Während ESPN in Europa ganz, ganz langsam in Schwung kommt, steht der Sender in den USA (Eigenwerbung: "Worldwide Leader in Sports") vor einem Problem: Die Einschaltquoten für die Abendsendungen ("Prime Time") sind in diesem Jahr um 10,2 Prozent gesunken. Das Zuschauerminus umgelegt auf den ganzen Tag beträgt 5 Prozent. Solche Zahlen signalisieren keine Zufallsresultate, sie signalisieren einen Trend: Wir schätzen mal, dass nicht nur Zeitungen (junge) Leser ans Internet verlieren, sondern Fernsehsender ebenfalls. Trotzdem glaubt man beim Mutterschiff Disney, dass man die Kabelnetzbetreiber in den USA (und damit die Kabelfernsehzuschauer) noch mehr Geld aus der Tasche ziehen kann als bisher. So steigt der der Preis, den man pro zahlenden Zuschauer kassiert, Anfang 2008 von 3,26 Dollar auf 3,65 Dollar pro Monat. Irgendwo nicht mehr ganz so fern liegt eine Schallmauer für das, was Sport den anonymen Massen wert ist. Aber vermutlich macht man sich darüber in Bristol/Connecticut im Moment keine großen Gedanken. Die Unternehmensfiliale, die einst als klitzekleiner Fisch von einem mutigen Gesellen gegründet wurde und dann von größeren Fischen aufgefressen und mit beachtlichen Investitionen immer größer gemacht wurde, soll einem Marktkenner zufolge 30 Milliarden Dollar wert sein. Vielleicht versteht man angesichts solcher Zahlen, weshalb ESPN 2009 für die Rechte der Premier League mitbieten will und kann.
Dogfood hat, als er die Meldung auf allesaussersport vor ein paar Tagen kommentierte, folgendes geschrieben: "Auch wenn hinter ESPN mit Disney ein Konzern mit großen Resourcen steht, überschätzt ESPN massiv die Strahlkraft seiner Marke in Europa, ganz zu schweigen von seiner Reichweite. Den Fehler hat die NFL bereits bei Vergabe seiner TV-Rechte in Kontinentaleuropa gemacht. Noch schlimmer: ein Abrücken des Fokus auf US-Sport wird die Marke massiv verwässern."
Das fand ich einen ziemlich kräftigen Konter auf eine Nachricht, die nur Absichten formuliert, aber keine Taten mitliefert. Und die eigentlich zeigt, dass ESPN sich gar nicht als Marke versteht, sondern als Profitcenter, das außerhalb der USA wachsen muss, wenn es denn Zahlen schreiben will, die als einziges Faktum in der Konzernzentrale ernst genommen werden. Ich würde mich nicht wundern, wenn die treibenden Kräfte einer solchen Strategie dabei auch Fehler machen. Aber auf der anderen Seite zeigt das Engagement amerikanischer Investoren in der Premier League (Manchester United, FC Liverpool, Arsenal), dass die eifrigsten Sportunternehmer Amerikas schon länger keine Furcht mehr davor haben, sich am europäischen Treiben zu beteiligen.
"Wachstum in Europa ist eine Schlüsselstrategie für uns", sagte Russell Wolff, der Chef von ESPN, bereits vor einem Jahr, als der NASN-Deal bekannt wurde, für den der Sender wohl mehr als 100 Millionen Dollar verauslagt hat. Ein hoher Preis, wenn man weiß, wieviele/wie wenige Menschen NASN nutzen (6 Millionen Abonnenten). Bezahlt hat man also knapp 17 Dollar pro Kunden. Wenn man aber sieht welche Preise in den USA mittlerweile üblich sind, wirkt das nur och halb so teuer. Mit anderen Worten: Das rechnet sich.
Die andere Frage lautet allerdings: Kann ESPN glaubwürdig eine Mehr-Länder- und Mehr-Sprachen-Politik umsetzen, die jene Schwächen eliminiert, wie sie von dogfood aufgespürt wurden. Ich denke, in naher Zukunft wäre mal wieder ein Gespräch mit Wolff fällig. Wir haben uns zuletzt während der Fußball-WM miteinander unterhalten.
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