Wenn man weiß, wie verächtlich Sportler aus Europa in den traditionellen Mannschaftssportarten Nordamerikas eingestuft wurden (und teilweise immer noch werden), dann entwickelt man unwillkürlich eine ungeheure Sympathie für die Vorgehensweise von Andrej Kirilenko. Der russische Nationalspieler, der bei der Europameisterschaft all das gezeigt hat, was er kann, der aber bei den Utah Jazz in der NBA so gut wie keinen Entfaltungsspielraum erhält, hat offensichtlich nicht nur einen Trade verlangt. Er ist sogar bereit, auf das viele Geld zu verzichten, dass ihm aufgrund seines Vertrages bis 2010 noch zusteht, wenn ihn der Club NICHT ziehen lässt. Damit hat das Tauziehen um den MVP von Spanien innerhalb kürzester Zeit einen Unterhaltungswert erreicht, der den Clubmanagern in Salt Lake City nicht recht sein kann. Denn falls Kirilenko ernst macht und nicht am 1. Oktober zum Trainingslager anreist, sondern konsequent weiterpokert, steht das Team ziemlich dumm da. Bei einem Tausch mit einem anderen Club hingegen könnte Utah - zumindest auf dem Papier - einiges an Gegenwert - bekommen. Die 13,7 Millionen Dollar Salär im kommenden Jahr (und der Rest) müssen schließlich bei einem Trade nach den NBA-Regeln gleichwertig aufgewogen werden. Das Kluge an Kirilenkos Schachzug ist, dass er nicht unmittelbar nach einer statistisch gesehen ziemlich schwachen, aber sportlich für das Team eher starken Saison den Mund aufmachte, sondern nach einem glanzvollen Auftritt in Europa, der bewies, dass Coach Jerry Sloan ein sturköpfiger Schematiker ist, der nicht mal Potenzial erkennt, wenn es auf langen dünnen Beinen und mit verhungert wirkendem Gesicht vor ihm steht.
Ach, ja, sagen dann in solchen Momenten die Verteidiger des sturköpfigen Schematikers: Hat man Kirilenko nicht auch deshalb in Utah einen so guten Vertrag gegeben, weil man ihn damals für potentiell ziemlich wertvoll eingestuft hat? Aber dabei handelt es sich um eines dieser Scheinargumente aus der Logik-Abteilung des Sports, bei dem man die Schuld für das Leistungsprofil eines Athleten immer zuerst beim Athleten vermutet. Alles nach dem Motto: Wenn ein Spieler nicht wie der Roboter funktioniert, den sich die Teamverantwortlichen ausgemalt haben, dann muss das an dem Spieler liegen. Am Trainer ganz bestimmt nicht. Der ist der Erwachsene in diesem Ringelreihen. Der Spieler ist das unangepasste Kind.
In einem anderen Club würde solch ein Psychodrama auch schon mal dem Trainer zur Last gelegt (und dann wird der an die Luft gesetzt). Aber Jerry Sloan wird man bei den Jazz vermutlich erst dann beerdigen, wenn er wirklich tot ist. Der Mann hat eine Lebensstellung und unumstrittene Autorität. Zumal Salt Lake City kein Medienstandort ist, an dem die Öffentlichkeit via Zeitungen, Radio oder Fernsehen an ihren Denkmälern rüttelt. Die Hauptstadt der Mormonenbewegung wird von mehr Gutmenschen pro Quatdratmeter bevölkert als jede andere Metropole in den USA. Die lieben Ordnung, Hierarchie und...Menschen mit weißer Hautfarbe.
Was sie nicht lieben, sind widerspenstige, unangepasste Figuren, die das patriarchalische Gefüge in Frage stellen. Wenn Kirilenko konsequent bleibt, hat er damit die weiche Stelle getroffen und in ein paar Wochen einen neuen Arbeitsplatz. Wenn er den eingeschlagenen Kurs nicht durchzieht, hat er keine Sympathie verdient.
2 Kommentare:
Ich will nicht zu weit ausholen, aber es gibt innerhalb der NBA ganz eigene Kommunikationsregeln und eine davon heißt: rede nie schlecht über deinen aktuellen Head Coach. Und wenn Kirilenko nun von Ausland und Vertragsauflösung spricht möchte er eigentlich sagen: mit Sloan geht das nicht mehr, holt mich hier raus. Das bedeutet wiederum für die 29 andere Vereine, dass jeder von ihnen um Kirilenko mitbieten darf, es geht Kiri um Spielzeit, weniger um den Gewinn der Championship.
Ich denke mal, dass Kirilenko nach so vielen Jahren ganz gut weiß, auf welche Knöpfe er drücken kann und welche nicht so gut kommen. Mal abgesehen von den Verhältnissen in den anderen NBA-Städten, die sich sicher in so manchem ähneln: Salt Lake City ist und bleibt ein kurioses Milieu. Nur ein Major-League-Club (die Jazz), keine Heimspiele an Sonntagen (außer in den Playoffs und auch da macht die NBA so viele Konzessionen wie möglich), Ehrpusseligkeit bis zum geht nicht mehr. Die Leute dort sind noch empfindlicher, wenn es um Kritik geht als woanders in den USA. Kirilenko hat geradezu ein Sakrileg begangen, als er erklärte, er habe die Schnauze voll. Der Bursche sei undankbar, hieß es. Aber bislang macht er das alles ganz gut. Ich haben keine aktuellen Hinweise: Aber die Chicago Bulls wären ein idealer Trade-Partner. Sie könnten den Schweizer Sefolosha abgeben, der von der Anlage her das spielt, was Sloan braucht. Man packt noch Nocioni ins Paket, um die Gehaltsbeträge ins Gleichgewicht zu bringen (natürlich muss man ihn erst einmal als Free Agent verpflichten). Der Argentinier würde wohl 8 Millionen Dollar bekommen. Plus ein Draft-Pick und die Sache steht.
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