Ebbsfleet United sollte schon bald jedem im kicker-Leser-Land und darüberhinaus zum Begriff werden. Ebbsfleet United? Ja. Oder wenn nicht, dann wenigstens dieser Name: myfootballclub.co.uk, eine Webadresse für mittlerweile 26.000 Fußballanhänger, die den Gegenwert von rund 70 Dollar bezahlt haben, um ein echtes Team in der unteren Etage des englischen Ligaalltags zu erwerben.
An dem Projekt ist vieles bemerkenswert. Nicht zuletzt, dass 1.500 Anteilseigner in den USA sitzen, wie das Wall Street Journal gestern berichtete. Aber vor allem, dass diese Schar in Zukunft mit Hilfe von Online-Abstimmungen aus der Ferne das Schicksal des Clubs bestimmen will. Das ist nicht nur neu. Das ist auf eine faszinierende Weise nichts anderes als die Urform des Vereinskonzepts mit seinen Mitgliederversammlungen und Vorstandssitzungen. Wenn auch mit einem etwas anderen Dreh. Denn die Urdemokratie der Aktionäre wird so weit gehen, über die Anschaffung von Spielern (und logischerweise auch den Rauswurf) abzustimmen. Wahrscheinlich wird auch die jeweilige Aufstellung einem Votum unterworfen. Das nennt man Micro-Management. Und da sträuben sich jedem graduierten und nicht graduierten Absolventen der Betriebswirtschaft die Haare. Oder sie kichern leise. Was vermutlich die Reaktion der Leser des Journals ist, dem besten Wirtschaftsblatt weltweit.
Reporter Max Colchester hat viele interessante Details ausgegraben, die einem die Dimension der Unternehmung verdeutlichen: Der Club aus der Grafschaft Kent, der 2005 komplett auf "professional" umgestellt wurde, frisst pro Jahr umgerechnet rund 3 Millionen Dollar auf. Davon gehen zwischen 600.000 und 800.000 für Spielergehälter drauf. Wenn man aber nur 1.000 Zuschauer pro Spiel auf die Beine bekommt und kaum Sponsorenhilfe, dann rutscht man damit unweigerlich ins Minus. Anders gesagt: In einer solchen Konstellation ist es auch egal, wer bestimmt, welche Kicker eingekauft werden und wer spielt. Das Projekt kann wirtschaftlich gar nicht funktionieren.
Die Geldinfusion der Webinvestorengruppe wird bei umgerechnet rund 1,1 Millionen Dollar liegen, wie der Daily Telegraph berichtet, der ebenfalls Mini-Mitaktionär bei der Webaktion ist. Wenn nicht in Ebbsfleet, das regional unter anderem gegen Teams aus Oxford und Cambridge spielt, dann woanders. In Kent, derzeit Platz 9 in der Blue Square Premier Division, was die fünfte Klasse im englischen Spielbetrieb ist, träumt man derweil noch vom Aufstieg in die League 2, die nach den merkwürdigen euphemistischen Gebräuchen der Engländer nur die vierte Liga darstellt.
Nur eines allerdings ist wirklich sicher: Dass demnächst der Eurostar auf dem Weg zwischen London und Paris auf dem neuen Bahnhof in Ebbsfleet hält. Das Zugunternehmen ist der Sponsor des Clubs.
3 Kommentare:
Deine Rechnung bzw. die des Wall Street Journals zeigt mir eigentlich nur, dass sich die Webmanager den falschen Verein ausgesucht haben. 3 Mio. in der 5. Liga ist absolut utopisch und unverhältnismäßig.
Ich mach mal eine andere Rechnung auf: In Deutschland ist einer der ersten Kandidaten für eine "Fanübernahme" (so hört man) der SV Waldhof Mannheim. Der spielt in der vierten Liga und ist da mit einem Etat von ca. 1,5 Millionen ganz, ganz weit oben dabei.
Dazu ins Verhältnis gesetzt sind die 1,1 Millionen zusätzlicher Unterstützung durch myfootballclub schon wieder ein Riesenschritt nach vorne.
Durch eine Beteiligung würde die Attraktivität für Sponsoren aufgrund des gewaltigen Medieninteresses extrem steigen. Plus dass es ein Traditionsverein ist, der durch einen solchen Schritt brach liegendes Fan-Potential wachrütteln könnte.
Ausgehend davon, dass die Mitglieder der Community nicht nur einmalig einen Beitrag leisten, sondern jedes Jahr ihre 100 Euro einzahlen, ist es absolut möglich auf ein positives sportliches Ergebnis zu kommen.
Was das "Return on Investment" angeht, da hat das WSJ die ganze Idee nicht kapiert. Die Fans sind eben keine Malcolm Glazers, die sich einen Gewinn versprechen. Sie kaufen sich für 100 Euro pro Jahr den Spass, einen Club basisdemokratisch führen zu dürfen.
Ich wundere mich vor allem über die Schere zwischen Spielergehältern und Gesamtkosten. Die haben kaum Reisekosten, weil sie in der Region spielen, und sollten mit einem Stab auskommen, der keine umgerechnet 500.000 Dollar Gehalt auskommt. Wenn dann noch Bürokosten und ein bisschen Stadionmiete dazu kommen, bin ich immer noch nicht über 2 Millionen insgesamt.
Ansonsten: Der Autor geht das Thema auf eine merkwürdige Weise sympathisch und unbeleckt zugleich an. Denn den Amerikanern droht solch ein Modell nicht. Da werden schon die Ligafunktionäre rechtzeitig gegen angehen. In Deutschland wiederum sehe ich das durchaus - wenn man 10.000 Leute mobilisieren kann und die Hoffnungen in Sachen sportlicher Erfolg nicht zu hoch fliegen.
Schon geschlagene drei Wochen später hat auch Reuters-TV ein Video zum Thema produziert. Nichts Neues zu sehen, außer dem Stadion. Aber falls sich jemand hierher verläuft, in die Katakomben der American Arena: Hier ist der Link: http://www.faz.net/s/RubFB1F9CD53135470AA600A7D04B278528/
Doc~E0A0441D4958543CCBDF45118D39AFE53~ATpl~Ecommon~SMed.html
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