Ah, schöne neue Welt des verwalteten, exklusiven Senderechts. Während sich der Rest der Erdbevölkerung entweder interessiert oder grimmig oder auch nur ganz ambivalent die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking anschaut, warten wir in den USA auf den heutigen Abend. NBC hat zwar Reporter vor Ort, darunter die Pappnasen, die jeden Morgen (unserer Zeit) stundenlang die Today Show moderieren. Die reden live und vor ausgewähltem Pekinger Hintergrund über alles mögliche, aber zu zeigen haben sie nichts.
Warum ist das bizarr? Weil nach jedem Unglück an einer Kohlengrube in West Virginia oder Utah stundenlang auf allen News-Kanälen Reporter vor Ort vor der Kamera stehen und jedes bisschen Information, jedes Gerücht, jede Menschenseele, die sich entäußern möchte, über die Sender jagen. Und zwar stundenlang, unterbrochen von Werbung und Interviews mit zugeschalteten Experten. Jede Polizeiverfolgung auf der Autobahn in Los Angeles wird aus dem Hubschrauber ausgedehnt live gezeigt. Bei O. J. Simpsons Fahrt damals wären sich die Helikopter fast gegenseitig ins Gehege gekommen. Beim Tsunami im Indischen Ozean haben sich alle überschlagen, Amateur-Videos aufzutreiben, um das Unglück so schnell und so illustrativ wie möglich nachzeichnen zu können. Bei jedem Krieg der Amerikaner sind die Reporter dabei, ob eingebettet oder solo. Sie liefern Bilder, Eindrücke, O-Töne. Sie liefern das Abbild von Ereignissen.
Auf diese Weise ist die Medien-Arbeitsphilosophie der digitalen Welt entstanden: schneller, lauter, permanenter und zwar auf mindestens drei Kanälen (CNN, MSNBC, Fox News) gleichzeitig. Oder wie im Fall der rauchenden und wenig später kollabierenden World Trade Center Türme im September 2001 in New York auf mindestens zehn Kanälen. Natürlich hat diese Informationskultur längst den Medienverbraucher geprägt. Der weiß inzwischen ganz genau: Was wirklich wichtig ist, läuft auf allen Kanälen, gleichzeitig und wird mit einer besonderen Darstellungsenergie präsentiert. Auf diese Weise wurde Amerika darüber informiert, dass die Regierung die armseligen Menschen im überfluteten New Orleans ignoriert hatte. Die Reporter und ihre Kameras waren da. Die Hilfsorganisationen waren sonstwo.
Was hat das mit den Olympischen Spielen zu tun? Ganz einfach. Die sind dabei, sich angesichts einer veränderten Medienlandschaft zumindest in den USA ihr eigenes Grab zu schaufeln. Es mag zwar rechnerisch und wirtschaftlich für NBC noch immer aufgehen, dem IOC 800 Millionen Dollar zu überweisen, um exklusiv senden zu können. Aber NBC wird auf diese Weise und trotz der aktuellen Strategie, auf vielen Kabelkanälen des Konzerns Live-Bilder auszustrahlen, nicht mehr dem Anspruch der Veranstaltung gerecht, etwas Besonderes zu sein. Das kommt davon, wenn man andere Sender aussperrt und ihnen nicht gestattet, das Ereignis mit hochzuhypen.
Ein Beispiel: Als Football-Quarterback Brett Favre vor ein paar Tagen durch die Lande tingelte und niemand wusste, bei welchem Club er landen würde, hatte ESPN eine ganze Handvoll von Leuten im Einsatz. Foxsports schaffte den Scoop: Favre zu den New York Jets. Natürlich war der Aufwand trotzdem gerechtfertigt, denn die ganze gossip-verwöhnte Sportnation USA wollte diese Soap Opera genüsslich auflecken. Live-Bilder von der Ankunft des Favre-Flugzeugs in New York wurden bei MSNBC als "Breaking News" ausgetrahlt. MSNBC ist ein News-Kanal im NBC-Verbund. Ja, auch der spielte mit bei diesem Spiel. So absurd es sein mag: Favre ist unter News-Gesichtspunkten betrachtet wichtiger als die kompletten Olympischen Spiele. Letzter Beleg für diese These: Was machte Comedy Central in der Daily Show? Es beschäftigt sich mit dem Overkill im Fall Favre, nicht mit Olympia.
Selbst die PGA Championship in Bloomfield Township bekommt im Fernsehen (auch dank des Golf Channel) mehr Aufmerksamkeit als die Olympische Spiele. All das absorbiert Neugier und Interesse und wird ganz bestimmt nicht von der Arbeit der Zeitungen und ihren Korrespondenten aufgewogen. Die wirken vor dieser medialen Kulisse bestenfalls wie die unentwegten Artisten und Dompteure mit ihren Tieren, die der Zirkus immer vorschickt und durch die Straßen der Stadt laufen lässt, ehe er sein Zelt aufbaut. Natürlich werden in den kommenden Wochen ein paar Millionen in den USA die Olympischen Spiele im Fernsehen einschalten. Aber die werden nichts spüren von der behaupteten Magie und dem angeblichen Geist der Spiele, auch wenn sie von den Programmmachern von NBC am Nasenring durch die Manege geführt und mit der Vorstellung gefüttert werden, dass Jacques Rogges Festival ein Spektakel von Belang sein soll. Es mögen ja 10.000 Sportler in Peking sein und 25.000 Journalisten und 2 Millionen Sicherheitskräfte. Aber diese Dimension kann man heutzutage nur dann vermitteln. wenn man die geballte Macht der Bilder inszeniert, mit Hubschraubern, Zuschaltungen von Reportern über News-Kanäle und dem ständigen Geräusch aus der Gerüchtekammer von ESPN und seinen fleißigen Rechercheuren. Das Monopol ist tot. Nur der Termin für seine Beerdigung steht noch nicht fest.
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