28. Oktober 2006

Das Beispiel Dixie Chicks: Mut und Integrität haben ihren Preis


Es gibt Zeiten, in denen sich zeigt, ob Menschen etwas zu sagen haben. Und ob die, die etwas zu sagen haben, mit den Schwierigkeiten umgehen können, die sich daraus ergeben. Aus den Schwierigkeiten entstehen manchmal gute Lieder und gute Filme. Und manchmal auch eine Kombination aus beidem. Womit wir bei dem Dokumentarfilm Shut Up and Sing sind, der heute in New York in die Kinos kam und der die Dixie Chicks zeigt, einst die erfolgreichste Frauen-Band der Welt, dann geschmäht und von Millionen von Fans im Rahmen einer wohl organisierten Kampagne boykottiert. Eigentlich sehen die drei Musikerinnen, deren Harmoniegesang so zart dahin schmilzt wie die manchmal ziemlich süßen Kompositionen (es gibt auch poprockige Up-Tempo-Songs mit Schmackes), nicht wie Widerstandskämpfer aus. Eher wie drei Models von Anfang 30, die bei jeder Kameraeinstellung einen verführerischen Eindruck machen. Aber was der Film der Oscar-Gewinnerin Barbara Kopple und ihrer Regiepartnerin Cecilia Peck zeigt, ist, dass es oft gar nicht so viel braucht, um mit dem Problem konfrontiert zu werden.

Für die Dixie Chicks begann es am Vorabend des Irak-Krieges bei einem Auftritt in London, als Sängerin Natalie Maines dem Publikum ihre politische Haltung signalisierte: "Wir schämen uns, dass der amerikanische Präsident aus Texas kommt." Wenn man jede CD sechs Millionen mal verkauft, kann solch eine Stellungnahme herbe Konsequenzen haben. Sie begannen mit Radiosendern, die unter Druck von Anrufern die Dixie Chicks aus dem Programm nahmen, gingen über öffentliche Aktionen, bei denen die Alben in den Müll geworfen und von einer Dampfwalze zermalmt wurden, und reichten bis zu einer ziemlich ernsten Morddrohung. Der Bush-Kult, den Millionen rechter, reaktionärer und rassistischer Amerikaner pflegen, ist keine Übung in Toleranz, sondern eine präfaschistische Gesinnungsdiktatur.

Drei Jahre später ist die Politik dieses Präsidenten entlarvt. Er hat dank dem Krieg und anderer Aktionen seine Popularität weitestgehend eingebüßt. Und so mehren sich kritische Stimmen, die dem Spuk ein Ende bereiten wollen. Aber ehe das tatsächlich auch passiert, sollte man sich die Zeit nehmen und den Film anschauen, der demonstriert, wie hartnäckig, mutig und integer diese drei ziemlich kleinen Texanerinnen sind und mit welcher kreativen Kraft sie ihre Musik komponieren und auf die Bühne bringen.

Der Titel - Shut Up and Sing - spielt auf die Erwartung des Publikums an, das in Amerika, einem vermeintlicherweise so freien Land, gerne Künstlern jede Nachdenklichkeit und politische Sensibilität abspricht. Es sei denn, die Künstler wickeln sich ins Sternenbanner und spielen den patriotischen Clown. So etwas ist natürlich hoch willkommen. Der Film selbst kommt bewusst zur Wahl Anfang November ins Kino. Er hätte sicher bereits schon vorher, zum Beispiel zur Veröffentlichung der letzten, insgesamt vierten Dixie-Chicks-CD (Taking the Long Way) erscheinen können, als die drei Frauen es bis aufs Cover des Nachrichtenmagazins Time und in das populäre Politfernsehmagazin 60 Minutes schafften. Aber dort wäre er womöglich in der Medienflut untergegangen.

Ich habe mir heute den Film angesehen und aus jedem Blickwinkel betrachtet - dramaturgisch, musikalisch, inhaltlich. Er ist ein kleines Meisterstück in seinem Genre. Die Soundqualität der Musik ist hervorragend. Die Erzählform mit ihren zwei Rücksprüngen sinnvoll. Die Bilder sind mitunter auf erstaunlich seherische und einfühlsame Weise aufgenommen worden. Das Resultat ist politisch gesehen eher harmlos. Aber künstlerisch, insbesondere für die Dixie Chicks, ein enormer Gewinn. Frauen Power vom Feinsten.

Ich habe keine Ahnung, ob und wann der Film in Deutschland laufen wird. Er hätte es verdient. Er hat jene Tiefe, die viele Zuschauer an Sönke Wortmanns Sommermärchen vermissen. Der stärkste Song des neuen Albums heißt I'm Not Ready to Make Nice und gibt es hier als Live-Version. Der Trailer (siehe oben) ist ein Hauch reißerischer als der Film selbst. Aber das ist normal für die Branche.

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