18. August 2009

Käufmännisches Rechnen

Weshalb sich in deutschen Medien ziemlich stabil die Idee hält, dass ein ehemaliger Leichtathletik-Bundestrainer im Falle eines Prozesses, der ihm theoretisch 15 Jahre Gefängnis einhandeln kann, nur mit einem abgekürzten Nachnamen genannt werden darf, ist und bleibt ein Rätsel. Übereinstimmenden Berichten zufolge hat der Mann inzwischen sogar ein Geständnis abgelegt – und zwar über den hundertfachen sexuellen Missbrauch junger Menschen. Wir reden also nicht mehr von bloßen Anschuldigungen und Vorwürfen, die ein Angeklagter in einem Strafprozess bekanntlich theoretisch entkräften kann. Wir reden von einem Serientäter, der zugegeben hat, systematisch (und bis zu seiner Festnahme) ohne weitere Konsequenzen Kindern das Leben zur Hölle gemacht hat. Nicht irgendein Mensch in der Provinz war das. Sondern ein Mann auf der Lohnliste des Deutschen Leichtathletikverbandes. Ein Mann, der im Rahmen seiner Arbeit und seiner Rolle als Coach einen Weg fand, seine Opfer zum Schweigen zu bringen. Und dann noch das: "In 15 Fällen fügte der Mann seinen Opfern auch körperliche Verletzungen zu", liest man bei SpOn.

Der Mann hat natürlich einen Namen. Er heißt nicht Ewald K., sondern Ewald Kaufmann. Er hat natürlich auch eine Biographie. Und er hat Spuren in der deutschen Presselandschaft hinterlassen, die man heutzutage immerhin im Internet finden und nachverfolgen kann. Ewald K. wurde er da nie genannt.

Hier zwei Links, die auf Berichte in der Süddeutschen Zeitung zurückgehen:
http://www.lg-telis-finanz.de/2003_berichte/2003-06-26_kaufmann.htm
http://www.lg-telis-finanz.de/2003_berichte/2003-06-11_talentschule.htm
Hier ein Foto, das nach Angaben der Leichathletik Coaching Academy jenen Mann zeigt, der sich vor Gericht eine Kladde vor den Kopf halten durfte, um sein Gesicht nicht in den Zeitungen wiederzufinden.

Die Frage, die einem angesichts solch einer frivolen Angst vor Bloßstellung einfällt, ist: Welches Interesse hat eine Gesellschaft daran, einen solchen Menschen nicht bloßzustellen? Wie weit reicht die Zurückhaltung, wenn doch deutsche Richter durchaus einen Unterschied machen:
"Dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit über schwere Straftaten kommt [...] im Rahmen der aktuellen Presseberichterstattung, also im unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Tat und einem Strafverfahren, der Vorrang gegenüber dem Persönlichkeitsrecht des Täters unter dem Gesichtspunkt des Anonymitätsinteresses, zu."

Wem dient aber die Anonymisierung? Und was bezweckt sie?

2 Kommentare:

indykiste hat gesagt…

könnte es evtl. damit zu tun haben(bin absoluter Laie!):
Hinweis der Redaktion: Die Entscheidung ist am Tag der hiesigen Veröffentlichung noch nicht rechtskräftig. Vgl. zu dieser Entscheidung auch: Landgericht Frankfurt a.M., Urteil vom 5.10.2006 - Az. 2/3 O 358/06 = MIR Dok. 179-2006
Qu.:http://medien-internet-und-recht.de/volltext.php?mir_dok_id=396

Jürgen Kalwa hat gesagt…

Ich habe oben aus demselben Urteil zitiert. Rechtskraft des Urteils ist übrigens kein Kriterium bei der Beurteilung der Frage: Wo beginnt das "Informationsinteresse der Öffentlichkeit über schwere Straftaten"? Das setzt ein, wenn die Straftaten begangen wurden.

Natürlich hat jede Berichterstattung vor und während eines Prozesses zu berücksichtigen, dass noch kein Urteil gefällt wurde. Deshalb schiebt man bis zum Richterspruch solche sehr wichtigen Adjektive ein wie "mutmaßlich" und sagt, dass jemand im Verdacht steht oder angeklagt ist.

Das Nennen des vollen Namens tangiert einen anderen Rechtsbereich: den des sogenannten Persönlichkeitsrechts, zu dem es kein eigenes Gesetz gibt, das aber durch viele richterliche (auch höchstrichterliche) Entscheidungen den Verhaltensrahmen der deutschen Medien mitbestimmt. In Deutschland ist man da sehr viel strikter als etwa in den USA. Das macht dieses Frankfurter Urteil deutlich. Da wurde entschieden, dass ein verurteilter Straftäter, der einen bekannten Schauspieler umgebracht hatte, zehn Jahre nach dem Urteil selbst im Zusammenhang mit einer Berichterstattung über seine Haftentlassung nicht mehr mit vollem Namen erwähnt werden darf.

Die Begründung ist schlüssig, wenn auch aus anderen Gründen sicher anfechtbar. Jeder Verwaltungsbereich – also zum Beispiel die Gefängnisverwaltung eines Bundeslandes – ist keine Privatsache. Es ist eine öffentliche Angelegenheit. Also hat die Öffentlichkeit auch Informationsansprüche, die sich aus der Arbeit dieser Verwaltung ableiten. Wer dazu beiträgt, diese Arbeit zu verschleiern, dient nicht der Öffentlichkeit und damit dem Souverän des Staates, sondern dem Selbstzweck der Institutionen.