21. Februar 2007

Warum knallen so viele Footballspieler in Cincinnati durch?

Wo fängt man mit dem Einordnen an, wenn man feststellt, dass eine einzige Stadt im alten Industriegürtel von Ohio offensichtlich mehr junge Männer anzieht, die Sport, Gewalt, Drogen, Sex und Alkohol als attraktiven hedonistischen Cocktail genießen? Am besten bei der jüngsten Geschichte, die mit einem anonymen Brief beginnt (das Link führt zu einem Faksimile auf der Webseite des Cincinnati Enquirer, wo die Angelegenheit gestern aufgerollt wurde). Dies ist die Kernaussage: Vier Anwärter auf einen Football-Stipendium und vier aktuelle Mitglieder der Footballmannschaft der Universität Cincinnati haben sich neulich nicht nur mit einer einzigen "ehemaligen Fußballspielerin" sexuell vergnügt, sondern dabei auch noch schwer gebechert und das Ganze mit einer Videokamera aufgenommen. Die Aufnahmen zirkulieren unter Studenten, wurden aber wohl noch nicht auf eines der einschlägigen Porno-Video-Portale hochgeladen.

Der Schreiber des Briefs (oder die Schreiberin) macht sich Sorgen, dass die Angelegenheit erstens die Sportabteilung der Universität in ein schlechtes Licht rückt und zweitens unter den Teppich gekehrt wird. Denn mal abgesehen von der Gangbanger-Komponente war Alkohol im Spiel. Und damit haben die jungen Leute ganz eindeutig gegen die Gesetze verstoßen, die besagen: solchen Strom kann man erst kaufen und konsumieren, wenn man 21 ist. Unterm Teppich - das wird diesmal nichts. Die Aufregung ist riesig.

Cincinnati wäre gerne ein biederes Pflaster, ist es aber nicht. Das örtliche NFL-Team, das auf den kuriosen Namen Bengals hört, hält den unrühmlichen Liga-Rekord in Verhaftungen: Neun Spieler (von 50) in 14 Monaten. Die Palette reicht von Alkohol am Steuer bis Einbruch und illegaler Waffenbesitz, von Körperverletzung bis Widerstand gegen die Staatsgewalt.

Eigentlich müsste man gewisse Sympathien für Cincinnati hegen. Seine Einwohner weisen nach Milwaukee und Umgebung und der Doppelmetropole Minnepolis-St. Paul die drittgrößte Konzentration von Menschen mit deutscher Herkunft auf (St. Louis folgt auf Platz vier). Aber abgesehen von kleinen historischen Bezugspunkten wie dem Namen des zentral gelegenen Stadtteils Over-the-Rhine hat der Ort nur wenig zu bieten, was einem Lust machen würde auf eine Erkundigungsreise auf der Suche nach Geschichte. Denn in den USA hat man seit der großen Einwanderungswelle im 19. Jahrhundert sehr viel getan, um das deutsche Erbe wegzuassimilieren. Was der Erste Weltkrieg nicht schaffte, als Deutsch als Umgangssprache verboten wurde, dafür sorgte der Zweite.

Abgesehen davon kann man in der einstmals blühenden Industriestadt allenfalls all die urbanen Krankheiten hautnah erleben, die auch andere befallen haben, wie ich bei Abstechern nach Atlanta und Memphis (beides 2002) Detroit (2004) Cleveland (2005) und Buffalo im November 2006 aus nächster Nähe sehen konnte. Der Virus ist überall der gleiche: Die Mittelschicht ist in die Vorstädte geflohen und hat Armut, Zerfall und Perspektivlosigkeit zurückgelassen. Das Zeug zum Umschwung haben nur wenige Städte (wie Boston, das anfänglich nach der Schließung des Hafens mit enormen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte).

Cincinnati erlebte im Jahr 2001 den größten gewalttätigen Protest schwarzer Bewohner gegen die Polizei seit dem Aufstand 1992 in Los Angeles. Die Aktionen galten der Arbeit der Behörden, zwischen Februar 1995 und April 2001 im Rahmen ihrer Arbeit 15 schwarze Männer unter 40 erschossen hatte. Kein Polizist wurde zur Verantwortung gezogen. Schwarze Bewohner mussten in jener Zeit damit rechnen, doppelt so häufig von den Ordnungshütern wegen kleiner Vergehen im Straßenverkehr belangt zu werden als weiße. In der dritten Nacht der Brandstiftungen und Plünderungen in der Innenstadt verhängte der Bürgermeister eine Ausgangssperre und sorgte so für ein Ende der Gewalt. Ein Boykott der Stadt, der von prominenten Künstlern unterstützt wurde, fügte der Stadt allerdings einen messbaren wirtschaftlichen Schaden zu. Sie leidet seither unter einer ständig steigenden Mordrate, obwohl niemand eine logische Verknüpfung herstellen kann. Cincinnati belegte im letzten Jahr Platz 18 auf der Liste der gefährlichsten Städte Amerikas - hinter Detroit (2.), Cleveland (7.), Memphis (13.), Atlanta (17.)

Keine Kommentare: