2. August 2008

Anatomie eines Nummerngirls: Die Erin-Andrews-Geschichte

Das amerikanische Fernsehen ist eine Heimstatt vieler kleiner, unterdrückter Wünsche. Das sorgt für phantastische Resultate wie den Sitcom-Klassiker Seinfeld, aber auch für ganz viel Schrott. Wovon man sich in Deutschland leicht übezeugen kann. Es wird ja noch immer auf Teufel komm raus in den USA Material angekauft und ausgestrahlt. Im amerikanischen Sportfernsehen, das wie in der Steinzeit des Mediums noch immer fast alles live sendet, dealt man natürlich auch in Wünschen. Die hatten aber aufgrund des Themas meistens nur sehr beschränkt mit den großen Geschmacksverstärkern des Konserven-Fernsehens zu tun: mit Erotik und Gewalt (und mit Humor, dem dritten Gleis des gescripteten Film- und TV-Geschäfts). Die Spannung von Sport, das Ungewisse, die Athletik schien Faszination genug.

Das heißt nicht, dass es immer so weiter geht. Erotik, zum Beispiel, lässt sich schließlich trotzdem ganz gut hineinzwängen in das Paket, hauptsächlich, in dem man eine junge, gut aussehende Frau nach der anderen in eine Rolle hineinhievt, für die es auf Deutsch noch gar kein richtiges Wort gibt. Man nennt sie sideline reporter. Die Männer, die sich in dieser Nische des Berichterstattungswesen einen Namen machen konnten – wie ein gewisser Jim Grey – sahen in dem Job noch eine regelrechte Aufgabe: einen Dialog aus Soundbites zu produzieren, den ein Hauch von kritischem, hinterfragenden Denken umweht. Solche Leute kommen jedoch oft eher misanthropisch rüber. Zumal die Sender bekanntlich die teuren Rechte an den Sportveranstaltungen nicht kaufen, um die Zuschauer mit allzuvielen Zwischentönen und dem Konzept einer neutralen journalistischen Darstellungsweise zu verwirren. Cheerleader machen sich da viel besser.

Und so erleben wir schon eine Weile das Phänomen der sidelinehotties, personifiziert durch Erin Andrews, eine Blondine mit langen wallenden Haaren und einer angenehmen Stimme, die sich bei ESPN innerhalb weniger Jahre aus den Katakomben des College-Sports hochgearbeitet hat. Sie ist die Speerspitze der Bewegung. Vorzeigestück und vorläufige Nummer eins in der eye-candy-Abteilung des US-Sportfernsehens.

Anfänglich hatten nur die Sportblogger und ihre Kundschaft ihre Augen auf die Frau geworfen und 2007 fast schon eine Hysterie ausgelöst, die an jene Zeit erinnert, als sich pubertierende Jungs noch in der Unterwäsche-Abteilung des Otto-Katalogs die Anregungen für ihre feuchten Träume holen mussten. Die Erin-Andrews-Anatomie in Bildern: hier und hier und hier die schlüpfrige Reaktion von Zuschauern per Plakat bei einem Match: "Erin Andrews loves the hardwood". Ein Basketballtrainer in Tennesse konnte irgendwann nicht mehr seine Hände bei sich behalten und produzierte diesen Auftritt, der bei YouTube die Runde machte. Prognose: Es wird nicht mehr lange dauern, und Leute werden Sportübertragungen anschauen, um Erin Andrews zu sehen. Nicht wegen des Sports.

Auf dem Weg zu diesem Ziel ereignete sich letzte Woche eine Begebenheit, die hauptsächlich die Blogger und ihre Kundschaft in Aufregung versetzte. Ein gestandener Sportjournalist namens Mike Nadel hatte beschrieben, was er in der Umkleidekabine der Chicago Cubs gesehen hatte: Erin Andrews bei der Arbeit, in einem attraktiven Sommerkleid mit Ausschnitt und hohem Saum, hochhackigen Schuhen und mit einer offenherzigen Kontaktfreudigkeit im Umgang mit Spielern, die ältere glatzköpfige Reporter nicht hinbekommen. Nadel kann man nur dafür bewundern, dass er sich das Thema nicht entgehen ließ, nachdem Cubs-Manager Lou Pinella einen Spruch für die Ewigkeit abgelassen hatte, als er Andrews sah: “Hey, hey, hey! Look at this! Are you doing a baseball game today or a modeling assignment?” Denn das Erscheinungsbild der Fernsehfrau inmitten von Sportreportern in ihren verwaschenen T-Shirts und Polohemden, in Shorts, wie sie Kinder anziehen ist, kein Testament für guten Geschmack und Stil. Anders gesagt: Es fällt nicht schwer, sich von der am schlechtesten angezogenen Berufsgruppe in der Welt amerikanischer Bürojobs (den Sportschreibern) auffällig abzusetzen. Da kann man es wohl auf den ersten Sitz nicht einer Frau ankreiden, die fürs Fernsehen arbeitet und die Wert aufs Erscheinungsbild legt, dass sie sich geschmackvoller und ausgewählter anzieht als die dickbäuchigen Kerle aus dem Printbereich. Weshalb sollte sie Klamotten tragen, in denen sie aussieht wie ein Hobo auf der Durchreise?

Wie Nadel angezogen war, wissen wir nicht. Dazu hat er nichts erwähnt. Aber darum sollte es am Ende auch wohl gar nicht gehen. Weshalb sich sein E-Mail-Interview mit Deadspin, in dem seinen Blickwinkel ziemlich gut darlegt, auch mit anderen Dingen beschäftigt. Darunter auch mit solchen, die in seinem Text nicht angeklungen waren: zum Beispiel den Nummerngirl-Charakter einer Frau, die nichts Bemerkenswertes leistet, um Zuschauern das Spiel wirklich näher zu bringen, aber so tut, als habe sie eine journalistische Mission. "Maybe we are supposed to totally dismiss the journalism aspect of it and look at it strictly as entertainment - as if she were the card girl at a boxing match. Maybe that's what Disney/ESPN wants. That's a sad commentary in its own right."

Und dann fügte er noch etwas Bemerkenswertes hinzu: Dass Figuren wie Erin Andrews und ihre Haltung zum Beruf vermutlich anderen Frauen in der Branche das Leben schwerer machen, weil sie die Standards verschieben. Vor allem wenn Aussehen und Flirtfähigkeit bei der Besetzung der Stellen von sideline reporters die eigentliche Frage überschatten: Was leisten sie denn? Nun, sie leisten ihren Teil, um ihren Bekanntheitsgrad als TV-Personality zu steigern. Erin Andrews hat inzwischen reagiert. Was hat sie zu sagen?

Über die Spieler, die sie als attraktives Sexobjekt betrachten: “If anything, I think these guys look at me like a little sister or one of the guys. … I don’t look at myself as a sex object. I’ve never carried myself in that way." Über ihren Wert als Reporter: “I’m no dummy. I’m conscious that every day I have to prove myself. Being a woman, I thought at some point we were all past this. I’m not going to change. I can’t change. ESPN puts me on the best games not because of the way I look, but because they trust me."

Nein, sie ist nicht blöd. Aber sie redet am Thema vorbei. Tatsächlich weiß sie ganz genau, dass ihr Aussehen der entscheidende Faktor für ihren Erfolg ist. Sonst hätte sie nicht in der Vergangenheit diesen Satz zu Protokoll gegeben: "I know there’s only a certain time frame you have. I’m just waiting until the next big thing walks in. I’m sure she will, and she’ll be younger and hotter and everybody will freak out. And I’ll be like, “Wait a second, I thought I was a goddess!”

Hier eine Frau, die zeigt, wohin die Reise geht, wenn die Fernsehsender vor allem Leute auf Sportler ansetzen, die in Fuck-Me-Klamotten ihren Job versehen: Ines Sainz aus Mexiko (Sender: Azteca) beim Super Bowl.

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