19. März 2009

Gold, Silber, Bronze und das alte Eisen

Mir dräut schon länger, dass die "Olympischen Spiele der Neuzeit", wie sie immer gerne genannt werden, mit ihrem Gold-, Silber- und Bronzekram demnächst zum alten Eisen gehören werden. Die Prognose von dieser Stelle lautet: Nach 2016 Chicago wird das Licht ausgemacht.

Klingt gewagt, wird aber immer wahrscheinlicher. Erstens weil dieser Sportarten-Mix hundert Jahre nach der Erfindung der Mischung nur noch sehr wenig mit der Interessenlage des Publikums zu tun hat. Man kann zwar so tun, als ließe sich an Turnen oder Leichtathletik oder Eiskunstlauf im Vier-Jahres-Turnus hinreichend Interesse erzeugen. Aber dabei handelt es sich um Selbstbetrug. Würden die Olympischen Spiele über Eintrittsgelder im Stadion oder in der Halle finanziert, wäre diese Traumvorstellung vielleicht noch eine Weile länger gestattet. Aber die Spiele werden von Sponsoren und Fernsehgeldern getragen (und refinanziert durch Werbeinnahmen, die aus den Kassen der gleichen Sponsoren kommen). Und diese Firmen wollen einen ROI, einen return on investment. Und was bekommen sie statt dessen? Einen Wasserkopf plus zahllose von Verbänden organisierte quasiindustrielle Trainingskomplexe, die alle immer teurer werden, aber weder den olympischen Gedanken noch das Interesse an sportlichen Wettkämpfen fördern.

Das liegt zum einen daran, dass in den Gewölbekellern dieser Strukturen die Termiten hausen: die Manipulateure, die mit Geld (Stichwort: Korruption) und mit Chemie (Stichwort Doping) den Ausgang der Ereignisse beeinflussen. Und es liegt zum anderen daran, dass die olympische Idee aus einem Vielnationen-Europa stammt, in dem es eine jingoistische Rivalität der großen Länder gab, die im Sport ein Ventil für ihre kriegslüsterne, menschenverachtende, politische Grundeinstellung sah.

In der Zeit des Kalten Kriegs wurde diese Rivalität ein letztes Mal zum Spannungsfaktor für Sport, als zuerst die Sowjetunion die Hegemonie der Altmächte in Frage stellte und dann die DDR mit einer effizienten Leistungsfabrik, wie es sie noch nie gegeben hatten, den alten Amateurbegriff endgültig aushebelte. Die hohe Zeit wurde übrigens von Leichtathletikländerkämpfen markiert, die zwei Tage lang dauerten und riesige Stadien füllten. Sport als Symbol und Identifikationsszenario für den Wettstreit der Systeme — ja, das hatte noch was. Das machte Lust auf mehr.

(Empfehlenswert: dieser Ausschnitt aus der amerikanischen Wochenschau von 1962 zum Wettkampf zwischen den USA und der UdSSR in Stanford, der an zwei Tagen zusammen 150.000 Zuschauer auf die Beine brachte. Ab 2:18 Min.)


Schauen wir nach vorne und malen wir uns aus, was uns wohl in der Zukunft Lust auf mehr machen wird, kommt man ganz bestimmt nicht auf Leichtathletik oder Schwimmen, die beiden Kernelemente der Sommerspiele. Man kommt eigentlich auf gar nichts. Was nicht weiter schlimm sein sollte. Das hat es schon immer gegeben, dass Strukturen und Organisationsweisen verschwinden, die eine Zeitlang überhaupt nicht wegzudenken waren. Der Adel, der vor hundert Jahren noch das Heft in der Hand hatte, ist heute nur noch so eine Art Deko. Der real existierende Sozialismus, der einst unverrückbar und machtvoll schien, ist zerkrümelt. Kolonien wurden in die Unabhängigkeit entlassen und könnten, wie etwa im Falle Indiens, noch eines Tages ziemlich groß raus kommen. Und dass die neue Generation der Oligarchen (egal aus welchem Land) am Ruder bleibt, darf man bezweifeln. Denn bei denen handelt es sich nicht um nützliche Mitglieder des Sozialverbands, sondern um Parasiten, die notfalls mit purer Brutalität ihre Machtstellung behaupten.

Warum dieses Traktat heute und an dieser Stelle? Weil im IOC der Verteilungskampf um ein knappes Gut begonnen hat – das liebe Geld – und weil die wichtigen Leute auf beiden Seiten schon mal die Schienbeinschoner angezogen haben. Dieser Kampf markiert den Anfang vom Ende.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Kompliment für die Analyse, wirklich mal ein Gedankengang, den man im Mainstream-journalismus bisher nicht gefunden hat.

Aber sagen Sie mal, Herr Kalwa, was glauben Sie, wieso es in diesem Blog so gut wie keine Leserkommentare gibt? Ist doch schade, oder?

Jürgen Kalwa hat gesagt…

Stichwort Kommentare: Schwer zu sagen. Ich würde mich auf jeden Fall freuen, wenn sich mehr Leser beteiligen und ihre Meinungen einbringen und die aufgriffenen Themen auch miteinander diskutieren.

Anonym hat gesagt…

Hängt meiner Meinung nach unter anderem damit zusammen, dass blogger.com einfach eine unkomfortable Oberfläche zum Kommentieren bietet.

Das ist beispielsweise bei wordpress ungleich einfacher.

Abgesehen davon natürlich ein sehr interessanter Gedankengang. Allerdings glaube ich nicht an den baldigen Untergang der Olympischen Spiele. Es wird sicherlich Anpassungen geben, aber für die nächsten 30 Jahre ist das Ding sicher.

Jürgen Kalwa hat gesagt…

@Hirngabel: Dann würde ich hier sehr gerne etwas über diese Anpassungen lesen wollen. Wir dürfen ja alle spekulieren.