21. August 2006

Wenn Leser etwas zu sagen haben

Ein Ausflug in eine andere Themenwelt kann manchmal ziemlich inspirierend sein. Die FAZ hat heute meine Geschichte über den Erfolg von amerikanischen Bloggern im parteiinternen Wahlkampf der Demokraten gebracht. Die Recherche allein war schon erhellend genug - wenn man zur Abwechslung mal richtigen Hardcore-Bloggern wie Jane Hamsher von firedoglake gegenübersitzt und mit Staunen zur Kenntnis nimmt, dass sie jeden Tag 65 000 Besucher hat. Aber was einen am Ende doch noch sehr viel weiter bringt, ist die Reaktion der Leser von faz.net, wo der Artikel heute vom Medienressort gepostet wurde. Binnen eines Tages hatten sich fünf Leser mit einem Kommentar verewigt - ein imposante Zahl, wenn man weiß, wie wenige Leser sich zu Sportgeschichten in der gleichen Zeitung zu Wort melden.

Auch die Qualität der Reaktionen ist beeindruckend. Offensichtlich haben Menschen, die sich für politisch und gesellschaftlich interessantere Themen interessieren, mehr zu sagen und wollen es denn auch ausführlich tun. Demgegenüber vermitteln die Diskussionen rund um Sport eher den Blick vom Stammtisch. Getreu des alten Spruchs, dass die meisten Sportanhänger den geistigen Radius eines Bierdeckels besäßen. Es wäre schön, wenn sich das alsbald mal ändert. Ob auf diesen Seiten hier oder woanders ist ganz egal.

Leser allerdings sind seltsame Lebewesen. Irgendetwas in ihrem Innern sagt ihnen, dass sie die Dinge besser wissen und besser beurteilen können als die Berichterstatter, von denen sie tagtäglich beliefert werden. Ganz typisch war der Kommentar zum Blogger-Artikel von einem Menschen, der die Washington Post online liest und der schrieb:
"Ich sitze in Wiesbaden und nicht in Washington, DC und weiß trotzdem mehr über den Stand der Dinge in Connecticut als die Frankfurter Allgemeine mit ihren Korrespondenten in DC. Sehr enttäuschend und schade."
Der Knick in der Optik von Leuten, die aus der Ferne ein paar Quellen betrachten und anschließend davon überzeugt, dass sie etwas von der Materie verstehen, wird uns Medienproduzenten noch mehr zu schaffen machen denn je. Vor allem mit dem deutschen Publikum, das von einer erheblichen Oberlehrerhaftigkeit geprägt ist. Und zwar leider von der unkritischen Art. Ich erinnnere mich noch an die giftige Wortwahl eines Lesers, der glaubte, dass der Inhalt in der einen Quelle, die er kannte - ein Buch aus dem Eichborn-Verlag - amtlichen Zuschnitt hatte. Und so warf er mir und der Zeitung alles mögliche vor. Vor allem die Unfähigkeit zu recherchieren. Es ging um das Entstehen des Namens World Series im Baseball. Eine alte Frage, die neulich von den Kollegen von Wortwelt noch einmal aufgebracht und beantwortet wurde.

Ich habe damals mehrere Quellen ausgewertet und bestätigt gefunden, dass der Leser mit seinen aufsässigen Vorhaltungen ("dieses subtile Stück anti-amerikanischer dumpfer Vorurteile” und “arrogante Törichtheit”) sowohl in der Sache als auch im Umgangston komplett daneben lag. Ich habe mich trotzdem in der Antwort um einen konzilianten Ton bemüht. Man will seine Leser ja nicht vor den Kopf schlagen, woraufhin sie mit einem Telefonanruf das Abo kündigen.

Aber davon abgesehen: Die Geschwindigkeit, mit der Informationen um den Globus reisen, und die wachsenden Zugriffsmöglichkeiten auf die unterschiedlichsten Quellen werden den Alltag von Auslandskorrespondenten wie unsereins vermutlich radikal verändern. Unsere Leser haben Ansprüche. Und wir werden uns denen nicht entziehen können. Und hinter der über Jahre angehäuften Autorität des Blattes, das in seiner Werbung den Spruch pflegt, "Dahinter steckt bestimmt ein kluger Mensch", werden wir uns auch nicht verstecken können.
Die Zeiten sind vorbei.

Link zum Artikel Die Königsmacher über die Politblogger in den USA in der FAZ vom 21. August 2006

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Nur weil man die Washington Post liest, weiss man noch laengst nicht alles ueber Washington. Die Stadt hat soviele Facetten, dass selbst die Post dazu uebergegangen ist, ihre Berichterstattung online durch Blogverweise zu ergaenzen.

Als Nicht-Journalist wuerde ich gerade dank meiner Vertrautheit mit Washington jedem Journalisten und seiner Redaktion vergeben, die sich immer nur auf Ausschnitte beschraenken muessen. Wenn sie eine angemessene Wahl bei dieser Selbstbeschraenkung getroffen haben, ist das Ziel der Berichterstattung erreicht.

-ck