Seit Tagen braut sich aus dem verletzten Stolz einer Nation und dem Unverständnis vieler Leute, die sich nur hin und wieder mit Sport beschäftigen, eine seltsame Aufwallung der Gefühle zusammen. Als sei eine junge 800-Meter-Läuferin mit einer tiefen Stimme, Barthaaren im Gesicht und einem maskulinen Körper tatsächlich eine Symbolfigur für eine verfehlte Auslegung der Regeln im Sport. Einmal mehr werden ausgerechnet die Kontrollmaßnahmen als übermächtige Eingriffe in die Privatsphäre diffamiert. Ohne dass auch nur jemand fragt: Was ist mit der Chancengleichheit? Warum nimmt niemand Partei für die anderen Teilnehmer des Endlaufs, die um den Lohn ihrer Arbeit gebracht wurden?
Man kann ja noch den Vater verstehen, der ihre Windeln gewechselt hat und der einem Bericht auf bild.de zufolge eine Geburtsurkunde vorweisen kann, auf der ihr Geschlecht mit "weiblich" angegeben wurde. Aber das Echo auf den Vorgang beim Deutschen Ärzteblatt ist schon bizarr. Die Untersuchung einer Sportlerin auf ihr Geschlecht leiste "einer Diskriminierung von Sportlern Vorschub", schrieb ein nicht genannter Autor, nachdem er sich ein paar Zeilen zuvor auf die Vorstellung eingetaktet hatte, die biologisch fundierte Einkreisung der Frage, ob jemand männlich oder weiblich sei, wäre "für den Sport unerheblich".
Mit der gleichen Begründung könnte man natürlich auch sagen: Dopingkontrollen diskriminieren. Auch sie haben etwas Entwürdigendes, wenn die Sportler vor den Augen des Kontrolleurs ihren Urin lassen müssen. Man könnte dann gleich noch weiter gehen und sagen: Auch Qualifikationsnormen diskriminieren. Gewichtsklassen und das Wiegen vorm Kampf diskriminieren. Auch die unterschiedlich guten Trainingsbedingungen diskriminieren. Warum baut die IAAF nicht in allen Ländern hervorragende Stadien und Anlagen, um den Wettbewerb zu entzerren? Auf diese Weise kommt man ziemlich schnell auf die schiefe Ebene hin zum Absurden.
Es gibt angesichts des aktuellen Fallbeispiels aber auch Beschwerden entlang einer feministischen Gedankenkette. So las ich bei Jens Weinreich den Kommentar der Kollegin Barbara Klimke von der Berliner Zeitung, deren Anmerkungen in dem Satz endeten: "Männer aber mussten sich nie in Frage stellen lassen." Das war ein Anwurf aus dem Gedankenkreis der alten Fairness-Debatte, die entstand, als Frauen sich gegen erhebliche Widerstände ihren Platz im gesellschaftlichen Alltag erkämpfen mussten.
Das Argument hätte sicher mehr Gewicht, wenn Frauen im Sport so wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen auch an den Wettbewerben der Männer teilnehmen würden. Aber solange sie – anders als bei den Ärzten und Anwälten, Lehrern und Journalisten – eine eigene Leistungskategorie für sich in Anspruch nehmen wollen, klingt das nicht gut. Sie wollen schlechteren Sport abliefern dürfen und wollen dafür mit eigenen Medaillen und Geldprämien gefeiert werden, aber Kriterien für diesen Sonderstatus nicht akzeptieren. Nach dieser Lesart wäre es also in Ordnung, wenn in Zukunft Männer an den Frauenwettbewerben teilnehmen und eine Aufklärung über ihr Geschlecht mit dem Hinweis verweigern, das verletze ihre Würde. Auch das wäre absurd.
Das Thema wäre nur halb so interessant, wenn sich nicht eine Denkart im Sport verselbständigt hätte, die aus der Zeit vor der Professionalisierung stammt. Damals konnte man noch auf den Gleichheitsgrundsatz pochen. Aber heute – im Zeitalter einer kompletten Kommerzialisierung – sollte man mit solchen Forderungen etwas vorsichtiger hantieren. Es ist eine simple Tatsache, dass Frauensport (abgesehen von den Einzelsportarten Tennis und Golf) alleine wirtschaftlich gar nicht überleben könnten. Sie werden von den Männern subventioniert, wie man bei der WBNA im Basketball unschwer nachvollziehen kann. Die erste Frauenfußball-Liga in den USA ging vor ein paar Jahren pleite, nachdem sie 50 Millionen Dollar Anfangskapital durch den Schornstein gejagt hatte. Dabei wurden die Spielerinnen keineswegs exorbitant bezahlt. Das Problem waren die fehlenden Zuschauer und die fehlenden Fernseheinnahmen und die fehlenden Sponsoren. Warum fehlten die? Weil sie sich nicht im gleichen Maße für Sport auf einem schlechteren Leistungsniveau interessieren wie für die Top-Kategorie.
Der Fall Semenya taugt deshalb eigentlich nur zu einem – zu einer redlichen Selbstbefragung: Ist man für den subentionierten Frauensport mit Leistungen zweiter Klasse, um auf diese Weise möglichst vielen Frauen eine Chance zu geben, sich zu exponieren? Oder ist man für den ehrlichen Sport, bei dem Frauen gegen die Männer antreten und dann auch nicht mehr befürchten müssen, dass man sich für ihren Chromosomensatz interessiert?
Wer für die erste Variante ist, sollte nicht über den Umgang mit Frau Semanya jammern, sondern lieber lesen, was die BBC heute berichtet: Es gab schon vor der WM Hinweise auf extreme Testosteron-Werte bei der Guten, die womöglich einen anderen Schluss nahelegen: einen stinknormalen Fall von Doping. Nicht zu unterschlagen: Der verantwortliche Trainer für die süddafrikanischen Frauenleichtathletik ist ein gewisser Dr. Ekkart Arbeit, der in der DDR für jene Form der Leistungsförderung verantwortlich war, deren Opfer noch heute unter den Folgen leiden.
Wer die zweite Variante will, muss sich übrigens nicht grämen. Es gibt eine Reihe von Sportarten, in denen Frauen den Männern Paroli bieten können.
2 Kommentare:
Zu 100% aus der Seele gesprochen ... wirklich toller Beitrag. Danke für dieses "Machtwort" :)
Kommentator TobiasL hat auf Jens Weinreichs Blog (http://jensweinreich.de/?p=5017#comment-13657) einen Hinweis auf eine gegen den Strich gebürstete Zusammenfassung aus südafrikanischer Sicht verlinkt. Der Beitrag ist lesenswert: http://www.mahala.co.za/sport/caster-gat/
Kommentar veröffentlichen