Der Fall Jermaine Jones ist auch eine Lehrstunde in Sachen Medienverständnis. Da wird ein deutscher Fußballprofi in der Sprache seines Vaters interviewt und traut sich zu, dass er das schon hinbekommt. Er redet ja mit einem Vertreter der New York Times, der besten Zeitung der Welt. Dann wird er in einem Beitrag auf der Internetseite des Zeitung ausführlich porträtiert und in wörtlicher Rede zitiert. Wie reagiert man in Deutschland darauf? Man zieht sich eine Facette aus dem Ganzen heraus und spült sie hoch. Dergestalt aus dem Zusammenhang gerissen klingt die Aussage nach einer hässlichen Bewertung der deutschen Realität und macht dem betroffenen Fußballprofi klar, dass er sich damit in der Öffentlichkeit noch unbeliebter macht als er ohnehin ist. Das ist schlecht fürs Geschäft. Und so lässt er die Behauptung in die Welt setzen, wonach er das komplette Gegenteil von dem behauptet hat, was in der New York Times geschrieben wurde.
Mal aus dem Nähkästchen geplaudert: Ja, das kommt vor. Man versteht den Gesprächspartner in einem Interview schon mal falsch. Aber dass ein Reporter das glatte Gegenteil heraushört und schreibt, halte ich für eine Schutzbehauptung des Sportlers. Und zwar vor allem deshalb, weil Jermaine Jones überhaupt nicht bestreitet, etwas anderes gesagt zu haben: Dass Beckham als weißer Fußballer mit seinen Tätowierungen nie auf Probleme in der Öffentlichkeit gestoßen ist. Was soll der Hinweis auf Beckham, wenn nichts anderes als seine eigene These abzustützen? ("Maybe because I don’t have blue eyes and blond hair"). Hätte er das Gegenteil gesagt – sinngemäß: "das hat mit meiner Hautfarbe nichts zu tun, dass ich nicht in der Nationalmannschaft spiele" – wäre Beckham überhaupt nicht zur Sprache gekommen. Worin bestände denn sonst auch die Verknüpfung? Doch wohl nur als Beispiel für die Kontrasterfahrung. Jeder andere Bezug zu Beckham wäre so vermessen, dass der Reporter sicher verwundert nachgefragt hätte. Sinngemäß wohl so: "Sie vergleichen sich mit Beckham? Worin besteht die Parallele?"
Jermaine Jones' Berater haben übrigens noch einen anderen hübschen red herring in ihre eilige Reaktion hineingearbeitet. Angeblich habe der Reporter zugesichert, dass er das Geschriebene noch einmal per E-Mail vorlegt. Das sogenannte Autorisieren von Stellungnahmen und Zitaten von Prominenten ist eine deutsche Krankheit. Die hat sich unter dem Deckmantel eines Generalverdachts eingebürgert, wonach man den Journalisten nicht trauen kann, dass sie ihren Beruf ordentlich machen. Das kennt man in den USA nicht, und so wird auch von niemandem Autorisierung gefordert. Einer der Gründe dafür ist, dass amerikanische Journalisten in einem Umfeld von Schadensersatzklagen arbeiten, die die Verlage ruinieren können. Wer mit solchen Risiken konfrontiert ist, arbeitet konzentrierter, besser, weniger gedankenlos und wägt sehr viel genauer ab. Er fragt auch gerne noch mal nach, um Dinge abzuklären.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Jermaine Jones und seine Berater bei der Lektüre einer E-Mail von Times-Reporter Jack Bell den entscheidenden Passus herausgestrichen hätten. Aber vermutlich nur deshalb, weil sie die Explosivkraft einer solcher Stelle erkannt hätten, nicht weil Jones das Gegenteil gesagt hatte.
Autorisierter Journalismus mag ja für die Prominenten ganz schick sein. Aber nicht für die Leser, die gar nicht wissen, wie da im Hintergrund gearbeitet wird und denen wichtige Sachverhalte gar nicht erst mitgeteilt werden. Leute, die nicht zu dem stehen wollen, was sie denken und sagen, sind Heuchler und Manipulateure. Und von denen gibt es immer mehr. Leider.
Blick zurück: Reaktionenen auf die Jones-Ankündigung – mit einem Fehler, der inzwischen auf der Webseite der New York Times getilgt wurde. Bell hatte Jones in seiner Urversion an einer Stelle als James bezeichnet.
1 Kommentar:
Es gibt noch eine Steigerungsmöglichkeit zum "Authorisieren": Der Interviewte schickt dem Journalisten die Fragen (angeblich Klinsmann/RTL).
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