Manchmal fragt man sich, ob Leute, die sich mit ihren Schreibversuchen an die Öffentlichkeit begeben, eigentlich ernst genommen werden wollen oder doch lieber ignoriert. Das hängt vermutlich hauptsächlich davon ab, welchen Blick der Schreiber auf die Welt hat. Leute, die offen, neugierig, interessiert und engagiert sind, wollen meistens ihr Publikum einbeziehen, sind sozialfähig und wollen ihre Standpunkte im Rahmen von Diskussionen überprüfen. Menschen, die misanthropisch angelegt sind und darüberhinaus vielleicht auch noch ungeschult, wirken schnell scheuklappig und reagieren dünnhäutig auf Feedback. Bei denen hat man das Gefühl, dass sie Kommunikation im Grunde nur als Einbahnstraße begreifen, auf der sie in ihrem Gedankenauto am Steuer sitzen und stur nur ein Ziel verfolgen: sich selbst zu artikulieren. Manche werden im Erfolgsfall Guru oder Rattenfänger. Andere ziehen sich irgendwann ins Kloster ihrer edlen Gedanken zurück.
Der laut vorgetragene Monolog mit sich selbst ist vermutlich viel beliebter, als man angesichts der enormen Bandbreite der Medien denken würde. Er produziert durchaus lesenswerte Resultate. Ein Reigen von Literatur-Nobelpreisträgern und viele, viele Schriftsteller, denen diese Auszeichnung aus welchem Grund auch immer nicht zugestanden wurde, hat den Spaziergang um den eigenen Bauchnabel in den Rang wahrer Kunst erhoben. Mein Lieblingsbeispiel ist Uwe Johnson, leider viel zu früh verstorbenes Sprachgenie, besser und virtuoser und erzählmächtiger als seine Zeitgenossen Heinrich Böll und Günter Grass, die in Stockholm Gnade fanden. Der zog noch aus seiner zeitweiligen Unfähigkeit, ein vierbändiges Jahrhundert-Projekt (Jahrestage) fertigzustellen, einem sogenannten writer's block, Stoff genug für eine seltsam autistische Betrachtung der eigenen Befindlichkeit. Suhrkamp hat auch das veröffentlicht. Der Mann konnte nämlich wirklich schreiben (selbst in Zeiten, in denen es nicht so richtig rund lief). Und denken konnte er auch.
Die gleiche Bauchnabel-Nummer lässt sich in der Blogosphäre natürlich viel leichter umsetzen. Man braucht keinen Verleger, der einem das Manuskript aus der Hand nimmt und zum Drucker gibt und dafür Geld ausgibt, dass das Werk in den Handel kommt. Man schreibt, drückt auf eine Taste und schon existiert die Wortsammlung da draußen im Netz, ohne umständlich redigiert, umbrochen, Korrektur gelesen und vervielfältigt worden zu sein. Atemlose Welt.
Eigentlich würde man erwarten, dass redliche Monologisten die Kommentarfunktion an ihrem Blog abschalten und Schautafeln dazu stellen, die deutlich signalisieren: Hier brütet und wütet ein Mensch für sich ganz alleine. Vorsicht, bissiger Hund. Aber Blogger gibt es in tausenderlei Variationen. Und keiner ist gezwungen, irgendwelche Regeln zu beachten. Keine Rechtschreibregeln, keine Denkregeln, keine Benimmregeln. Die einzigen Grenzen, die es gibt, sind technischer Natur. Und die fallen solange nicht ins Gewicht, wie der Server und die dazugehörige Software keine Ausfallerscheinungen haben.
Wie gesagt, es wäre schön zu wissen, ob jemand ernst genommen werden will, der sich per Blog am öffentlichen Diskurs beteiligt. Oder ob er lieber ignoriert werden möchte. Denn anhand solcher Hinweise könnte man sich in seiner Rolle als Blogger auf jene Mitstreiter beschränken, denen etwas daran liegt, sich auszutauschen. Aber solch eine klare Position kann natürlich nur der wirklich beziehen, der überhaupt begreift, was das ist: im Internet präsent sein, jeden Tag hunderte von Besuchern beliefern. Ein Mediengesetz im Nacken haben. Die Abmahnfallen umschiffen. Vermutlich haben die meisten schon allein damit Schwierigkeiten. Nicht dass es sie belastet. Jeder begreift die Feststellung, die Heiner Pudelko von der Berliner Band Interzone in der Zeit der deutschen Drei-Akkorde-Apologeten prägte - "Die Dilettanten des Wunders sind noch nicht geboren" - wohl auf seine Weise. Ich weiß, wovon ich rede. Ich war dabei, als einer der musikantisch unterbelichteten Chefideologen der Neuen Deutschen Welle nach der Lektüre eines Spiegel-Artikels bekanntgab: Er habe die Zukunft gesehen.
Pudelkos Zeile fiel mir wieder ein, nachdem ich vor ein paar Tagen mitbekam, wie sich die Betreiber eines visuell sehr attraktiv gestalteten Basketballblogs gerieren, wenn sie plötzlich von der Außenwelt jenseits des eigenen Bauchnabelhorizonts wahr genommen werden. Sie fühlen sich bereits "derart lächerlich" gemacht und "scharf kritisiert", wenn man sie nur erwähnt. Und wenn man wiedergibt, welche Prioritäten sie bei der Themenwahl haben. Dabei wurden sie im konkreten Fall allenfalls mit der rhetorischen Klinge angepiekst, doch beileibe nicht tranchiert. Aber die Erwähnung genügte für eine fetzige Replik - im Beschwerdeton, sichtlich genervt - in der das Ganze mit einem Spruch aus der Ätsch-Bätsch-Abteilung vom Schulhof abgerundet wurde: Es habe "noch niemand von eurem Blog gehoert", lautete das an uns gerichtete Schlusswort.
Wie schlagfertig.... Das wäre nicht mal ein Argument, wenn es Sinn machen würde. Aber der Satz entblößte nur auf eine schlichte Weise das Unwissen des Autors. "Niemand"? Okay, dies sind nicht die Tagesthemen. Aber zehntausende taz-Leser haben bereits von American Arena gehört. Viele sehr geschätzte und lesenswerte Blogs linken hierher. So etwas kann man recherchieren. Bei technorati. Aber was kommt als nächste Antwort? Keine Richtigstellung, sondern eine Retourkutsche: Unsereins sei wohl nur an "Traffic" interessiert. Wie bitte? Auch das stellt sich bei näherem Hinsehen als unsubstanziierbar heraus. Die Aktion brachte ganze zwölf Clicks für American Arena. Und das auch nur deshalb, weil der Blogger von schräg gegenüber, der uns bis dahin in seinem Tunnelblick nicht weiter wahrgenommen hatte, die ganze Sache selbst zum Thema gemacht hatte. Si tacuisse philosophus manisse.
Wat lernt uns dat? Dass die Bloggerei noch meilenweit davon entfernt ist, einen attraktiven Mittelweg zwischen Reden und Zuhören, Schreiben und Lesen zu finden. Praktische Konsequenzen: Keine. Wir lesen trotzdem weiterhin solche Blogs wie hoopnation. Nicht aus Respekt, aber aus Neugier. Wir wollen wissen, wohin die Reise geht. Aus dem Chefideologen der NDW wurde schließlich später auch was: ein Mitglied der Band Fehlfarben. Nicht schlecht für einen Anfänger.
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