein Gegengewicht im US-Mediengeschäft mehr gibt. Zwar halten in manchen Bereichen die großen Networks wie CBS, NBC und Fox (ABC gehört wie ESPN zu Disney) noch eine gewisse Position, weil sie im Rechtgeschäft für eine Reihe von Sportarten noch hinreichend mithalten können. Aber die sich abzeichnende Konsolidierung dieses Mediensegments, vor dem die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des ganzen Landes nicht Halt machen werden, werden die Position des Kabelanbieters weiter stärken. Ehe nicht NBC Universal, das einen umfangreichen Kanal-Mix betreibt, ernsthaft in den Wettbewerb einsteigt, wird es kein ernsthaftes Gegengewicht geben. Der Sender ist allerdings zur Zeit noch immer auf die Olympischen Spiele fixiert, wo er sich eine Stellung als Monopolist aufgebaut hat. Für andere Ambitionen scheinen die Ressourcen zu knapp. Man macht NHL-Eishockey nur als schnelle Drive-in-Kost, hat nur ein bescheidenes Bein im NFL-Geschäft und konzentiert sich ansonsten hauptsächlich auf Tennis und Golf. Vermutung von dieser Stelle aus: Da die Fernsehrechte für die Olympischen Spiele nach 2012 in London noch nicht vergeben sind und der Austragungsort der Sommerspiele 2016 noch nicht feststeht, könnten sich ab Oktober neue Kräftefelder auftun. Prognose: Sollte Chicago bei der Kandidatur verlieren, wird es für NBC keinen Grund mehr geben, sich mit diesem enormen Drahtseilakt zu beschäftigen., bei dem man eine Milliarde Dollar ausgeben muss, um etwas mehr als eine Milliarde Dollar einzunehmen.
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