15. Oktober 2007

Wenn im Herbst in Boston die bunten Blätter fallen...

Man wünscht sich, es wäre einfacher, den sauberen Strich zwischen berechtigter Kritik und sogenannter Korinthenkackerei zu ziehen. Um Korinthenkackerei handelt es sich, wenn pedantische und kleinliche Menschen mit dem Rotstift herumhantieren. Kritik ist ein substanzieller Einwand gegen eine Gedanken- und Arbeitsleistung.

Manche Menschen halten sich aus Takt lieber mit Einwänden zurück (das Glashaus-Syndrom). Vor allem dann, wenn man Sorge hat, ob man mit seinen Hinweisen falsch verstanden werden könnte. Ich sehe das bei Stefan Niggemeier und bei Indiskretion Ehrensache, deren Blogbetreiber einen Hang zum Aufspüren von Sachen haben, die schon mal so wirken wie der Splitter im Auge des anderen. Da kommen dann immer die Nörgler zum Vorschein, die es offensichtlich lieber sehen, wenn Fehler nicht benannt und richtig gestellt werden. Das könnte man verstehen, wenn die Leistung so vieler Medien-Outlets nicht so grotesk unter Niveau ausfallen würde.

Um es deshalb klar vorneweg zu sagen: Es geht bei diesem Post nicht um Personen, sondern um die Sache. Die Sache heißt: der unerträgliche Hang von Leuten im Sportjournalismus zum Superlativ. Unterabteilung: Nichts ist schlimmer als jener Superlativ, der auf mangelhaftem Wissen beruht.

Normalerweise wissen wir diese Disziplin in den festen Händen von BILD-Zeitungsreportern. Und wir verstehen auch warum (und zwar seit Günter Wallraf Hans Esser war). Und was jene Schreibkräfte in diesen Tagen auf die Beine stellen, kann man zum Glück seit Beginn des BILDBlog jeder Zeit nachlesen. Warum aber auch SpOn so arbeitet, wissen wir nicht. Denn wir wollen erst mal nicht unterstellen, dass man in der Online-Redaktion vom Spiegel ein ähnliches Verhältnis zu den Fakten hat.

Aber wenn dann ein einziger Artikel so viele Behauptungen auf einmal aufstellt (die man als Unsinn bezeichnen muss), die mehr als nur fehlerhaft sind, sondern superlativ fehlerhaft, dann ist vielleicht mal eine leise Anmerkung fällig. Besonders, wenn es um einen Themenbereich wie amerikanischen Sport geht, an dem zumindest unsereinem etwas liegt.

Wir gehen mal der Reihe nach vor. Es geht um die Teams aus Boston.

SpOn: "Der Rekordmeister ... hat in der Sommerpause gleich sieben Spieler zu den Minnesota Timberwolves geschickt..." (falsch: es waren fünf Spieler und zwei zukünftige Draft-Picks, daraus können Spieler werden oder auch nicht. Auf jeden Fall fehlen sie nicht den Celtics in der kommenden Saison.)
• Bei dem Tausch handele es sich um "den spektakulärsten Transfer der NBA-Geschichte" (falsch: es war allenfalls eine Bestleistung dafür, wieviele Leute man für einen Spieler bekommen kann. Aber das liegt an der Tarifordnung der NBA, die verlangt, dass bei einem Tausch das Gehalt auf der einen Seite mit dem auf der anderen aufgewogen werden muss. Wer viele billige Spieler hat, muss dann einfach mehr Personal abgeben. Wenn es um das Kriterium "spektakulär" geht, kann man dies ganz gewiss nicht toppen: die Transfers von Wilt Chamberlain und Kareem Abdul-Jabbar, die von Philadelphia beziehungsweise Milwaukee zu den Los Angeles Lakers wechselten. Sie waren jeweils im Alleingang für die Erfolge ihres neuen Teams verantwortlich.)
• "...seit Jahren ist jedes Spiel im Fenway-Park ausverkauft" (irreführend: Das Stadion war lange Zeit das kleinste in Major League Baseball und ist nach kleinen Modifikationen mit 38.000 Sitzplätzen nur das drittkleinste von 30. Gleichzeitig gehörten die Red Sox schon immer zu den populärsten Teams Amerikas, weit über die Grenzen von Boston hinaus. Es heißt übrigens nicht, dass bei allen Spielen alle Sitze besetzt sind. Auch die Red Sox haben Gegner, für die sich so gut wie niemand interessiert.)
• "Objektiv betrachtet hat Boston auf jeden Fall den teuersten Baseball-Spieler der Welt. Pitcher Daisuke Matsuzaka kam zu Saisonbeginn für 100 Millionen Dollar aus Japan an die Ostküste...." (wenn wir mal die Kleinigkeit vergessen, dass sich die komplizierte Transaktion zu 103 Millionen Dollar und ein paar zerquetschte hochrechnet, teilen wir den Betrag durch sechs Jahre Laufzeit und kommen auf eine Summe, die weit unter der für Alex Rodriguez liegt - 10 Jahre/252 Millionen Dollar. A-Rod ist der teuerste Baseball-Spieler der Welt nicht Dice-K.)
• "Im selben Jahr holten auch die New England Patriots den Superbowl" (falsch: man kann den Super Bowl nicht holen. Das ist der Name einer Veranstaltung, nicht der Name der Trophäe, die dabei ausgespielt wird. Die heißt Vince Lombardi Trophy.)
• "Ron Jaworski, bekannter Analytiker beim Sportsender ESPN" (problematisch: die Fachkommentatoren beim amerikanischen Fernsehen werden zwar schon mal analysts genannt. Unter Analytikern versteht man auf Deutsch etwas ganz anderes. Schlag nach bei Freud. In der Sprache der Finanzwirtschaft werden analysts mit Analysten übersetzt).

Und diese Anmerkungen schließen noch keine Beschwerden über den stilistischen Verhau ein ("Man muss kein Patriot sein, um zu sehen, dass die Patriots Nummer eins sind" - man muss nicht mal Sportjournalist sein, um zu sehen, dass man gar nichts sein muss, um das zu sehen). Oder: "Noch nie in der NFL-Historie war ein Passgeber nach sechs Spieltagen erfolgreicher" (WÄHREND der ersten sechs Spieltage? Oder hatte NACH den ersten Spieltagen keine bessere Leistungsstatistik?)

Normalerweise müsste der Text zumindest überarbeitet werden. Vielleicht sogar eingestampft. Denn wenn die heiße Luft mal weg ist, bleibt nicht mehr viel übrig. Aber für so etwas hat man in Hamburg womöglich keine Zeit. Schließlich müssen die nächsten Geschichten voller Superlative angekurbelt werden. Wie hält man sonst die Einschaltquote?

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

"The 7-for-1 deal constitutes the largest amount of players traded for a single player in league history."

Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/Kevin_garnett#2007:_Boston_Celtics

Anonym hat gesagt…

Da muss man vielleicht auch die Frage stellen, wie sehr man sich auf die freien Journalisten, Experten wie dich, verlassen darf und wie viele Fakten man in der SpOn-Redaktion gegenzuchecken Zeit hat. Der Kollege Odörp schreibt ja nun mal (kurzes googeln zugrunde gelegt) über nicht viel anderes als American Sports.

Klar ist das peinlich, aber solche frappierenden "Ungenauigkeiten" sollten einem gestandenen Journalisten nicht passieren. Da kannst du vielleicht ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern, wie das Business normalerweise läuft.

Jürgen Kalwa hat gesagt…

Die fehlende Zeit ist der Hauptfeind von uns allen. Das betrifft sowohl das Recherchieren als auch das Schreiben und sicher auch das Redigieren. Gewöhnlich vertrauen alle allen. Der Schreiber den vorgefunden Informationen, die Redaktion dem Schreiber und der Leser der Redaktion. Weil sich dabei trotz allen guten Willens Fehler einschleichen können, müssen alle Beteiligten vor allem eines haben: Skepsis (Einschub: ich arbeite zur Zeit an dem demnächst erscheinenden Merian-Heft über Las Vegas mit. Die Redaktion beschäftigt eine Fact-checking-Person. Und sie ist ihr Geld wert. Denn sie findet Fehler. Selbst bei Leuten, die sehr präzise arbeiten.)

Skepsis lässt sich schulen. Wenn allerdings in diesem System das kritische Feedback fehlt, entstehen Selbstläufer, bei denen die Phantasie und das Wunschdenken irgendwann die Überhand gewinnt. Es wird nicht immer so schlimm werden wie in dem berühmt-berüchtigten Fall Tom Kummer, der ganze Interviews einfach erfunden hat. Aber der Weg dahin ist eine aalglatte, schiefe Ebene. Fehler zu machen, ist peinlich. Grobe Fehler zu machen, ist extrem peinlich. Das Fehlverhalten nicht zu begreifen, ist gefährlich. Wie schon im Post gesagt: Mich beschäftigt nicht die Frage, wer der Autor ist. Mich beschäftigt das Grundsätzliche.

Nach allem, was ich mitbekomme/lese, ist SpOn auf einem gefährlichen Weg (nicht nur im Bereich Sport). Ausreden haben sie bestimmt. Nur eine sollte nicht gelten: Sie seien überlastet. Wenn sie in ihrer Berichterstattung über amerikanischen Sport ernst genommen werden wollen, müssen sie Vorkehrungen treffen, um Sachen dieser Preisklasse zu verhindern oder abzubiegen. Kein Mensch hätte aufgeschrien, wenn diese Boston-Geschichte nie erschienen wäre. Denn kein Mensch hätte gewusst, dass es sie gibt.