24. Januar 2007

Es gibt ein Leben nach Iverson

Als die Philadelphia 76ers vor mehr als einem Monat Allen Iverson auf die Bank verbannten, hatten sie einen Zwischenstand von fünf Siegen in 17 Spielen und wirkten wie ein Team ohne Perspektive. Iverson war der Mann, der die Punkte machte, was ihn in der Scorerliste der NBA-Saison auf Platz zwei katapultierte. Aber das wirkte nur aus der Ferne attraktiv. Auf jeden Fall von so weit weg wie Denver (mehr als 2000 Kilometer Luftlinie). Die Sixers waren am Ende einer Reihe von Gesprächen in der Lage, sich von dem tätowierten Zeppelin zu trennen, dessen Kopf irgendwo in der Luft schwebt, dessen Spielweise jedoch nicht bodenständig genug ist, um seiner Mannschaft aus dem Gröbsten heraus zu helfen. Die Sixers ließen vor wenigen Tagen auch noch den Schlurfspieler Chris Webber ziehen. Was den Club teurer kommt, denn sie mussten ihn aus seinem Vertrag herauskaufen. Eine Aktion wie wenn man mehrere Millionen einfach im Klo herunterspült. Für Iverson gab es im Tausch mit den Denver Nuggets immerhin eine Gegenleistung: die Spieler Andre Miller und Joe Smith und zwei Erst-Runden-Plätze für die kommende Draft im Juni.

Als Carmelo Anthony in dieser Woche von seiner 15-Spiel-Sperre zurückkehrte, hat sich so gut wie jeder mit den Denver Nuggets und der Frage beschäftigt, ob er und Iverson einen Weg finden, einander zu ergänzen, anstatt sich gegenseitig den Ball streitig zu machen. Der Yellow-Press-Impuls der Sportjournaille - er ist nicht zu bremsen. Jedenfalls nicht auf Seiten wie SpOn, wo beim Themengebiet amerikanischen Sport hausintern eine heiße Vokabelschlacht abgeht (wie angenehm dazu im Vergleich Christoph Biermann und seine klugen Depeschen). Anders als im Printprodukt, wo es Schreibregeln gibt, nach denen die Prämisse für den Artikel spätestens im zweiten Absatz abgestützt werden muss, hebelt man hier schon mal im zweiten Absatz den Grundgedanken für den Beitrag aus. Zum Beispiel so:
"Aussagekräftig ist dieser Sieg für das neue Super-Duo der Nuggets also nicht. Auch den Erfolg in Seattle (Anthony 34 Punkte, Iverson 21) darf man nicht überbewerten. Erst in den kommenden Wochen und besonders ab Ende April in den Playoffs wird sich zeigen, ob das Topscorer-Experiment mit den beiden schwierigen Charakteren in den Rocky Mountains wirklich funktioniert."
Mal abgesehen davon, dass Denver nicht in den Rocky Mountains liegt, sondern platt und breit genau zu seinen Füßen, was man natürlich nicht wissen kann, wenn man alles immer nur mit dem Fernrohr, dem Internet und ein paar Scorer-Statistiken von anno dunnemals in der Hand inspiziert: Wie wäre es dann mit einem Beitrag über Philadelphias Entwicklungsstand? Also jener Mannschaft, der diese neue Konstellation zu verdanken ist? Nicht peppig genug? Nicht yellow genug? Vermutlich.

Falls es jemanden interessiert: Die Philadelphia 76ers spielen ohne Iverson nicht besser. Sie spielen aber auch nicht schlechter. Nach der Hälfte der Saison stand die Zwischenbilanz bei 11 Siegen und 30 Niederlagen. Ergibt Platz 15 der Eastern Conference. Tiefer geht's nicht. Allerdings sind sie in einer wirklich schwachen Conference damit rein theoretisch noch gar nicht mal aus dem Playoff-Rennen. Rein theoretisch, wohlgemerkt. Denn tatsächlich hat das Clubmanagement nichts anderes im Auge als die Draft-Lotterie und die Chance, sich den am meisten beachteten Collegespieler zu holen. Das ist zur Zeit Greg Oden von Ohio State. Mit anderen Worten: Das wirklich waghalsige Experiment in Philadelphia, was durchaus noch Teammanager Billy King den Job kosten kann (Larry Brown steht Gewehr bei Fuß), wirkt wie eine Operation mit Heilungschancen.
Blick zurück: Der Iverson-Trade
Blick zurück: Was Iverson wirklich wert ist, wenn man sich die Zahlen mal genauer anschaut

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