9. August 2009

Wie man mit dem Abmahnen von Journalisten das Ende der Pressefreiheit einläutet

Als eine der wenigen Zeitungen auf der Welt beschäftigt die New York Times einen Menschen, der sich als Advokat der Leser versteht und der jeden Sonntag eine Drittelseite belegt, um sich mit drängenden Beschwerden und kritischen Fragen zu beschäftigen. Seine Berufsbezeichung: Public Editor. Kein Medienprodukt ist unfehlbar, nicht mal das beste der Welt. Weshalb die Times neben den Leserbriefen eine weitere Rubrik pflegt, die man woanders meistens vergeblich findet: eine tägliche Spalte mit Korrekturen genannt Corrections.

Die Arbeit der beiden Instutionen greift bisweilen recht nuanciert und lehrreich ineinander. So wie neulich, als die Flut der Empörung angesichts zahlreicher Fehler in einem Artikel der Times-Fernsehkritikerin über die soeben verstorbenen Fernsehikone Walter Cronkite anschwappte. Die besagte Fernsehkritikerin, die fast in jedem Artikel einen Bolzen schießt und mittlerweile einen eigenen Korrektor zur Seite gestellt bekam, mag eine liebenswürdige Dame mit allerlei lesenswerten Ansichten sein. Sie verfügt allerdings über ein Defizit, das im so genannten "Qualitätsjournalismus" normalerweise zum Arbeitsplatzverlust führt: Sie weiß nicht, was sie nicht weiß.

Der Public Editor, der mit bürgerlichem Namen Clark Hoyt heißt, ist kein scharfer Hund. Er formuliert milde und abgewogen. Weshalb sein Resümé der Cronkite-Affäre besonders vernichtend klang: Sieben sachliche Fehler in einem Artikel, die allesamt korrigiert werden mussten, brachten ihn dazu, der Redaktion folgende Worte ins Stammbuch zu schreiben: "Eine Fernsehkritikerin mit einer Geschichte von Fehlern hat hastig geschrieben und versäumt, ihre Arbeit zu überprüfen. Und Redakteure, die aufmerksam sein sollten, waren es nicht." Ein Kinnhaken allererster Güte.

Clark Hoyt ist allerdings kein Mann, der nur in eine Richtung austeilt. Heute verteidigte er den jungen Reporter Michael S. Schmidt, der seit einer Weile für das Blatt die Dopingthemen beackert und der nach einer ersten Enthüllung über die bis heute offiziell anonym gehaltenen positiven Testresultate der Baseballprofis aus dem Jahr 2003 uns mit dem Namen Sammy Sosa versorgen konnte. Vor zwei Wochen legte er nach und benannte Manny Ramirez und David Ortiz. Die Enthüllung nervt den scheidenden Chef der Spielergewerkschaft, in dessen Büro die Dopingresultate unter Verschluss lagen, ehe die gegen Barry Bonds ermittelnde Staatsanwaltschaft die Akten beschlagnahmte. Also schoss Donald Fehr wenige Tage später gegen den Journalisten und die Zeitung. Informationen zu veröffentlichen, die vom zuständigen Richter zur Verschlusssache erklärt worden waren, sei kriminell.

Hoyt hat sich mit der Frage beschäftigt und unter anderem Rechtsgelehrte aus dem verfassungsrechtlichen Spezialgebiet Meinungsfreiheit konsultiert, ein Themenkomplex, der in den USA unter Bezug auf den ersten Artikel in der Verfassung meistens als "first amendment" etikettiert wird und über die Jahrhunderte einen sehr viel rigoroseren höchstrichterlichen Katalog an relevanten Präzedenzfällen produziert hat als die sechs Jahrzehnte Bundesrepublik mit ihrem Grundgesetz-Artikel 5. Die Ansicht der zitierten Juristen ist unstrittig: Die Medien haben das Recht zu recherchieren. Und sie haben das Recht zu publizieren. Eine Frage, die Schmidt mit dem Hausjuristen vor Veröffentlichung vermutlich hinreichend abgeklärt hatte.

Es ist gut, wenn hinter Journalisten Institutionen stehen, die es ihnen nicht nur finanziell ermöglichen, ihre Arbeit zu leisten, sondern die auch in heiklen Rechtsfragen nicht gleich die weiße Fahne schwenken. Was mich zu einem jüngeren Fall in Deutschland bringt, der einmal mehr zeigt, dass ohne eine solche Rückendeckung und ohne eine substanzielle Unterstützung von Reportern und Autoren das Berichterstattungsrecht und der Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen ausgehöhlt wird. Und zwar mit der Keule des Rechtsmittels.

Der Fall betrifft Jens Weinreich, freier Journalist und als kenntnisreicher und kritischer Archivar der Doping- und Korruptionsaktivitäten im Sport bekannt. Weinreichs juristische Auseinandersetzung mit DFB-Präsident Theo Zwanziger, die mit einer Meinungsäußerung in einem Blog begann, wirde hier im Blog hinreichend belegt. Sie wurde sogar von den etablierten Zeitungen aufgegriffen und illustrierte dabei, wie ein mächtiger Verband seine Muskeln spielen lässt, wenn ihm die Worte eines Journalisten nicht gefallen. Dabei schlug Zwanzigers Anwalt formaljuristisch die Taktik der einstweiligen Verfügung ein (womit er allerdings nicht durchkam). Der eigentliche Effekt der Attacke bestand jedoch darin, den Gegner wirtschaftlich zu treffen. Denn der brauchte nun ebenfalls einen Anwalt und viel Zeit, um sich um die Angelegenheit zu kümmern. Der Streit ist inzwischen beigelegt und kann als Beispiel für das Entstehen eines handfesten Solidargefühls unter deutschen Blog-Lesern gelten. Denn Weinreich erhielt hinreichend Spenden, um zumindest die Anwaltskosten decken zu können.

Der neue Angriff auf seine Arbeit geht über eine artverwandte, aber genau betrachtet etwas andere Schiene. Diesmal wurden ihm aus derselben Kanzlei, die schon Zwanziger vertreten hatte, zwei Unterlassungserklärungen zugestellt, verbunden mit den branchenüblichen finanziellen Forderungen, die sich zusammen auf rund 1500 Euro belaufen. Ein Ausläufer der PR-Kampagne der Eisschnellläuferin Pechstein.

Rechtsformal geht es diesmal um Tatsachenbehauptungen und nicht um eine Meinungsäußerung, aber das macht in der Substanz keinen Unterschied. Wieder schicken die Anwälte keine Briefe, wie sie vielleicht im normalen Miteinander einer Gesellschaft üblich wären, Briefe, in denen einfach eine Richtigstellung einer womöglich falschen Tatsachendarstellung verlangt wird oder man sich im Namen eines Mandanten auf das Presserecht beruft, in dem ein Recht auf Gegendarstellung verankert ist. Nein. Wieder geht es in der Attacke offensichtlich auch darum, den Journalisten wirtschaftlich zu treffen. Der soll der Kanzlei die Arbeit bezahlen.

Das deutsche Abmahnrecht, das in seinen historischen Wurzeln aus dem Wettbewerbsrecht stammt, aber inzwischen immer häufiger auf den Arbeitsalltag der Medien angewandt wird, ist der Quell dieses Übels. Denn es gefährdet viel mehr als nur die Arbeit von Sportjournalisten, die sich mit Dopern beschäftigen. Es gefährdet die Arbeit von Journalisten und Verlagen, die eine öffentliche Aufgabe haben und im Rahmen dieser Arbeit durchaus Fehler machen. Warum? Vieles an der Arbeit ist hektisch und steht unter dem Druck, aktuell und schnell die Informationen zu liefern. Wenn sich die Verlage dann nicht vor oder hinter die Reporter stellen, die ihnen diese Arbeit zuliefern, und wenn sie glauben, deren wirtschaftliches Risiko sei mit dem bisschen Zeilenhonorar bereits gedeckt, werden wir auf Dauer eben nicht solche nützlichen Einrichtungen wie die Korrekturen-Spalte erleben und nicht solche Männer wie Clark Hoyt, sondern nur noch fleißige Anwälte, die ihr Kanzleisekretariat mit Abmahnungen auf Touren halten, und Journalisten, die angesichts der Bedrohung verstummen.

3 Kommentare:

Paul Niemeyer hat gesagt…

Meines Wissens bezieht sich der Begriff Pressefreiheit nicht nur auf den hier beschriebenen investigativen Journalismus. Und da das lateinische "investigare" = "aufspüren" bedeutet, kann eine Abmahnung einen Journalisten an seiner investigativen Tätigkeit grundsätzlich nicht hindern, da sich die Abmahnung nicht auf die Ermittlungstätigkeit, sondern deren Resultat - das Presse- bzw. Verlagsprodukt bezieht. Und ob nun ausgerechnet eine Claudia Pechstein, deren Schuld noch nicht einmal einwandfrei bewiesen ist, eine Gefährdungswelle der Pressefreiheit - ?ferner: Angstwelle unter Journalisten? - im deutschsprachigen Raum lostritt, nun ja, spekulativ. Ich möchte dem Journalismus aber nichts von seiner investigativen Potenz absprechen. Vorzüglich, dass es die gibt. Und dass ausgerechnet Journalisten so viel Gescheites darüber zu berichten wissen.

Anonym hat gesagt…

Zum Thema Recherche: Mit "First amendment" ist nicht der erste Artikel der Verfassung gemeint sondern der erste Zussatz zur Verfassung. Da dieVerfassung der USA per Verfassung nicht geändert werden kann, wurde und wird sie mit Zusätzen ergänzt. Hast wohl hastig geschrieben und versäumt, die Arbeit zu überprüfen... ;-)

Jürgen Kalwa hat gesagt…

Danke für den Hinweis. Ich wusste das eigentlich sogar, aber habe schon länger das Büchlein nicht mehr in der Hand gehabt. Der Zusatz ist Teil der sogenannten Bill of Rights, die 1791 im Paket zusammen mit elf anderen Artikeln in die Verfassung aufgenomen wurde. In der Bill of Rights steht das fragliche Amendment als Nummer eines ganz oben.