Was passiert, wenn Journalisten Stars werden und sehr viel Geld verdienen? Dann entwickeln sie einen Sinn für die Medienarbeit, die nicht mehr viel mit Journalismus zu tun hat, aber ganz viel mit Eitelkeit und Narzismus. Es dürfte schwer sein, sich dem zu entziehen. Amerikanische Wertkategorien wie Erfolg (messbar in Geld) und Aussehen (messbar in Popularität) gekoppelt mit dem enormen Tempo des Wirtschaftssystems und dem riesigen potenziellen Markt von mehr als 300 Millionen Verbrauchern beeinflussen schlichtweg jeden. Sagen wir mal: fast jeden. Ausnahmen wie den Einsiedler J. D. Salinger da oben in New Hampshire, der seit Jahren allen Versuchen widerstanden hat, sich auch nur in der Öffentlichkeit zu zeigen, gibt es natürlich auch. Aber die sind sehr selten.
Im Sportjournalismus ist die Lust auf Selbststilisierung eher neu, wurde aber keineswegs von ESPN erfunden. Die Disney-Tochter spielt das Instrumentarium einfach nur aus. Die Imageaufwertung von profilierten Sportschreibern geht auf eine langjährige hochwertige Arbeit bei Sports Illustrated zurück, wo man einen Reportagestil entwickelt und gepflegt hat, der dem profanen Milieu Sport den Stempel von Nachdenklichkeit und Analysetiefe aufdrückte. So konnte eine Buchserie wie "The Best American Sportwriting" entstehen. Die Hinwendung von Qualitätszeitungen wie New York Times und Washington Post zu einer anspruchsvolleren Beschäftigung mit Sportthemen hatte einen zusätzlichen Effekt. Dort konnten Kolumnisten ihr Profil schärfen. Nicht jeder von diesen exponierten Figuren hat den Hang dazu, aus jedem Fenster hinaus auf die Straße hinabzubrüllen. Aber sehr viele können es nicht lassen. Was oft – zumindest kurzfristig – durchaus der eigenen Karriere nützen kann.
So sind solche Biographien wie Stephen A. Smith entstanden, der am meisten verlachte Sportschreiber des Landes. Der hatte zwischendurch sogar seine eigene Fernsehtalkshow bei ESPN und durfte während des Obama-Wahlkampfs bei anderen Sendern seine Ansichten zu politischen Themen äußern. Der Mann hat nichts Interessantes zu sagen. Er besteht aus nichts anderem als attitude. Seine Fahrkarte hatte er beim Philadelphia Inquirer gelöst, als er es verstand, sich in den Allen-Iverson-Jahren bei den 76ers als Basketball-Journalist in den Vordergrund zu spielen. Sein Abstieg begann, als er seinen Job bei der Zeitung verlor, wo man keine Lust mehr hatte auf im Blackberry hastig getippte und eingesandte Texte.
Wir könnten auch über Mike Lupica reden, den kleinen Vielschreiber, der den Chef des Sportreporter-Corps mimt, wenn sonntags bei ESPN diese Quasselrunde zusammensitzt. Der Mann scheint noch im Sattel zu sitzen, weil er sich zumindest jeden Tag hinreichend anstrengt und nicht mit anderen Medien-Outlets flirtet.
Etwas ähnliches ist Tony Kornheiser nicht gelungen. Nach dem Aufstieg hin zu Pardon The Interruption und zu Monday Night Football (wo angeblich er in den Sack gehauen hat, vielleicht war es ja auch ganz anders, who knows?) kam die Schattenseite ins Spiel. Die Washington Post hatte keine Lust mehr auf einen Mitarbeiter, dessen Texte sie den Lesern nicht mehr allzu oft präsentieren konnte. Das akzeptiert man bei dieser Zeitung nur bei einem: dem angesehenen Ex-Watergate-Reporter Bob Woodward, der nur noch Bücher schreibt, das dort akkumulierte Wissen zwischendurch für sich behält, aber bei Erscheinen der Werke dem Blatt jeweils einen Vorabdruck gewährt. Kornheisers aktuelles Lamento fällt vergleichsweise milde aus. Wenn auch die Verteidigungsrede einen Grad an Selbstüberschätzung verrät, der uns zum eingangs aufgeworfenen Phänomen zurückbringt. Zitat: "...wenn Michael Wilbon und Tony Kornheiser keine Marke für die Washington Post sind, was wäre es dann?"
Ich nehme an, dass Wilbon, der noch viel für die Zeitung schreibt, aber längst bei seinen vielen Auftritten vor den Fernsehkameras die Aura eines Pfaus ausstrahlt, schon bald seinen Kolumnistenposten verliert. Zeitungen, die Auflagen einbüßen und (noch stärker) Anzeigenumsätze, haben eine Strukturkrise zu bewältigen, die eitle Luxusgeschöpfe, die sich nicht mehr als Dienstleister, sondern als Stars betrachten, nicht länger finanzieren kann. Hinter dieser Entwicklung verbirgt sich das Ende einer Ära. Das Prestige, das man sich durch die Arbeit für Zeitungen und Zeitschriften erarbeiten kann, geht ebenfalls flöten. Das neue Erfolgsprodukt (und springen wir jetzt mal zur Verdeutlichung nach Deutschland) ist so etwas wie Rheinische Post Online, die sich nicht daran stören, dass ihnen das journalistische Format fehlt, um ein gutes Produkt abzuliefern, und dass sie zum Lachsack einer medienkritischen Kundschaft werden. Sie laufen Klickzahlen hinterher. Typisch: eine der Hauptverantwortlichen und ihre Berichte aus ihrer Freizeit in einem prätentiösen vollgefaselten Blog. Autorenleistung? Fehlanzeige. Wie sagt man hierzulande? When you live by the sword you die by the sword.
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